The Lobster

Über Zusammensein, Alleinsein und Liebe wurde in der menschlichen Geschichte nicht gerade wenig gesprochen, gesungen und philosophiert. Die inhaltlichen Darreichungsformen gingen dabei in unterschiedliche Richtungen, vom schmerzvollen Trennungslied bis hin zur romantischen Komödie mit Happy End. In gewisser Weise ist Giorgos Lanthimos englisch-sprachiges Filmdebüt aus dem Jahr 2015 ebenso ein Film dieses Genres, aber das auf einer ganz anderen Ebene.
„The Lobster“ spielt in einer dystopischen Gesellschaft, die radikal zwischen Paaren und Singles trennt. Die Paare leben in der Stadt und wer Single wird, aus welchen Grund auch immer: Trennung oder Tod des Partners, der muss in ein Hotel, zu einer Art Anbandelungsurlaub. Doch aufgemerkt, wer sich nicht in 45 Tagen einen neuen Partner angelt, der wird in ein Tier seiner Wahl verwandelt. Der Ausdruck: „ich werd zum Tier“ bekommt da eine ganz neue Bedeutung. Jetzt könnte man ja meinen, 45 Tage in einem Flirtcamp, da wird sich schon irgendeine(r) finden, aber in Lanthimos dystopischer Welt stoßen wir auf ein Sozialverhalten, dass den Charme der Bedienungsanleitung eines Videorekorders hat und so viel Ironie kennt, wie ein drei-jähriges Kind. Über Humor müssen wir gar nicht erst reden. Wie günstig ist es da, dass man sich eine Aufenthaltsverlängerung besorgen kann und das bei gemeinsamen Jagdausflügen im Wald. Dort leben, ausgestoßen von der Gesellschaft, die Singles zusammen mit den Tieren. Mit Betäubungsgewehren bewaffnet gehen die Hotelbewohner auf die Jagd nach Singles und wer einen trifft, der darf einen Tag länger im Hotel einen Partner suchen.
Die Erzählerin des Films (Rachel Weisz) berichtet uns vom Schicksal des verlassenen David (Colin Farrell), der zusammen mit seinem ehemaligen Bruder, einem heutigen Hund, in das Hotel einzieht, um eine Frau zu finden. Ihm und den anderen Gästen, wie seinen beiden männlichen Bekannten, einem Mann der stark lispelt (John C. Reilly) und einem hinkenden Mann, dessen Frau vor 7 Tagen starb (Ben Whishaw) wird im Hotel von der resoluten Managerin (Olivia Colman) und dem Personal (u.a. Ariane Labed) durch Gesellschaftstanz, Animation und kleine Theaterspiele auf anschauliche Art und Weise klar gemacht, dass „Single sein“ keinerlei Vorteile hat. Doch die Frauen im Hotel sind so alle nicht ganz nach Davids Geschmack und er findet kaum Gemeinsamkeiten mit den Damen, wie der ständig aus der Nase blutenden Frau (Jessica Barden) oder der erbarmungslos Gefühlskalten (Angeliki Papoulia). Und so verrinnen die Tage.     

Ich bin mit keinerlei Erwartungen in „The Lobster“ gegangen und verließ das Kino vollkommen fasziniert. Giorgos Lanthimos bitterböse Dystopie ist ein absolutes Glanzstück! Das liegt vor allem an seinem Entwurf einer uns so scheinbar fremden Welt, die dann doch recht viele Rückschlüsse auf unser Zusammenleben aufgibt. Der Film ist eine fast schon soziologische Studie des menschlichen Zusammenseins. Er spiegelt unser gesellschaftliches Versprechen von Liebe (allein beim Betrachten der Werbung von Partnervermittlungen bekommt man eine Ahnung davon, wie in alle Wolken geschossen der Begriff „Liebe“ in unseren Tagen überhaupt ist und wie sehr gesellschaftlich das Allein-Sein als Verlust oder Unerfülltheit definiert wird). Wer allein lebt, der ist anormal, der gehört aus der Gesellschaft verstosen. Das alles kontrastiert Giorgos Lanthimos aber mit einer Menschheit, die wie in einem emotionalen Nebel wohnt, in denen Gefühle wie hinter einer Glasglocke lediglich leicht zu wabern scheinen. Wichtig ist in dieser Welt nicht die Emotion zu anderen Menschen, sondern das Zusammensein mit jenen. So gibt auch das Hotel keine Flirttipps an die Hand (die tatsächlich alle Gäste dringend benötigen würden), sondern zeigt nur, wie schrecklich das Alleinsein ist. Höchst spannend ist auch, dass sich in der gezeigten dystopischen Welt, Liebe daher nur noch durch eine objektive Tatsache wirklich manifestieren lässt. Daher; die ständig Nase blutende Frau benötigt einen Mann, der möglichst auch so einen, oder einen ähnlichen Defekt hat, die Gefühlskalte Frau, braucht einen hartherzigen Mann, sonst werden sie sich einfach nicht verlieben, oder noch drastischer gesagt, sonst wird kein Gefühl von Liebe im vermeintlichen Paar aufkommen können. Das alles macht „The Lobster“ schon zu einem Werk über die Bedeutung der Liebe, das im Anspruch vielleicht mit Luhmanns historischer-sozilogischer Studie „Liebe als Passion“ zu vergleichen ist, nur eben als fiktive Dystopie. Ein Film, der mit bösartiger Überspitzung danach fragt, wie unsere Gesellschaft uns, von Liebe erzählt und wie wir darauf reagieren.
Das ist allein schon von der Erzählung her großartiges Kino. Dazu kommt eine Mischung aus wundervoll bitterbösem Humor und fast schon nicht mehr ertragbar tragischen Szenen, teilweise grandiose Einstellungen, die auch in ihrer Länge absolut überzeugen, wundervolle Schauspieler mit einer beachtlichen Leistung von Colin Farrell und eine Regie, die zu jeder Zeit weiß, was sie tut. Ein Film der so unglaublich viele Interpretationen anbietet, der einen nachdenkend zurücklässt und der nicht ganz zu Unrecht sehr viele Preise, u.a. den Preis der Jury in Cannes 2015, gewonnen hat. In einem Wort: Meisterwerk.

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