George Packer – Die Abwicklung. Eine innere Geschichte des neuen Amerikas

2016 ist Wahljahr. Obwohl zahlreiche interessante und wichtige Landtagswahlen in Deutschland stattfinden, scheint sich doch das mediale Interesse auf die Präsidentschaftswahlen in den USA zu konzentrieren, wo momentan nach jeder Vorwahl schon Analysen angestellt werden, was dies für die Welt bedeuten könnte. Trotzdem ist die USA ein faszinierendes Land und die Präsidentschaftswahlen sind zweifellos nicht wirklich weltpolitisch unentscheidend, zu aller erst für das Land und dann auch irgendwie für den Rest des Planeten. Fragt man sich warum dort momentan Kandidaten wie Bernie Saunders oder Donald Trump, die scheinbar einen Gegenentwurf zum Establishment darstellen, so großen Erfolge haben, so lohnt ein Blick auf die Stimmung im Lande.

Einen solchen liefert George Sanders mit seinem 2013 erschienen Buch „Die Abwicklung“. Wer nun, wie ich, eine Zustandsbeschreibung der USA erwartet hatte, die unter einen analytischen Konzept, wie beispielsweise die „Abwicklung die Strukturen eines Landes“ beschreibt, der wird nach drei Seiten eine gewisse Enttäuschung feststellen. Saunders sieht in der Abwicklung, wie sich die sozialen Bande lösen, wie das organsierte Geld in sich aufstoßende Lücken stößt, wie neue Freiheiten entstehen und diese neuen Freiheiten, Illusionen entstehen lassen, wie die Gewinner immer mehr gewinnen und die Verlierer immer weniger haben und wie immer mehr Amerikaner auf sich gestellt sind, allein sind.  Doch statt nun mit Zahlen, Fakten und Zusammenhängen zu argumentieren, macht Saunders etwas anderes, er porträtiert Menschen. Neben einigen bekannten Persönlichkeiten, wie dem ehemaligen Außenminister Colin Powell, der Talk-Ikone Oprah Winfrey, Rapper Jay-Z oder Wal-Markt Erfinder Sam Walton, richtet der Autor verstärkt den Fokus auf drei Personen: den stets um eine erfolgreiche aber auch nachhaltige Idee bemühten, aber erfolglosen Unternehmer Dean Price, dem demokratischen Politiker bzw. Politikzuarbeiter Jeff Connaughton und der engagierten Arbeiterin Tammy Thomas. Alle drei werden biographisch über mehr als dreißig Jahre dargestellt, wobei die größte Aufmerksamkeit der letzten Dekade bis zum Jahr 2012 geschenkt wird. Daneben beschreibt Saunders Orte, die das heutige Amerika beschreiben sollen; Silicon Valley und Tampa. Und auch in den Beschreibungen der Zustände vor Ort, beleuchtet er den Geist und die Meinung ausgewählter Personen, ebenso wie die gesellschaftlichen Zustände.

Das alles macht Saunders ohne sich klar zu positionieren, ohne eine Richtung als die Richtige vorzulegen. Er versucht vielmehr die Motivationen, die Lebensgeschichte und die Umstände der Personen zu zeigen. Zweifellos liegen seine Sympathien nicht bei Personen wie dem Republikaner Newt Gingrich oder dem Rechtsaußen Blogger Andrew Breitbart, aber er versucht zu verstehen, was Amerika im Inneren bewegt. Das alles fügt sich zu einem Mosaik zusammen, bei dem man die Gebrochenheit des Landes überdeutlich wahrnimmt. Was Amerika eint, ist das Gefühl, dass die Eliten sich selbstverliebt immer weiter abschotten, zu einem Zirkel werden, der eigene Gesetze ausgibt und für sich in Anspruch nimmt und der eine hohe Undurchlässigkeit einrichtet. Diese Eliten, seien es die Banker an der Wall Street oder die Politiker in Washington sind es, die den Missmut der anderen auf sich ziehen und, vertraut man den Erlebnissen von Jeff Connaughton, dies wohl nicht vollkommen zu Unrecht. Doch nicht etwa wird das Land geeint, in der Missgunst mit den Obrigen, in der Kritik mit den Zuständen und dem geistigen Gefüge, das als beherrschend wahrgenommen wird, vielmehr wird es gespalten, in zueinander scheinbar inkompatiblen Fraktionen. In libertäre Unternehmer wie Peter Thiel, der den Staat abschaffen möchte, um mehr Freiheit zu erhalten (interessanterweise aber gegen selbstfahrende Autos nichts hätte, damit niemals mehr Stau entsteht). In kämpfende Arbeiterinnen wie Tammy Thomas, die ihre Stadt Youngstown verfallen sieht und nicht zusehen will, wie Häuser verrotten, Drogen-Banden ihr Unwesen treiben und Fabriken geschlossen werden. In Menschen, wie Jeff Connaughton, die sich inspirieren lassen von den Möglichkeiten der Politik, von der Idee etwas zum Guten zu verändern und dann feststellen müssen, dass wirkliche Veränderung oder gar Verbesserung wieder besserem Wissens und Argumenten gar nicht gewollt ist. Oder in Städten wie Tampa, wo die Immobilienkrise besonders schlimm wütet, aber niemand daran interessiert ist zu fragen, wie es dazu kommen konnte, wer Fehler gemacht hat und wie man es in Zukunft besser machen könnte.

„Die Abwicklung“ ist ein spannendes Buch über Amerika, eine Zusammensetzung unterschiedlicher subjektiver Ansätze, Ideologien und Wahrnehmungen. Eine Zustandsbeschreibung, die uns ein Land näher bringt, dass uns so dominant nahe zu sein scheint, dass Anti-Amerikanismus eine neue Art von Mode-Argumentation hierzulande ist, ein Land aber auch, dass gleichzeitig in seiner Komplexität, in seiner Zerrüttetet und seinem Spirit, doch so weit entfernt von uns ist. Doch selbst wenn man sich sagt, über die USA höre ich schon genug, die können mir gar nichts sagen, so ist „die Abwicklung“ von Georg Saunders doch auch ein Blick auf eine Gesellschaft, die sich ansatzweise auch mit den Zuständen in Deutschland vergleichen lässt.

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