Inventing Anna

Idee: Shonda Rhimes | Drama-Miniserie | 9 Folgen | veröffentlicht 2022 auf Netflix

Ich muss das an dieser Stelle (wahrscheinlich nicht zum ersten Mal) zugeben, ich habe eine gewisse Sucht nach dem Internet. Man kann aller fünf Minuten online gehen und den Zustand der Welt überprüfen und trifft auf die unglaublichsten Geschichten! In diesem unendlichen Universum an Storys, erinnere ich mich an die Geschichte einer Hochstaplerin, die in New York vor einigen Jahren viele Menschen um Geld betrogen hat, weil sie sich als reiche deutsche Erbin ausgab, vorhandenes Vermögen aber nur repräsentierte, statt tatsächlich zu besitzen und sich einen gewissen Namen in der High-Society machte.

Shonda Rhimes, deren Oeuvre (Bridgerton, Grey’s Anatomy, Scandal) mich bisher zu selbstgefälliger Ignoranz veranlasste, verfilmte diese ziemlich spannende Geschichte zu einer 9-teiligen Miniserie. Im Mittelpunkt der Handlung steht Vivian Kent (Anna Chulmsky), hochschwangere Journalistin des Manhattan Magzine, einem Edelprint-Journal. Bei der Anhörung des Falles von Anna Sorokin (Julia Garner) bemerkt sie das Potential für eine große Story. Sorokin, gebürtige Russin, hatte sich als deutsche Millionenerbin unter dem Namen Anna Delvey ausgegeben und sitzt wegen ihrer zahlreichen nicht bezahlten Rechnungen, nun im Gefängnis in Rikers Island und wartet auf ihren Prozess. Kent hat einige Mühe, die Story bei der heimischen Chefredaktion durchzubekommen und auch Anna zeigt sich bei ihr wenig kooperationsbereit. Das gilt auch für die zahlreichen Freunde und Geschäftspartner von Anna. Doch Vivian bohrt weiter und nach und nach zeichnen sie alle ein Bild von Anna, dass allerdings eher wie ein Mosaik wirkt. Da sind ihre Freundinnen Neff (Alexis Floyd), Kacy (Laverne Cox) und Rachel (Katie Lowes), die alle ganz eigene Erfahrungen im Umgang mit Anna gemacht haben, da ist ihr Ex-Partner (wobei das Wort Partner hier merkwürdig zwischen Business und Liebe changiert) Chase (Sasmer Usmani), dessen Geschäftsgebaren ebenfalls merkwürdig erscheint, da ist der Finanzberater Alen Reed (Anthony Edwards) oder die steinreiche selbsternannte Philanthropin Nora (Kate Burton). Sie alle erliegen irgendwann dem sehr selbstbewussten Auftreten von Anna, deren Ziel es nicht nur ist, das Leben der Superreichen zu leben, sondern die auch ihre Gastgeberin sein möchte und dafür die Anna Delvey Foundation gründen möchte, eine Art Milliardärs-Klub der Superlative.

Das Thema von „Inventing Anna“ ist der „schöne Schein“. Anna ist insbesondere in den Weiten der hohen Finanzen und Kultur von New York eigentlich ein Niemand, die sich jedoch als reiche deutsche Erbin ein Image von kultureller Distinguiertheit, Kapital und großen Projekten zulegt (immer unter dem Vorbehalt ihr deutscher Vater säße auf unendlichem Reichtum) und die tatsächlich daran glaubt, diese Dinge durchzusetzen. Es ist eine Serie über die Welt, die soziale Medien intensiviert haben, eine Instagram Welt, in welcher der Aufbau des Images und die Darstellung des Selbst zum Sinn des Lebens wird. Dieses Schillern des Images ist es, auf das „Inventing Anna“ abzielt, ein Schillern, das viele „Follower“ in den Bann ziehen kann. Es ist eine Stärke der Serie zu zeigen, wie sehr man einem eigentlich sehr unsympathischen Menschen wie Anna Delvey verfallen kann. Leider gefällt sich auch die Serie zu sehr damit, alle möglichen Facetten dieser Selbstinszenierung und dem Versuch daran etwas Authentisches zu entdecken darzustellen. Um einen Vergleich mit der Instagramm-Welt zu machen, so zeigt die Serie immer nur, wie beeindruckend, beieindruckende Bilder wirken, aber sie vergisst zu zeigen, wieviel Arbeit hinter dem „erfolgreichen“ Erstellen von Bildern steckt. „Inventing Anna“ spricht über Verführung, Geld und großen Träumen, wobei die Person Anna Sorokin so flach wie ein Bild dargestellt wird. Wie sie in New York ihr Image aufgebaut hat kommt ebenso wenig zur Sprache (beispielsweise, wie sie überhaupt an das Grundkapital kam, um sich als reiche Erbin zu verkaufen), wie die vielen Betrügereien, die sie im Hintergrund stattfinden lässt (Urkundenfälschung, Kreditkartenbetrug etc.). Das ist ein großer Unterschied zu anderen Arbeiten zu diesem Thema, wie bspw. „Catch Me If You Can“, die immer auch die Tricks und Kniffe der Hochstapler zeigten. Würde man dieses Schema auf „Inventing Anna“ anwenden, dann wären ihre Tricks und Kniffe; Trinkgeld und Instagramm Bilder und es ist irgendwo zu wenig, wenn man zwischen Aufbau eines Images und Betrug nicht mehr unterscheidet, so wie dies die Serie teilweise suggeriert.
Dennoch ist diese Serie sehenswert und spannend gemacht, jedoch fällt leider das Niveau spätestens ab Folge 7 ab. Das liegt nicht nur daran, dass die unterschiedlichen Zeitschienen der Erzählung ein bisschen wirr (oder schwer auseinanderzuhalten) werden, sondern auch das die Serie sich immer weiter dehnt und Ihren Erzählrahmen verlässt, indem sie versucht hinter das Bild von Anna zu gelangen. Gerade hier spart die Serie aber den Blick, wie sie in New York begann aber vollkommen aus. Auch wenn die letzte Folge aus dem Blick des Anwalts durchaus wieder spannend gemacht ist, bleibt einem dann schon der ärgerliche Kitsch einiger Szenen in Erinnerung (erweiternd, dann auch gern gebrauchte Stereotype; wenn man in der Darstellung von Deutschlands Provinz ganz fett auf Alltags-Rassismus hinweist, diesen aber natürlich in New York nie sieht). Trotz dieser Defizite ist „Inventing Anna“ sehenswert, gerade wenn man ab und an mal im Internet unterwegs ist.

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