Jonathan Letham – Der Garten der Dissidenten

Es sind diese 1€ Wühlkisten, die mich anziehen. Allerdings nur, wenn Bücher zu erwühlen sind. Als Kind habe ich Papier beim Sero-Händler abgegeben und dafür sogar Geld bekommen. Heute bin ich mir nicht mehr sicher, ob der Wert des Papiers nicht schon höher ist, als der Preis jedes einzelnen Buches. Das stimmt nachdenklich über die Marktwirtschaft, macht mich als Kunden aber froh, vielleicht kann ich etwas Billiges erwühlen. Nachteil der 1€ Wühlkiste, neben der fehlenden Übersicht und Ordnung, ist die große Anzahl an Büchern, bei denen mir klar ist, warum sie keiner kaufen will, wobei man dann gegen rechnen muss, dass im gegenwärtigen Kapitalismus Produkte verkauft werden, bei den man nicht für möglich halten würde, dass tatsächlich auch nur ein einziger Cent dafür transferiert wird.

Doch da – Jonathan Letham – Amerikaner – Könnte was sein – Ich treten einen Schritt zurück (Bücherwühlkisten sind nie besonders belegt) und studiere schnell seinen wikipedia-Eintrag – Oha, Nachfolger von David Foster Wallace an Pomona College für Creative Writing – Überzeugt, ab zur Kasse!

„Der Garten der Dissidenten“, erschienen 2013, ist ein Portrait der amerikanischen Linken, an der Ostküste, insbesondere im New Yorker Stadtteil Queens. Wir erleben Rose Zimmer, eine resolute und kämpferische Frau aus jüdischem Hause, die sich in den 1940er Jahren als Kommunistin sieht, aber feststellen muss, dass die kommunistische Partei ihre Lebenswirklichkeit kaum berührt. Ihr Mann Albert verlässt sie kurz nach der Geburt der gemeinsamen Tochter Miriam und geht in die DDR.[1] Miriam wächst in einer Art von Hass-Liebe zu ihrer Mutter auf und findet sich selbst in der Hippie-Bewegung wieder, wo sie auch ihren späteren irischen Ehemann Tommy Gogan kennenlernt.

„Der Garten der Dissidenten“ beleuchtet das Schicksal einer Gruppe von Menschen, die meisten von ihnen aus New York, die alle ein politisches Leben führen, alle im linken und linksliberalen Spektrum, doch alle verschieden, ideologisch angepasst an eigene Bedürfnisse, Vorlieben und Entdeckungen. So ist dieser 475 Seiten starke Roman ein Werk über die Vielfalt und Entwicklung linker Gedanken in einer amerikanischen Gesellschaft, die links im politischen Spektrum eigentlich nur als Außenseiter-Ideologie kennt. Lethams Sätze, von ausgewählter und teilweise sehr schöner Komplexität, sind stark wenn sie das Innere ihrer Haupthelden charakterisieren[2]. Dabei belässt er es, die entscheidenden Momente im Leben nur anzudeuten, der Tod von Akteuren wird erwähnt, aber nie beschrieben. Das macht das Buch eigentümlich offen, aber vielleicht ist es das ja auch, was ideologisch-politische Systeme immer haben müssen, wenn sie auf handelnde Menschen treffen, Offenheit.

[1] Eine Idee, bei der jeder DDR-Bürger leicht den Kopf schüttelt. Ein Ami! Freiwillig in die DDR! Aber gut, warum auch nicht, die Vorstellung des Paradieses sind halt unterschiedlich, auch unter Kommunisten.

[2] Allerdings fehlt ihm der Esprit, die Präzision und der Humor von DFW und dass ich diesen Vergleich ziehe, ist einzig Lethams Wikipedia-Eintrag zu verdanken

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