Thomas Glavinic – Der Kameramörder

Protokoll eines Osterausflugs. Der namentlich nicht genannte Ich-Erzähler wird gebeten niederzuschreiben, was sich beim Osterausflug in die Weststeiermark ereignete. Er fuhr mit seiner Lebensgefährtin zum befreundeten Ehepaar Stubenrauch. Tischtennis, Federball und Kartenspiele sollen an diesen sonnigen Tagen im April durchgeführt werden, jedoch erschüttert eine Nachricht die Vier. Ganz in der Nähe ist ein schreckliches Verbrechen begangen worden. Ein mit einer Kamera ausgerüsteter Mann, bringt drei Jungen in seine Gewalt und tötet zwei davon durch die Ausübung psychischen Drucks, so dass diese von Bäumen springen, weil sie Angst haben müssen das der Mann sonst alle weiteren Familienangehörigen töten wird. Das Verbrechen schlägt schnell hohe mediale Wellen und auch das gemeinsame Wochenende der Vier gerät in den Sog der Gier nach Neuigkeiten und dem Ekel über das grausame Verbrechen.

Glavinics „Kameramörder“ ist eines der besten Bücher, die ich in den letzten Jahren gelesen habe. Das hängt zum einen am Protokollcharakter der Aufzeichnungen des Ich-Erzählers. Er zählt sachlich auch die kleinsten Nebensächlichkeiten auf, verwendet nicht einen einzigen Absatz im ganzen Text, gibt sämtliche Dialoge nur in indirekter Rede wieder und stellt detailliert, aber emotionslos ein Wochenende unter Freunden dar. Das hat teilweise unglaublich witzige Züge und ich ertappte mich mehrmals beim ungehemmten Lachen. Das bleibt einem aber fast genauso schnell im Halse stecken, denn das im Mittelpunkt stehende Verbrechen liest sich ausgesprochen grauselig.

Glavinic zielt auf zwei Themen näher ab. Zum einen ist „der Kameramörder“ eine Medienkritik, denn das aufgezeichnete Verbrechen gerät schnell in die Hände eines deutschen Fernsehsenders, der daraus Profit schlagen möchte, sowie der öffentlichen Reaktion auf das Delikt und seine Ausstrahlung. Auf der anderen Seite ist es eine hervorragende Selbst-Schau, wie wir mit solcherlei Ereignissen  umgehen, wie wir mehr über die schreckliche Begebenheit herausfinden wollen, wie wir nach neuen Details suchen, dem Mörder ausfindig machen wollen und wie wir nach Gerechtigkeit brüllen, wenn wir noch von der Vorstellung getrieben sind, es könnte auch den Menschen passieren die wir kennen oder gar lieben.
Da 2001 veröffentlich, spielt das Buch noch im Teletext Zeitalter, also den Jahren, wo die meisten Neuigkeiten am schnellsten noch im Videotext der Fernsehsender zu lesen waren und nicht im Internet (ich erinnere mich noch gut an jene Zeiten, als Fußballtransfers immer als erstes im Videotext von Sat1 zu erfahren waren). Doch ob nun Teletext oder Internet, Fernsehen oder Radio, wer erkennt nicht selbst an sich den Reiz, Neues erfahren wollen, wenn Unglaubliches passiert, wenn die Welt aus den Fugen zu geraten scheint und das Schreckliche uns in den Bann zieht?
Dabei ist diese Novelle auch ein spannender Krimi, dessen Ende nur noch mehr zum Nachdenken anregt und die Frage nach einer Lösung zu einem identifikatorischen Problem macht. „Der Kameramörder“ ist ein spannendes, teilweise höchst amüsantes, teilweise grauenhaft brutales Buch, dass den Leser nicht entlässt, ohne dass dieser sich selbst Fragen stellen muss, und sei es nur die Frage ob man im Kontext der Darstellung der Ereignisse überhaupt lachen darf? Absolut großartig!

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