Gregor Sander – Winterfisch

Hohe Erwartungen sind eigentlich nie sonderlich förderlich, denn sie tendieren dazu, nicht Stand zu halten, dass kann einen bei Konzerten von Lieblingsbands ergehen (wie bei Gus Gus), bei Filmen von Lieblingsregisseuren (wie bei „The Dark Knight Rises“) oder auch bei Büchern. Zu meinem Lieblingsbüchern gehört Gregor Sanders „Ich aber bin hier geboren“, eine Sammlung voller vortrefflich geschriebener und atmosphärisch dichter Erzählungen. Sein darauf folgender Roman „Abwesend“ war dann nicht ganz so berauschend und ich freute mich zu lesen, dass er schon vor zwei Jahren einen weiteren Band mit Kurzgeschichten herausgebracht hat (man sieht, ich verfolge den Literaturbetrieb mit einer gewissen Gelassenheit), mit dem Titel „Winterfisch“. Und da waren sie wieder, die großen Erwartungen, geschürt von wie immer äußerst positiven Rezensionsausschnitten auf der Rückseite (ich komme darauf zurück), war ich frohen Mutes hier wieder angenehme Lesefreuden erleben zu dürfen, denn es handelt sich bei „Winterfisch“ wiederum um Erzählungen.

Diesmal sind es 9 Geschichten. Die Titelgeschichte „Winterfisch“ behandelt einen jungen Anwalt, der nach zwanzig Jahren seinen „Ersatzvater“ für einen Sommer wieder trifft und dabei sein eigenes Leben reflektiert. „Gegenlicht“ beleuchtet die Fahrt eines Theatermenschen nach Finnland, der dort seinen Zwillingsbruder finden möchte, da dieser scheinbar in größeren Schwierigkeiten steckt. „Haus Seeblick“ ist die Geschichte eines Arztes, der sich in eine Patientin verliebt hat, zu dieser fährt, in eine Familienfeier gerät und von einer alten Dame über die politischen Verwicklungen des Hauses eingeweiht wird. „Weiße Nächte“ erzählt über einen Segeltörn über die Ostsee zweier guter Freunde, von denen einer ein Alkoholiker ist. „Im Dunkeln“ handelt von einem Heizungsmonteur auf der Fahrt durch Osteuropa. In „Stand der Dinge“ fährt eine Köchin ins verschneite Hiddensee, um für eine Familie zu kochen, bei „Stüwes Tochter“ lernt ein junger Musiker eine etwas verstört wirkende Frau kennen. „Bergman ist Tod“ ist die Erzählung von einem sich ständig streitenden Pärchen im Schwedenurlaub und „Jenseits“ ist eine Geschichte über das Städtchen Rerik.

Die Klammer für alle Geschichten ist in gewisser Weise die Ostsee, die überall mehr oder weniger präsent ist und quasi die Kulisse darstellt. Das könnte ein wunderbares Buch ergeben, aber es tut es leider überhaupt nicht. Ich möchte dabei kurz auf die auf dem Buchrücken abgedruckte Rezension zurückkommen. Eine davon kommt von Ursula März vom Deutschlandfunk (ich würde jetzt so gerne sagen, „nie gehört“, aber ich mache es nicht, weil das wohl ein doofer Witz wäre). Sie erwähnt zwei Sachverhalte sehr positiv, die ich ganz gegenteilig, als den großen Nachteil der Erzählungen sehe. So meint sie: „Manche großen biographischen Stoffe erschließt man sich aus zwei Nebensätzen.“ Genau hier habe ich das Gefühl, dass Sander so wahnsinnig gern zum Klischee greift. Eine Biographie ist eben leider nicht, aus zwei Nebensätzen zu erschließen. Und auch bei Sanders Figuren ist das nicht so, zweifellos sind das interessante Typen und man hat das Gefühl mehr erfahren zu wollen, was natürlich den Rahmen sprengen würde, aber irgendwie hat man auch das Gefühl, das ein Rahmen hier fast nie da ist. So könnte die Story für „Strüves Tochter“ so auch als Sat.1 „Film Film“ gesendet werden, so platt einfach sind die Rollen dieser Geschichte besetzt. Insbesondere hier fällt auf, dass Sander in diesem Buch darauf versessen ist, zeitgeschichtliche Strömungen aufzunehmen, die bei einigen Geschichten aber fast nichts zur Sache tun, wie beispielsweise in „Haus Seeblick“, wo sie wie ein Ballast für die Atmosphäre der Geschichten wirken, sie wirken teilweise wie eine dran geklatschte Ornamentik. So meint Frau März: „Ein ganz neuer geopolitischer und poetischer Raum tut sich auf.“ Auch wenn ich denke, dass diese Einschätzung von der Zielstellung Sanders her richtig interpretiert ist, so ist für mich das tatsächlich eher die Schwäche des Buches, jede Geschichte (außer „Gegenlicht“, doch dort findet sich dann aber das wunderbare Klischee von Künstlern und Drogen) in einen geopolitischen Kontext zu stellen. Das gelingt ihm vielleicht nur bei der letzten Erzählung „Rerik“ und man kommt nicht umhin zu fühlen, dass die besondere ostdeutsche Atmosphäre, die allen Erzählungen anhaftet, ein recht einseitiges Abarbeiten an der DDR darstellt. Und so kommt sie wieder, die Enttäuschung nach der hohen Erwartung und man fragt sich, ob man nicht mal darüber einen Erzählband findet.

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