Paul Ingendaay – Gebrauchsanweisung für Spanien

Außer meinem Heimatland ist mir kein Land so nah, wie Spanien. Was läge da näher, bei einem Besuch im geschätzten „Zweitbuch“ in Wiesbaden das Sonderangebot „Gebrauchsanweisung für Spanien“ von Paul Ingendaay zu erwerben und das aus drei Gründen. Der Wichtigste: ich mag Paul Ingendaay‘s Blog über Spanien in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und habe diesen immer mit großem Interesse gelesen, auch wenn ich ihn in letzter Zeit nicht mehr finde. Zweitens, ich war an jenem Tag im Buchladen eigentlich auf dem Weg nach Spanien und drittens (und am wenigsten wichtig), im „Zweitbuch“ sind (fast) alle Bücher immer billiger, was mich automatisch animiert etwas zu kaufen und dann kaufe ich natürlich das Beste was ich sehe.

Was kann man nun von einer Gebrauchsanweisung erwarten, noch dazu über ein Land wie Spanien, dass sich schon wegen seiner außerordentlichen Vielfältigkeit sehr schwierig beschreiben lässt. Selbstverständlich keinen allumfassenden Blick. Den gibt es nicht. Ingendaay meidet diese Schwierigkeit in dem er mehr davon berichtet, was für ihn Spanien ausmacht und weniger sich in eine Analyse kniet, worin die Einheit der Vielfalt liegen könnte. Aber da kommen wir auch schon zu dem eher ungewöhnlichen Titel „Gebrauchsanweisung“ mit dem der Pieper-Verlag wohl so etwas wie einen alternativen Reiseführer meint, der in irgendeiner Art und Weise den Gegenstand unkonventionell, aber eben doch sinngemäß erfassen will. Ingendaay verfährt zweifach, zum einen zählt er die manchmal wunderbaren, manchmal ungewöhnlichen, manchmal nervenden Eigenheiten auf, die man in Spanien erleben kann; den Stierkampf, den Immobilienwahn, die spanische Bar, die ETA, den Strand, die Feste und vieles mehr. Auf der anderen Seite benutzt er seine eigenen zahlreichen Erlebnisse, um Geschichten aus dem Land zu erzählen. Das gelingt manchmal bewundernswert, wie bei der Frage der Aufarbeitung des spanischen Bürgerkriegs, einer kurzen Darstellung der Presse im Land oder bei der Beschreibung der Exklave Melilla im Norden Afrikas, manchmal hat man aber eher das Gefühl seine Geschichten müssen für einen Gegenstand herhalten (nämlich der Frage, was Spanien ausmacht), liefern dafür aber gar keine landestypischen Beispiele (wie beim Besuch eines Opernkonzerts im Teatro Real). Ich kann fast alle Beobachtungen teilen, außer vielleicht, das übertriebene Lob auf die spanische Kellnergilde (zweifellos gibt es in Spanien hervorragende Kellner, aber genauso muss man von Personen berichten, denen der Servicegedanke vollkommen fremd erscheint und die sich auch nicht für das Trinkgeld ins Zeug legen, da es dieses in Spanien mehr oder weniger nicht gibt, auch ist die Häufigkeit auf welche Form Freundlichkeit man trifft stark gebietsabhängig) oder den manchmal etwas zu kurz geratenen Blick darauf, wie wunderbar unterschiedlich dieses Land sein kann. Doch trotz dieser Einwände ist die „Gebrauchsanweisung für Spanien“ ein wirklich gelungenes Buch zur Einführung in das größte Land Südwesteuropas, das historisch gern mal seinen Rücken dem restlichen Kontinent zugedreht und seine eigene Geschichte gemacht hat.

Und weil noch etwas Platz ist, möchte ich einige kleine Bemerkungen ergänzen, die mein Spanien ausmachen:

  • Die Zeit: Spanien hätte rein geografisch eine andere Zeitzone, nämlich die Britische, nicht die angewendete Mitteleuropäische. Das geht auf eine Reglung Francos zurück und macht Spanien zu einem Land, in dem selbst im Sommer die Sonne erst um 6:30 Uhr aufgeht, dafür aber erst um 22 Uhr unter (hier natürlich je nach Lage im Lande), wo die Sonne aber auch im Winter bis 18 Uhr leuchtet. Das verändert nicht nur den spanischen Tagesablauf (gegessen wird weitaus später), es scheint den Spaniern auch mehr Zeit im Allgemeinen zu geben (subjektiv kommt einem der Tag tatsächlich länger vor), die dann wieder irgendwo beliebig verloren werden kann, wie beim Anstehen im Supermarkt, wo die 2.Kasse nie aufmachen wird, egal wie lange die Schlange ist). Trotzdem ist diese zeitliche Einordnung weitaus praktischer, denn wer braucht wie in Deutschland einen Tag der kurz nach 4 Uhr früh im Sommer mit Helligkeit beginnt? Da in Spanien auch die Hitze sich weit in die Nacht hineinzieht ist es ebenfalls besser, eine Zeitzone zu haben, wo die kühlste Stunde (nämlich der Sonnenaufgang) zu einer Zeit liegt, zu der man aufsteht.
  • Der Moment: Ingendaay bespricht viele seiner Beispiele unter der Maßgabe, dass die Spanier es mit den Regeln teilweise weniger genau nehmen. Das kann man durchaus so stehen lassen, aber ich denke es gibt da noch einen anderen Impuls, der ebenso große Erklärungskraft hat, das spanische Leben zu beschreiben. Das ist das Leben im Moment, dem man sich mit allen daraus entstehenden Vor- und Nachteilen hingibt. Nächte können endlos lang werden, aber die wenigsten verschwenden einen Gedanken daran, was das für den nächsten Morgen bedeutet, große Bauprojekte werden erst mal in die Landschaft gesetzt, eine Nutzung wird sich später schon finden lassen, wenn etwas dringendes abgeladen werden muss und sowieso in 10min alles erreicht sein könnte, dann wird eben auch in der 2 Reihe geparkt, die anderen Verkehrsteilnehmer werden schon ihren Weg um das Hindernis finden. Solche Beispiele lassen sich durchaus noch erweitern.
  • Die Alten, die an Sommerabenden ihre Stühle auf die Bürgersteige bringen, um dort in kleinen Gruppen (gern geschlechtlich getrennt) zu plaudern ist ein Bild das jede Fahrt durch spanische Dörfer prägt.
  • Die spanischen Autobahnen, die nicht nur in manchmal abenteuerliche Kurvenlagen geraten können, sondern auch gern mal parallel zueinander verlaufen (besonders gern kostenpflichtige und freie Autobahnen, die keine Probleme damit haben auch einmal in Sichtweite voneinander in die gleiche Richtung zu führen)
  • Das Land im Allgemeinen, von denen die Einheimischen zu glauben meinen, sie hätten sowieso zu viel davon, weshalb man sich nun gerade um diesen m² nicht wirklich kümmern müsste (wozu bitte eine alte und nicht mehr benutzte Autobahn entsiegeln? oder die letzte unverbaute Stelle an einem Berg mit Meeresblick nicht noch zubauen, denn irgendwie kann man ja kurzfristig doch etwas Geld mit dem Land machen)
  • Die Hilfe: Spanier sind fast grenzenlos hilfsbereit, stolpert jemand auf der Straße eilen sofort aus allen Himmelsrichtungen Menschen entgegen und als Beobachter fühlt man sich nicht nur schlecht, weil man nicht ebenso schnell geholfen hat, sondern ist auch verwundert wie schnell, so viele Menschen, solch einen Stolperer bemerken.

Hier ein Fazit über ein Land zu ziehen, dass mich zutiefst fasziniert, wäre parteiisch und auch wegen der Fülle der Eindrücke kaum möglich. Deshalb empfehle ich nicht nur die anregenden „Gebrauchsanweisungen für Spanien“ von Paul Ingendaay, sondern mindestens ebenso einem Besuch im Lande (und kommen sie mir nicht mir, ich war aber schon am Ballermann, wir beide wissen, dass es sich dabei nicht um Spanien handelt, ebenso wenig wie es „die Deutschen“ im Ausland repräsentiert).

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