Christian Kracht – Imperium

Das 20. Jahrhundert kann man ohne viel geschichtliches Hintergrundwissen und Fantasie als das Säkulum der in der Praxis durchgeprobten Ideologien interpretieren. Teilweise waren diese Ideengebäude äußerst instabil und orientierten sich eher an den personifizierten Verkörperungen ihrer Führer als an logischer Stringenz, was nicht wirklich so dramatisch gewesen wäre (auch heute gelten ja starke Führerpersönlichkeiten immer noch als en vogue), hätten nicht viele Millionen Menschen ihr Leben lassen müssen, nur weil sie nicht in den kleinen Baukasten der Weltanschauung passten, mit welchem jeweils gerade die Welt verändert zusammengebastelt werden sollte.

August Engelhardt, Heuptfigur in Christian Krachts Roman „Imperium“ ist von der aufkommenden Moderne mit ihren zivilisatorischen Neuerungen erschüttert. Das Jahr 1900 ist gerade erst vorüber, als er sich in die Südsee aufmacht, in die Kolonie Deutsch-Neuguinea. Dort möchte er seine Idee des „Kokovorismus“ leben, wobei es sich um eine Radikalisierung des vegetarischen Grundgedankens handelt, gesteigert darin, sich nur von Kokosnüssen zu ernähren. Diese ist für Engelhardt die göttlichste aller Früchte, denn sie hängt dem Himmel am nächsten, weshalb Körper und Geist nicht nur von den Qualen der sich rasend verändernden Welt befreien können, sondern sogar ein neues spirituelles Lebensgefühl erreicht werden kann. Engelhardt kauft sich die kleine Insel Kabakon in der Nähe der Kolonie-Hauptstadt Herbertshöhe, lässt die Einheimischen für sich arbeiten und wirbt für seine Idee, zu der es auch gehört unbekleidet zu leben, was temperaturmäßig in der Südsee kein Problem darstellt. Und tatsächlich kommen auch bald die ersten Jünger.

„Imperium“, Krachts 4.Roman, orientiert sich an der historischen Gestalt August Engelhardts. Es geht Kracht aber nicht um eine dokumentarische Rekonstruktion des Lebens Engelhardts, sondern um das Aufzeigen der praktischen Umsetzung von Ideologien (mögen sie auch noch so beknackt sein) und deren Auseinandersetzung mit der Umwelt (die in Engelhardts Fall bestenfalls verhalten auf seine weltverbessernden Ideen reagiert). Kracht gelingt es eindrücklich zu zeigen, wie Weltanschauungen gleichzeitig freiheitlich (im Sinne von neuen Wegen gehen, einer besseren Welt erschaffen, mit Problemen brechen) und verbohrt sind (in ihrer mehr oder weniger dogmatischen Interpretation der eigenen Lehre, deren Hauptproblem es immer ist, sich an der Praxis orientieren zu müssen) und er kreiert dabei ein Bild des 20.Jahrhunderts im Kleinen, das den Schrecken des Großen vorwegnimmt. „Imperium“ ist gleichzeitig ein wundervoll geschriebener Abenteuerroman und eine humorvolle historische Rückschau auf das Zeitalter des Imperialismus.

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