Idee: Christopher Storer | Dramedy-Serie | Staffel 1 mit 8 Folgen (bisher 3 Staffeln) | veröffentlicht 2022 auf Hulu, in Deutschland auf Disney+
Im fast unüberschaubaren Universum, der mich interessierenden Podcasts, gab es nun schon zwei Episoden unterschiedlicher Sprechergruppen, die sich über die Serie „The Bear“ unterhalten haben. Beispielsweise in dem von mir leider viel zu selten gehörten Feuilleton Podcast der Wochenzeitung „Zeit“ mit dem schönen Titel „Die sogenannte Gegenwart“. In Episode „Wie geht achtsames Ausrasten“ habe ich erstmals von der Serie gehört. Und als vertrauter Leser dieser Zeilen wissen Sie vielleicht, wie sehr mich solche Hinweise anfixen können. Da dann auch nochmal in einem anderen Podcast über diese Serie geredet wurde, dachte ich mir, der Bär kann nicht viel länger warten.
Bei „The Bear“ übernimmt ein Sternekoch Carmy Berzatto (Jeremy Allen White) die bessere Sandwichbude seines Bruders, der ihm in seinem letzten Willen (vor seinem Selbstmord) das Restaurant vererbt hat. Doch die Lokalität ist in keinem guten Zustand. Da ist zuerst die geografische Lage, in einem eher nicht so glamourösen Viertels Chicagos. Dann ist das Restaurant selbst in keinem guten baulichen Zustand. Zwar arbeitet die Belegschaft hart, ist sich aber auch für keinen Streit zu schade und mittendrin ist immer Cousin Richie (Ebon Moss-Bachrach), der selbsternannte Leiter der Einrichtung, der aber eher ein dysfunktionaler Kellner und ein ständiger Unruheherd ist und selbstverständlich nicht mit Carmy verwand ist. Letztgenannter neuer Chef holt sich mit Sidney (Ayo Edebiri) eine fähige und ambitionierte Mitarbeiterin in die Küche, deren Talent beachtlich erscheint, die aber schnell die sozialen Grenzen eines Restaurantbetriebes erreicht.
Das faszinierende an „The Bear“[1] ist, dass die Serie in vielen Facetten aus der bestehenden Serienlandschaft ausbricht. Sie wirkt wie eine New Yorker Serie, doch man wird sehr schnell darauf hingewiesen, dass wir in Chicago sind und als Porträt über die drittgrößte Stadt der USA ist schon Staffel eins herausragend gelungen. Noch mehr beeindruckt das zwischenmenschliche dieser Serie. Da ist zuallererst der Stress, der Streit, die Lautstärke, die fast schon psychische Gewalt, die den täglichen Restaurantbetrieb ausmachen und trotzdem schimpft sich die Belegschaft eine Familie zu sein und zelebriert dies auch noch. Diese sozialen Spannungen aufzunehmen, gelingt „The Bear“ auf bisher so nicht zu sehende Art und Weise. Ein Höhepunkt ist Folge sieben mit dem Titel „Kritik“, in dem ein normaler Arbeitstag explodiert. Diese Explosion ist als minutenlanger One-Shot aufgenommen. Allein diese Szene ist atemberaubend, erschütternd, theatralisch oder einfach nur sehr, sehr gut.
Der Zuschauer erlebt aber nicht nur, dass der Restaurantbetrieb kein soziales Zuckerschlecken ist, die Serie weist uns vielmehr daraufhin, dass soziale Kontakte immer auch Dissonanzen erzeugen, dass man diese Dissonanzen aber aushalten kann (auch wenn es fast unerträglich erscheinen mag), dass Kommunikation ebenso als Streit weitergeführt werden kann und nicht abgebrochen werden muss. Dissonanz muss nicht mit dem Rückzug in die eigene Bubble enden, das ist vielleicht eine der zentralen (und heutzutage umso wichtigeren) Aussage.
„The Bear“ ist das Gegenteil einer guten Laune Serie, die uns von unseren Alltagssorgen ablenkt. Sie thematisiert den Alltag in einer Restaurantküche und verzichtet fast komplett auf jegliche romantischen Gefühle. Sie fokussiert unser berufliches Zusammenleben als Menschen mit Zielen, Wünschen und Hoffnungen und sie gleicht diese ab mit den Herausforderungen, die uns täglich umgeben, wo es manchmal nicht um die Realisierung der Perfektion, sondern um das einfach nur (gut) machen geht.
Das „The Bear“ dies so rüberbringt, liegt dann auch an einer hervorragenden Kameraarbeit (die gute Serie heutzutage aber fast schon haben müssen; hier besonders neben den Street-Aufnahmen, besonders die Close-Ups von Personen), welche in vielen beindruckenden Bildern und in der sehr guten Zumischung eines Soundtracks eine brillierende Serie über Arbeit, Essen, Streit und Chicago erschafft, ein weiteres Serienhighlight des Jahres.
[1] Ich wollte es eigentlich aufgeben mich darüber aufzuregen, aber aufregen passt so schön zur Serie. Der deutsche Titel des amerikanischen Originals „The Bear“ lautet: „The Bear: King of the Kitchen“. Wer bittet entscheidet so etwas? Warum ein deutscher Titel, der in englischer Sprache gehalten und nicht übersetzt wird, dann auch noch mit einen weiteren englischen Untertitel bekommt ist mir absolut schleierhaft?