Stefan Zweig – Sternstunden der Menschheit. Zwölf historische Miniaturen

Erschien erstmals 1927 bei Insel (mit 5 Miniaturen) | hier vorliegende Ausgabe von 1984 bei Aufbau (12 Miniaturen) mit 218 Seiten

In letzter Zeit sehe ich beim Lesen häufig Josef Hader vor meinem geistigen Auge und dass obwohl ich überhaupt noch nie etwas von Josef Hader gelesen habe.[1] Diese Faszinationen bedingen sich zweier filmischer Themen, denn zum einen spielt der österreichische Kabarettist und Schauspieler die Rolle des Kommissar Brenners, aus der Krimireihe von Wolf Haas,[2] zum anderen verkörperte er Stefan Zweig in Maria Schraders wunderbaren Film „Vor der Morgenröte“.

Jetzt begab es sich, dass ich in Salzburg am Stefan Zweig Platz vorbeikam, was mich an zwei Stellen verwunderte. Erstens wusste ich nicht mehr, dass Stefan Zweig tatsächlich von 1919 bis 1934 in Salzburg lebte, nämlich auf dem Kapuzinerberg 5, den ich sogleich aufsuchte:

Zweitens hatte ich wenige Tage vorher gerade damit begonnen, Zweigs wohl bekanntestes Werk, die „Sternstunden der Menschheit“ zu lesen und es ist irgendwie etwas Besonderes, wenn man quasi am Schöpfungsort des Werkes vorbeigeht, dass man gerade liest.

Bei den „Sternstunden“ handelt es sich um eine Sammlung von Aufsätzen zu welt-historischen Themen bzw. dem was Zweig für welthistorisch hielt. Mit Sternstunden sind dabei aber nicht unbedingt heroische Glanzleistungen zur Verbesserung der Zivilisation gemeint, sondern ein „Genius“, ein besonderer Moment in der Weltgeschichte.[3] Zweig schildert zwölf Begebenheiten, in denen er solche Situationen darstellt; die Entdeckung des Pazifischen Ozeans durch Nuñez de Balboa, die Eroberung von Byzanz durch die Osmanen, die Entstehung des Oratoriums „Messias“ durch Händel, die Komposition und den Siegeszug der Marseillaise, die verlorene Schlacht von Waterloo für das napoleonische Heer, die Motivation und Entstehung der Marienbader Elegie von Goethe, die wenig glückliche Entdeckung von Gold in Kalifornien für den Besitzer des Landes, die Begnadigung Dostojewskis, die Verlegung des ersten transatlantischen Telegrafenkabels, die letzten Stunden Tolstois, Scotts gescheiterte Südpol-Expedition und Lenins Ankunft in Russland.

Was diese zwölf Beiträge alle gemeinsam haben ist die Liebe des Autors zur historischen Situation und ihrer heroischen Darstellung. Ihre Stärke ist nicht unbedingt das historische Detail, wie vielfach kritisiert wurde. Tatsächlich geht es darum auch nicht, es sind vielmehr Einladungen, sich mit der Geschichte unserer Zivilisation zu beschäftigen. Zweigs Verdienst ist es dabei, diesen historischen Momentaufnahmen, in einer künstlerischen Form, Leben einzuhauchen, in dem er insbesondere einzelne Ereignisse herausnimmt und – dass muss man heute wohl kritisch anfügen – etwas zu sensationell inszeniert. Ich verehre Zweig sehr, aber genau hier ist mir das Buch manchmal etwas ärgerlich zu lesen, weil es den auch heute noch gern genutzten Zeitgeist verwendet, möglichst jede Geschichte so spektakulär wie möglich darzustellen. Positiv gewendet kann man sagen, dass viel von dem, wie wir heute Geschichte erzählen (im alltäglichen, außerwissenschaftlichen Diskurs) sich in der Struktur von Zweigs Texten wiederfindet, nämlich eine ähnliche Stimmung aufzubauen, die dann aber nicht unbedingt mit den exakt verlaufenden Ereignissen korrespondieren müssen und weniger einen Verlauf und die Komplexität von Situationen beleuchtet, als sie mehr auf Personen, Schicksale und Augenblicke abzielt. Dieses Vorgehen war aber schon vor 100 Jahren recht erfolgreich, was dazu führte, dass Zweigs Miniaturen nochmals eine besondere Betonung im Kanon er Weltgeschichte bekamen. Das ist vielleicht ein Vermächtnis dieses Buches[4], welches ebenfalls zur Historie des letzten Jahrhunderts gehört, was die Zusammensetzung und Veröffentlichung der Novellen betrifft.

Das zeigt sich schon daran, dass in meiner, in der DDR herausgebrachten Ausgabe[5] aus dem Aufbau Verlag, zwölf „Miniaturen“ auffindbar sind. Tatsächlich waren in der ersten Ausgabe im Insel-Verlag nur fünf Geschichten veröffentlicht. Diese Ausgabe wurde schnell zu einem Verkaufsschlager in den zwanziger Jahren, durfte aber ab 1936 im Deutschen Reich nicht mehr verkauft werden, da die Nazis Zweig wegen seiner jüdischen Herkunft verboten hatten.[6] 1943 kam dann, kurz nach seinem Tod,[7] eine Sammlung mit zwölf Miniaturen heraus, bezeichnenderweise aber nicht in Nazi-Deutschland, sondern in Schweden. Seit 2012 – also 70 Jahre nach Zweigs Tod und dem Ablaufen des urheberrechtlichen Schutzes – kamen zwei weitere Erzählungen hinzu, nämlich Ciceros Einsatz für die römische Republik nach dem Tode Cesars und das Scheitern des US-Präsidenten Wilsons bei den Verhandlungen von Versailles. Diese beiden Geschichten wurden aber bereits 1940 in einer englischsprachigen Ausgabe veröffentlicht. Daher sind die „Sternstunden der Menschheit“ nicht nur wegen ihres Inhaltes ein Buch über die Geschichte der Menschheit, sondern für sich selbst als Geschichte eines Buches und seiner Veröffentlichungen ein beredtes Beispiel für den Verlauf des 20. Jahrhunderts.

[1] Das ist nun aber nicht verwunderlich, denn Hader hat nur ein Buch geschrieben und dies bereits 1987 veröffentlich, gemeinsam mit Gerhard Haderer (Nachnamenähnlichkeiten gibt es manchmal, man glaubt es kaum)

[2] Kleiner Teaser: dazu komme ich bald!

[3] „Immer sind Millionen Menschen innerhalb eines Volkes nötig, damit Genius entsteht, immer müssen Millionen müßige Weltstunden verrinnen, ehe eine wahrhaft historische, eine Sternstunde der Menschheit in Erscheinung tritt.“ (S. 5)

[4] Ein anderes Vermächtnis des Buches ist sein Titel und seine grundlegende Idee, besondere Ereignisse der Weltgeschichte hervorzuheben, Sternstunden scheinen sich für viele Fächer anzubieten, von der Physik bis zur Religion und auch Rocko Schamoni schrieb schon über Sternstunden, wenngleich die der Bedeutungslosigkeit.

[5] Mit einem sozialistisch gefärbten Nachwort von Herbert Weißhuhn.

[6] Zweig selbst wanderte schon 1934 aus Österreich aus, weil er als Pazifist und Jude (wenngleich, wie er selbst sagte, „aus Zufall“) keine Zukunft mehr in seiner Heimat sah und nach London ging.

[7] Er beging im brasilianischen Exil Suizid.

Schreibe einen Kommentar