Im Frühjahr dieses Jahres sah ich Denis Villeneuve’s Kinofilm „Arrival“, der auf einer Kurzgeschichte von Ted Chaing beruht. Die außergewöhnliche Science-Fiction Story erweckte mein Interesse an der Erzählung mit dem Titel „Geschichte deines Lebens“, welche hinter dem Drehbuch stand. Tatsächlich erschien diese Kurzgeschichte zusammen mit vier anderen unter dem Titel „Die Hölle ist die Abwesenheit Gottes“, war aber bereits nicht mehr erhältlich, als ich den Kaufwunsch bei meinem Buchhändler vortrug. Nach einem halben Jahr warten auf die Neuauflage, bekam ich im Herbst ein Buch des Golkonda Verlages in die Hand gedrückt, das den eigentlichen Buchtitel zugunsten des Filmtitels zurückgestellt hat und nun mit der recht eigenartig anmutenden Aufschrift: „Arrival. Die Hölle ist die Abwesenheit Gottes“ daherkommt. Das ändert aber günstiger Weise nichts am Text.
Die fünf Geschichten sind zusammen rund 220 Seiten lang und bieten auf den ersten Blick Science-Fiction Literatur an, erinnern aber viel mehr an Jorge Luis Borges „Fiktionen“ als an – sagen wir mal – Star Trek. Sie lassen sich deshalb vielleicht auch unter die Kategorie des magischen Realismus begreifen. Dazu eine kurze Inhaltsbeschreibung:
In „Der Turmbau zu Babel“ begleiten wir den Bergmann Hillalum, der mit seinen Kumpeln zum Turm von Babel gerufen wird, da dieser mittlerweile so hoch ist, dass er ans Firmament gestoßen ist, was es nun aufzubrechen gilt.
„Geschichte deines Lebens“ ist die schon erwähnte Erzählung, welche die Grundlage für den Film „Arrival“ gab. Aber anders als beim Film, sind bei der Geschichte ganz andere Prämissen gesetzt. Der Film fokussiert auf eine Science-Fiction Handlung mit unterschiedlichen menschlichen Interessen und einer Liebesgeschichte, während es bei Chiangs Erzählung eher um die Funktionsfähigkeit von Sprache geht und deren Konsequenzen fürs Denken und wenn man so will auch für das Bewusstsein und die Zeit.
Die titelgebende Geschichte „Die Hölle ist die Abwesenheit Gottes“ ist eine Erzählung über Glauben und die Unerklärbarkeit von Gottes Taten, oder wenn man so möchte, des Schicksals. Dabei verliert der Hauptakteur Neil Fisk seine Frau bei einer Erscheinung des Engels Nathanael. Er steht nun vor der Frage, warum Gott, der in Form von Engelserscheinungen, recht regelmäßig in das Leben der Menschen eingreift, dies getan hat bzw. welche Konsequenzen Fisk daraus ziehen sollte.
„Der Kaufmann am Portal des Alchimisten“ ist eine verschachtelte Geschichte über Zeitreisen und die Frage ob man den Lauf der Dinge durch Reisen in der Zeit beeinflussen kann.
„Ausatmung“ ist eine kurze Erzählung einer menschenähnlichen Gattung, die vor existentiellen Problemen steht, da sich ihre Umwelt verändert und sie gewahr wird, dass ihre Existenz nicht ewig wehrt.
Wer unter Science-Fiction Literatur Erzählungen versteht, die auf technische Wunderdinge einer möglichen Zukunft rekurrieren, der wird mit Ted Chaing nicht wirklich richtig liegen. Dem heute in Seattle lebenden Informatiker geht es in seinen Stories, mehr um philosophische Fragen, die so etwas wie metaphysische Spekulationen sind. Immer wieder kann man Chiang als jemanden verstehen, der einem größeren, oder höheren Prinzip hinterher spioniert, etwas das man vielleicht Schicksal, oder auch Gott nennen könnte. So kann man seine Geschichten tatsächlich auch als religiös bezeichnen, wenngleich nicht in einem dogmatischen und kodifizierten Sinn einer gottgegebenen Regelkunde für das Leben, sondern sie versuchen die Frage zu beantworten, was es für unser Leben bedeuten würde, wenn wir etwas näher an die unergründlichen Dinge herantreten könnten. Das macht Chaing vielleicht zu einem Borges unserer Tage, wenngleich ihm die sprachliche Brillanz und die wundervolle Selbstironie vielleicht etwas abgeht.