David Mitchell – Number 9 Dream

Originaltitel: „number9dream“ | Erschienen: 2001 (auf Deutsch: 2011 bei Rowohlt) | Übersetzer: Volker Oldenburg | Seitenzahl: 544

Ich vergesse für gewöhnlich meine Träume in dem Moment, in welchem ich die Augen aufmache. Manchmal habe ich das Gefühl der Traum der Nacht bestimmt die Form des darauffolgenden Tages, aber das Gefühl kann ich fast nie überprüfen, weil die Stimmung eines Traumes verfliegt bevor mein erster Tee des Morgens kalt wird. Manchmal erscheinen meine Träume mir irgendwann am Tag und manchmal kann ich mich erinnern, dass sie sich wirklich auf meinen letzten Schlaf bezogen, manchmal scheinen sie ein Deja-Vu zu sein, und alles erscheint genauso vertraut, wie zusammenhanglos und ohne Kontext. Es gibt nur ganz wenige Träume an die ich mich noch heute erinnern kann, aber ich habe die Nächte und die Tage danach vergessen.

David Mitchells zweiter Roman „Number 9 Dream“ beginnt mit einem träumenden jungen Mann. Eiji Miyake ist 19 Jahre alt und ist von den Rändern Japans (der kleinen Insel Yakushima) aufgebrochen in das niemals schlafende Tokyo, um seinen Vater kennenzulernen. Eiji ist ohne Eltern aufgewachsen. Seine Mutter war mit dem Leben überfordert und verließ die Kinder, als diese noch sehr klein waren. Seine Zwillingsschwester Anju starb, als Eiji noch nicht mal ein Teenager war und für Eiji bleibt der Traum von seinem Vater, den er endlich einmal kennenlernen möchte. So versucht er im stickig heißen Moloch Tokyo nicht nur seinen Vater zu finden, sondern auch sein Leben.

„Number 9 Dream“ ist ein coming-up-age Roman, in welchem der Held Eiji getrieben von seiner nun endgültig zu einem Ende gekommenen Kindheit auszieht und schaut, was davon blieb und auf Orientierung für die Zukunft hofft. Schon diese etwas andere Familiengeschichte, die von der Einsicht getragen ist, dass dein Schicksal dich niemals abholt, sondern du dein Schicksal abholen musst, ist eine sehr lesenswerte Reise zwischen Realität und Traumwelt. In beiden vermischen sich Wünsche, Hoffnungen, Glück, Liebe und Albträume. Zu einem Roman von Mitchell wird das Buch dann durch die riesige Fülle von Geschichten, die wir dabei erleben dürfen, wie beispielsweise von halluzinierende Trips in Tokyos Nachtleben, Mafia-Gemetzel in Vergnügungsparks, Gefängnisinsassen mit gottähnlichen Fähigkeiten, Kaiten-Piloten im 2. Weltkrieg, Mädchen mit wunderschönen Hälsen und Begabung zum Klavierspiel, nerdigen Informatikstudenten oder die abgründigen Jobs auf Tokyos Arbeitsmarkt. Alles das und viel mehr wird erzählt unter der schwülen und drückenden Kulisse des urbanen Tokyos in der Zeit der Jahrtausendwende. Ein weiteres wunderschönes Panorama über das Leben, die Herkunft, der Fortgehen und das Finden von einem der besten Geschichtenerzähler der letzten 20 Jahre.


“Der neunte Traum beginnt nach jedem Ende” (S.512)

 

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