Ian McEwan – Saturday

Es dürfte sie schon etwas langweilen, wenn ich sie immer wieder damit behellige aus welcher Motivation heraus ich die einen oder anderen Autoren lese, aber ich mache es trotzdem (hauptsächlich darum, damit ich es nicht vergesse, ich möchte sie gar nicht langweilen).
An einem Sonntagvormittag im Herbst sind die Pläne für den Tag gemacht, denn es soll zur Buchmesse gehen. Was könnte da inspirierender wirken, als eine Buchsendung, von eben jener Veranstaltung im Fernsehen zu schauen, quasi als Vorbereitung. Und in eben jenem Medium fällt das Wort der vier Rezensenten auf Ian McEwan, der einhellig als großer Autor gelobt wird. Sein neues Buch „Honig“ wird in wohlwollenden Tönen besprochen, meine Aufmerksamkeit steigt und ich notiere mir den Namen in meiner Bücherliste. Da gebrauchte und etwas ältere Bücher aber preiswerter sind und meine Bücherliste sowie, so schon ein nicht gerade kleines Ausmaß annahm und damit nicht unerhebliche Anschaffungskosten verbunden waren, beschloss ich ein etwas älteres Werk des mittlerweile 65-jährigen Briten zu erwerben, dass man aus zweiter Hand bekommen könnte. In jener Buchsendung wurde von McEwan weiterhin „Solaris“ sehr gelobt, was leider (wohl auch wegen des öffentlichen Lobes) den Bestand in Online Gebrauchtbuchläden zu stark dezimierte und ich daher auf „Saturday“ zurückgreifen musste, ein dritter kurz Erwähnung findender Roman, der in jener Sendung allerdings etwas kontrovers diskutiert wurde. Das hat aber den Vorteil, dass der Internetlieferant meiner Wahl das Buch noch zu einem sehr günstigen Preis anbot. Also, bestellt!

Bei „Saturday“ wird ein Tag aus dem Leben des Neurochirurgen Henry Perowne erzählt. Wie nicht anders zu erwarten ist, handelt es dabei um einen Samstag (mir bleibt es aber ein Rätsel, warum man den Titel des Romans nicht ins Deutsche übersetzt hat, so wie bei jedem seiner anderen Bücher). Henry ist früh schon auf, denn er kann nicht schlafen, er schaut von seinem großen Stadthaus auf dem Fitzroy Square in der Innenstadt Londons auf die Lichter der Stadt und erkennt am Himmel ein brennendes Flugzeug, dass sich Richtung Heathrow bewegt. Ein bemerkenswerter Start in den Tag. Später, am Vormittag, wird Henry noch zum Squash fahren, um sich mit einem amerikanischen Kollegen zu duellieren. Auf dem Weg dorthin kommt es zu einem kleineren Unfall, mit einem Halbkriminellen, namens Baxter und zwei seiner Bandenmitglieder. Doch bevor die Lage unübersichtlich wird und Baxter Geld einfordert oder bei Nichterhalt Gewalt ausüben möchte, stellt Henry fest, dass der aufdringliche Halbkriminelle eine neuronale Krankheit hat und weiß diesen Fakt geschickt auszunutzen, um die Situation aufzulösen. Er hat schließlich noch einen großen Tagesplan abzuarbeiten und wäre bei einer Balgerei deutlich unterlegen. So muss er nach dem Spiel noch seine Mutter in einem Alzheimer Pflegeheim besuchen, an der Probe der Band seines gerade Volljährigen Sohns Theo teilnehmen und für den Abend ein Familienessen vorbereiten, bei der nicht nur sein streitsüchtiger Schwiegervater, der berühmte Dichter John Grammaticus zu gegen sein wird, sondern auch seine Tochter Daisy einzutreffen gedenkt, die seit einem halben Jahr in Paris wohnt und sich dort als Lyrikerin recht erfolgreich versucht. Seine über alles geliebte Frau Rosalind muss derweil den Sonnabend in ihrer Kanzlei verbringen, um einen wichtigen Termin vorzubereiten, hat sich aber vorgenommen pünktlich zum Abendessen ins Haus zu kommen.

Die Grundstimmung von „Saturday“  wird geprägt von einer (auch tatsächlich an diesem Tag, dem 15. Februar 2003, stattgefundenen) Großdemonstration gegen den Irak-Krieg, die als Rahmenhandlung fungiert und damit auch eine politisch-zeitgenössische Perspektive der Handlung verleiht. Und so kreisen Henrys Gedanken auch immer wieder um die Frage, ist dieser bevorstehende Krieg ein notwendiger und gerechter Feldzug.[1] Doch das ist nur der Hintergrund der Handlung, die Frage was werden soll, die Angst vor etwas Großem, wie eben ein Krieg und der Frage, welche Konsequenzen dieses weltpolitische Ereignis haben würde, auch an Orten die scheinbar weit weg vom Geschehen liegen.
Doch der Leser folgt der Welt der Familie Perowne und nicht globalen Problemen und bleibt im Kleinen, statt bei den großen Zusammenhängen. Bei der Beschreibung der Familie fühlte ich mich an eine TV-Serie meiner Kindheit erinnert, der Cosby Show. Dort – in der Familie Huxtable – herrschten nie ernsthafte Probleme und alle schienen in einer harmonischen Welt zu leben, immer mal mit dem ein oder anderen Alltagsproblem, aber nichts wirklich Bedeutendem, Veränderndem. Auch den Perownes scheint es so zu gehen und nur die Welt da draußen verändert sich ständig. Finanziell abgesichert und eher zur unteren Oberklasse, als zur oberen Mittelklasse gehörend, ist das Leben der Familie in einer irgendwie fast schon befremdlichen Art harmonisch. Alles scheint irgendwie gut, ausgewogen und richtig zu sein, die Mitglieder der Kernfamilie haben keine wirklichen Fehler und Probleme und leben in einem friedlichen Nebeneinander (man könnte Argumentieren dass dieses Seichte, Unkritische, der Liebe des Hauptdarstellers Henry zu seiner Familie geschuldet ist, aber auch da überrascht doch die Einseitigkeit der Sicht der Dinge etwas). Für einen Roman – und irgendwie auch für das „wahre Leben da draußen“ – klingt dies alles etwas langweilig und nicht so recht glaubhaft und doch kann „Saturday“ damit punkten, dass dem Roman, der Zauber der idealen Familie anhaftet, des glücklichen Paares mit den wunderbaren Kindern mit befriedigenden und lukrativen Jobs und dem behütenden Haus, in das man nach dem erledigtem Tagewerk zurückkehrt.

Letzendlich ist mein Blick auf „Saturday“ geteilt. Auf der einen Seite ist gerade in den politischen Passagen das Buch ärgerlich simpel und die Familie irgendwie zu harmonisch glatt gebügelt und man fragt sich, ob dieses Bild nicht zu sehr dem Klischee, der wohlhabenden Familie des gehobenen Bildungsbürgertums entspricht. Zu sehr gibt McEwan seinem Helden Henry ein gewisses Understatement mit und bricht es dann wieder auf. Nur ein Beispiel: er wird als eigentlich recht wenig lesend vorgestellt (weil in seinem Job aufgehend und viel Zeit investierend), nur um an zahlreichen Stellen zu erwähnen, wie sehr er sich in dem einen oder anderen Bereich außerhalb seiner Profession als führender Neurochirurg informiert, wie er zu allerlei Problemen und Themen tiefere Kenntnisse hat und gleichzeitig noch Muße findet, die recht umfangreiche Leseliste seiner Tochter abzuarbeiten.
Auf der anderen Seite fesselt dieses Buch dann doch (nicht etwa mit den viel zu langen Passagen einer Gehirnoperation oder einer eher witzlosen Beschreibung einer musikalischen Probe). Es versucht das Leben darzustellen, wie es sich tagtäglich in uns allen wiederfindet. In den kleinen Dingen des Alltages und des Miteinanders, die wir machen, gelegentlich reflektieren und wie diese manchmal zu großen Dingen werden. Wie die Zeit voranschreitet und wie wir zurückblicken. Und so ist „Saturday“ ein Werk über unser Leben in der Stadt (vielleicht auch ein wenig ein London-Buch) in der westlichen Welt im 21. Jahrhundert. Teilweise gewöhnungsbedürftig, aber doch auch irgendwie bleibend, allerdings nicht zeitlos.

[1] Aus heutiger Sicht wirkt gerade diese Frage veraltet und nur unzureichend reflektiert und man fühlt sich etwas gestört von der doch recht simpel wirkenden Argumentation und fragt sich, ob man 2005 (als das Buch herauskam) ähnlich einfach darüber dachte. McEwan lässt seine Figuren lediglich das Für- und Wieder diskutieren und mögliche zukünftige Optionen durchspielen und wenn man bedenkt welche – ziemlich verheerende – Konsequenzen der Feldzug hat fällt auf, dass McEwan über das tatsächliche Resultat des Krieges, nämlich ein Land jahrelangen Terror auszusetzen, kein Wort verliert. War das damals denn nicht vorstellbar, in einer Welt die Terror überall sah? Sicherlich ist unser heutiger Blick auf den Krieg ein anderer und man konnte damals einfach noch nicht wissen, dass es im Jahr 2013 nicht mehr viele Menschen, auch im Westen, gibt, die den Irakkrieg für Richtig hielten.

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