Idee: Scott Alexander und Larry Karaszewski | Krimi-Anthologieserie | 10 Folgen in der ersten Staffel | Erstausstrahlung 2016 auf FX
Ich befand mich in den Irrungen und Wirrungen des Teenager-Daseins, als ich vom O.J. Simpson Prozess in den USA hörte. Ich kannte Simpson aus den von mir damals sehr bewunderten „Nackte Kanone“ Filmen (und nicht als den American Football Star der 70er Jahre, der er wirklich war) und um ehrlich zu sein, hatte ich keine Ahnung, was da genau passierte, aber ich erinnere mich, dass ich froh war, dass Simpson freigesprochen wurde. Diese Freude war nur gefühlsmäßig, und ich kann mir die Richtung der Gefühle nicht mehr klar machen, denn ich hatte keine Ahnung von den Fakten des Falls (außer natürlich, dass er unter Verdacht stand, zwei Menschen umgebracht zu haben).
Jetzt, 25 Jahre später und nach dem Betrachten der 2.Staffel von American Crime Story, der sich mit dem Gianni Versace Fall beschäftigte, fiel meine Aufmerksamkeit auf die Aufarbeitung des Falls in der ersten Staffel der Anthologieserie „American Crime Story“, mit dem Untertitel „The People v. O.J. Simpson“, welche tatsächlich nie eine letztgültige Aussage darüber macht, ob O.J. Simpson (Cuba Gooding Jr.) seine Ex-Frau und ihren neuen Liebhaber getötet hat, oder nicht. Die Serie startet nach dem Mord an beiden Menschen, zeigt die Polizeiarbeit, die schnell darauf stößt, das O.J. Simpson verdächtig ist. Dessen bester Freund Robert Kardashian (David Schwimmer) stellt ein Dream Team aus Staranwälten zusammen, dass anfangs von Robert Shaprio (John Travolta) geleitet wird und zudem auch der etwas in die Jahre gekommene F. Lee Baily (Nathan Lane) gehört. Später beschließt man den redegewandte Johnnie Cochran (Courtney B. Vance) ins Team zu holen, der den Prozess als einen Fall von rassistischer Verfolgung von Schwarzen, durch das Los Angeles Police Department aufzieht. In diesem Department sind die Staatsanwälte Marcia Clark (Sarah Paulson) und William Hodgman (Christian Clemenson) davon überzeugt, dass die überwältigende Faktenlage, für einen sicheren Schulspruch reichen wird, aber sie unterschätzen massiv den medialen Druck, dem bald Hodgman zum Opfer fällt, der daraufhin von Christopher Darden (Sterling K. Brown) vertreten wird. Und so entwickelt sich eine Serie, die ein wenig an das Muster von „Law and Order“ erinnert, die aber in 10 Folgen eine der besten Krimiserien der letzten Jahre darstellt, weil sie weit über den Fall hinausgeht.
Das großartige an dieser Serie ist, dass zwei Sachen kontrastiert werden, die wir beide für Verabscheuungswürdig halten. Zum einen die Gewalt an Frauen (und hier in gesteigerter Form sogar der Mord an einer Frau und ihrem neuen Freund) und zum anderen der latente und immer wieder aufpoppende Rassismus der Polizei (von Los Angeles). Dabei sollte bedacht werden, dass wir uns nur kurz nach den Ausschreitungen in Folge des Rodney Kings Urteils befanden, das auch den Anfang der Serie bestimmt.
Während die Fakten des Falls O.J. Simpson als Killer recht klar identifizieren, wird er auf der anderen Seite zu einem Symbol für die Opfer von Polizei-Rassismus gemacht und es zeigt uns immer wieder, dass hinter Symbolen etwas ganz anderes stecken kann, als ihre Wirkmächtigkeit besagt (O.J. Simpson war kein Vorkämpfer für die Bürgerrechte der Schwarzen, er war eher ein angesehener Bewohner seines hauptsächlich weißen Nobelvororts von LA). Diese Serie zeigt uns nicht nur den Kampf zwischen zwei Narrativen, oder besser gesagt, sogar deren Etablierung, sondern sie zeigt uns ebenso, dass es um die Ausweitung der Kampflinie geht, so wie es um die Wirkmächtigkeit des Narratives geht, nicht um seine Faktizität. Das ist ein tagesaktuelles Thema, denken wir nur an die letzten Präsidentschaftswahlen in den USA, in welchen versucht wurde durch Narrative (die Wahl muss gefälscht sein, wenn „mein Kandidat“ nicht gewinnt) sich über objektive Fakten (Auszählung von Stimmen) zu erheben. Und so wird aus „The People Vs. O.J. Simpson” eine Serie, die auf vielen Ebenen unsere heute Zeit, zu Beginn der 20er Jahre beschreibt. Allein das Duell zwischen Fakten und Narrativen ist dabei extrem vielschichtig, denn wie glaubwürdig sind Fakten, wenn sie gegen ein Narrativ erzählt werden, oder noch anders gewendet: sind Fakten, die ein Rassist gegen einen Schwarzen sammelt, weniger faktisch? Nochmal andersherum gesagt, kann man Fakten vertrauen, die von Einrichtungen gesammelt werden, die mindestens mal teilweise ein Problem mit Rassismus haben? Diese Serie zeigt uns, dass wir in einen Glaubenskrieg gelangt sind, in welchem sich Fakten immer schwerer als solche identifizieren lassen, geschweige denn ihre Gewichtung klar erkennbar scheint.
Als Interpretationsrahmen würde, das schon für eine gute Serie ausreichen. Hier wird eine hervorragende Serie daraus, weil sie es schafft mit großartigen Schauspielern ihre Figuren komplex und reichhaltig zu füllen. Sarah Paulson bleibt dabei als in Scheidung lebende Mutter und plötzlicher Star der Öffentlichkeit sicherlich ebenso in Erinnerung, wie der immer wieder Ungerechtigkeiten aufspürende Charakter des Johnie Cochran, der sehr eindrucksvoll von Courtney B. Vance gespielt wird. John Travolta überzeugt aber ebenso als eitler Staranwalt, wie David Schwimmer es immer wieder schafft, seinen Figuren eine innere Unruhe und Unsicherheit zu verpassen. Eine wundervolle Serie, die viel mehr ist als eine Gerichtsserie.