Thomas Piketty – Eine kurze Geschichte der Gleichheit

Aus der Reihe – our pathetic age

Erschien 2021 im französischen Original „Une brève histoire de l’egalitè“ bei Editions du Seuli | in deutscher Übersetzung von Stefan Lorenzer in der Sonderausgabe der Bundeszentrale für politische Bildung 2022 mit 264 Seiten

Die Prominenz und Aktualität von Themen ist immer eine Aussage über die Zeiten, in welchen wir Leben, den Geist der sie bestimmt. Dafür ist auch Thomas Pikettys „kurze Geschichte der Gleichheit“ ein schönes Beispiel. Pikettys „Kapital im 21. Jahrhundert“ war 2015 für mich eines der anregendsten Sachbücher, dass viel über die Ungleichheit in der Leitungsgesellschaft des Kapitalismus zu sagen hatte. Mit großer Freude sah ich dann, dass die Bundeszentrale für politische Bildung sein neuestes Buch „Eine kurze Geschichte der Gleichheit“ im Angebot hatte.

Leider täuscht der Name etwas über den Inhalt vor, denn wer eine historische Darstellung über die Geschichte von Ungleichheit erwartet, der wird nur teilweise bedient, wer aber generelle Einordnungen zum Thema Gleichheit bzw. Ungleichheit erhofft, der wird noch mehr enttäuscht.

Piketty stellt die rund 250 Seiten als Versuch vor, seine Arbeiten zusammenzufassen. Er verweist auf die nicht zu bestreitende Tatsache, dass es große wirtschaftliche Unterschiede der Menschen auf unserem Planeten gibt. Diese sind zwar in den letzten 200 Jahren geringer geworden, momentan aber wächst der Unterschied jedoch wieder an. Nach dieser Analyse[1], die auch die Herausforderung der klimatischen Veränderungen der Erde berücksichtigt, beschäftigt sich der zweite Teil mit Lösungsansätzen, wie insbesondere die wirtschaftliche Ungleichheit zwischen den Allerreichsten und den Millionen von armen Menschen eingedampft werden könnte. Insofern ist dieses Buch mehr ein politisches Manifest als ein Sachbuch. Diese Vorgehensweise hat zwar seinen eigenen Charme, aber als eine Geschichte der Gleichheit, welche die Ideengeschichte der Gleichheit mehr oder weniger ignoriert und sich fast nur auf wirtschaftliche Indikatoren stützt, ist dies etwas wenig.

Wie sich die zeitgeistige Aktualität des Buches leicht verschoben hat, zeigt sich in einem Vergleich von Pikettys „Kapital“ und seiner „Geschichte der Gleichheit“. Während das erste Buch am Grundgedanken der Leistungsgesellschaft andockt und fragt, wie sich Reichtum von Leistung ablöst,[2] obwohl eine Leistungsethik des Kapitalismus überall propagiert wird, spielt die Leistungsgesellschaft als treibende Kraft (oder Ideologie) der wirtschaftlichen Entwicklung in der „Geschichte der Gleichheit“ keine Rolle mehr. Hier argumentiert Piketty für einen demokratischen, dezentralisierten Sozialismus, der als Gegenmodell zum Kapitalismus funktioniert.[3] Darin spiegelt sich für mich eine Veränderung gesellschaftlicher Stimmung der letzten 10 Jahre, in welchen aus verschiedenen Richtungen, der Kapitalismus (dessen Ende schon seit vielen Dekaden verkündet wird) als gesellschaftlich anerkanntes Modell des wirtschaftlichen Zusammenlebens delegitimiert und hinterfragt wird. Dies passiert nicht nur vor dem Hintergrund des Gefahrenpotentials der Klimaveränderung, sondern gleichzeitig aus einer moralischen Legitimation, in welcher Gleichheit eine viel größere Bedeutung und Wertigkeit gewinnt. Man kann dies einerseits als Pikettys Stärke interpretieren, hier mit dem Zeitgeist und einer als progressiv empfunden Moral zu argumentieren, könnte ihm aber auch vorwerfen, genau diese Motivationen und Triebkräfte gesellschaftlicher Entwicklungen nicht mehr zu beschreiben und als Gegebenheit einfach hinzunehmen.[4]

Trotzdem ist „Geschichte der Gleichheit“ ein spannendes Buch, in Pikettys  sehr lesbaren Stil geschrieben, der durchaus auch mal ironisch sein kann und zugespitzt ist. Wer eine Einführung in seine Gedanken lesen möchte und ein Buch, dass sich vollkommen auf der Höhe des Zeitgeistes bewegt, der liegt hier keinesfalls falsch.

[1] Arm und Reich sind hier immer nur Zahlen von kollektiven Verhältnissen. Es gibt also immer nur die Ärmsten 50%, oder die reichsten 10%. Interne Veränderungen, ethnische, biologische oder soziale Veränderungen in diesen Gruppen bleiben immer unberücksichtigt. So gesehen ist Gleichheit immer nur von einer gesamtgesellschaftlichen Perspektive denkbar, in welchem die Ausschläge zwischen wirtschaftlich Arm und Reich möglichst minimiert werden, die Geschichte ob ein Tellerwäscher zum Millionär wird spielt keine Rolle.

[2] Reiche werden immer reicher, ohne im Gegenzug mehr Leistung dafür aufbringen zu müssen.

[3] Leider fehlt mir an dieser Stelle das Studium seines 2020er Buches „Kapital und Ideologie“. Aus diesem Werk könnte man diese Veränderung ableiten, nur finde ich diese Gedanken nicht ausreichend in der „Geschichte der Gleichheit“.

[4] Bei Piketty liest sich das in etwa wie eine Entwicklungslinie, neben dem langsamen Einebnen gewaltiger wirtschaftlicher Unterschiede (Könige vs. Bauern) kamen politische Einebnungen dazu mit der Einführung parlamentarischer Strukturen und der langsamen Durchsetzung, dass immer mehr Wähler an Wahlen teilnehmen konnten und ihre Stimme tatsächlich auch den gleichen Wert hatte (mit der Abschaffung des Zensuswahlrechtes und der Einführung des Frauenwahlrechts etc.). Diese Entwicklung bedarf aber einer ideologischen Unterfütterung, bzw. Legitimierung und hier bietet er nur wenig an Erklärungskraft an, daher warum kommen auf einmal solche Gedanken auf, warum gewinnen sie an Macht und Legitimität?

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