Jürgen Kocka – Geschichte des Kapitalismus

Der Kapitalismus ist ein vielbesprochenes Ding. Seine Errungenschaften wurden gepriesen, aber genauso werden ihm nicht gerade wenige unschöne, wenn nicht gar zerstörerische Sachen vorgeworfen und auch sein Ende ist ein gern diskutiertes Thema (von Peter Licht auch sehr schön besungen, wie hier: https://youtu.be/fYEcMuRhYas)

Der renommierte Sozialhistoriker Jürgen Kocka legte 2014 ein kleines rund 140 Seiten starkes Bändchen vor, was sich mit der Frage der Geschichte des Kapitalismus befasst. Nach der Einführung, die durchaus klar macht, dass der Begriff „Kapitalismus“ heute eher skeptisch betrachtet wird und die drei grundlegende Denker der Kapitalismuskritik Marx, Weber und Schumpeter sehr kurz vorstellt, folgt eine erste Arbeitsdefinition, was man unter Kapitalismus überhaupt verstehen könnte (ein tatsächlich heute umso wichtigerer Arbeitsschritt, hat man doch das Empfinden, begriffe werden gerade in der öffentlichen Diskussion immer mehr von einem Gefühl bestimmt, als das sie wirklich durchdachte Erklärungen bieten). Kapitalismus beruht bei Kocka auf individuellen Eigentumsrechten und dezentralen Entscheidungen, die wiederum zu Gewinnen oder aber auch Verlusten führen können. Im Kapitalismus findet die Koordinierung der Akteure über Märkte, Preise und Wettbewerb statt, was sowohl Arbeitsteilung, als auch die Geldwirtschaft voraussetzt. Kapital ist grundlegend für dieses Wirtschaften, denn es impliziert die Investition in der Gegenwart mit der Hoffnung auf Vorteilen in der Zukunft. Darin spiegeln sich sowohl die Form der Kreditvergabe, als auch die Maßgabe das Profit als Erfolgsfaktor anerkannt wird.

Nimmt man nun diese Vorannahmen so zeigt sich, dass es frühe Formen des Kapitalismus schon recht lange gibt und das die Träger dieses Wirtschaftens zumeist Kaufleute waren. Schon bevor es im westlichen Teil Europas zu solchen Formen des Kaufmannskapitalismus kam, wurde in China, aber auch in Arabien kapitalistisch gehandelt, wenngleich aber nur von bestimmten wirtschaftlichen Akteuren, die zumeist keine weiteren politischen Bedeutungen hatten. Im Europa setzen sich kapitalitische Praktiken erst im späten Mittelalter im Fernhandel durch, später entstehen erste Bünde, wie die Hanse oder auch erste Banken (erstmals in Genua, seit dem 12. Jahrhundert), die sich nicht auf den Handel, sondern auf das Geldgeschäft spezialisierten . Der Kaufmannskapitalismus der zwischen 500 und 1500 vorherrschte war also ein globales und kein spezifisch europäisches Phänomen.   Die Weiterentwicklung des Kapitalismus erfolgte dann aber verstärkt in Europa, was auch daran lag das, dass die Bildung von Märkten, auch die Bildung von Staaten (und umgekehrt) erforderte, die Konkurrenzsituation der vielen Staaten in Europa aber Wirtschaftspotentiale in Europa stärker förderte, als dies in China der Fall war. Dort waren die staatlichen Beamten weit weniger verflochten mit den wirtschaftlichen Eliten als in Europa, wo die Politik die kapitalistische Akkumulation schon aus Eigeninteresse förderte. Die Expansion des Kapitalismus ab etwa 1500 verwandelte diese Wirtschaftsform zu einem neu etablierten globalen Welthandelssystem, das von Europa aus, die Welt eroberte. Es verließ die Sphäre des Handels und vereinnahmte die gewerbliche Produktion und es wurde von einem Spezialisten-denken zu einer gesamtgesellschaftlichen Form des Handelns und Tuns. Besonders zwei Länder stießen dabei hervor, die Niederlande, als auch Großbritannien. Der Kapitalismus prägte einen neuen Zeitgeist und schaffte, wenngleich mit großen Gewalt in Übersee, wo der Agrarkapitalismus mit Versklavung und Unfreiheit verbunden war in Europa zivile Gesellschaften, in denen unterschiedliche Klassen entstanden. Im Zeitalter der Aufklärung war er es, der Friede und Wohlstand zu versprechen vorgab und Denker wie Adam Smith machten sich daran seine Vorteile aufzuzählen. Seit 1800 war der Kapitalismus ein Auslöser für die Industrialisierung (das beides keinesfalls das Gleiche sind, macht Kocka wunderbar klar, siehe S. 78ff), die unsere Welt in einer Radikalität und Geschwindigkeit umgestaltete, welche die Menschheitsgeschichte nie vorher so erfuhr. Große Unternehmen entstanden, welche Anfangs Eigentümer geführt wurden, später aber von Managern geleitet wurden. Und auch die Wandlung des Kapitalismus scheint immer schneller von statten zu gehen, als auch der Mangerkapitalismus von einer neuen Welle ergriffen wurde, der Finanzialisierung des Kapitalismus, also dem Aufstieg des Finanzkapitalismus, welcher dem Kapitalismus wiederum eine neue Qualität gibt, die keinesfalls nur positiv zu bezeichnen ist.

Hierin liegt auch die Stärke Kockas Buch, unvoreingenommen die geschichtlichen Entwicklungen des Kapitalismus zu beleuchten, sowohl seine unzweifelhaft positiven Züge, wie beispielsweise der rasanten technologischen Entwicklung, welche er begünstigte, wie auch seiner negativen Effekte, wie der Gewalt (Kapitalismus ist sowohl Gewaltverhinderer; da Märkte nach friedlichen regeln ablaufen müssen, als auch Gewalttäter, wie beim Sklavenhandel oder bei der Ausbeutung der Arbeiter, im 19. Jahrhundert in Europa und heute in weiten Teilen der Welt).
Dieses Buch ist wunderbar klar und lehrreich geschrieben und für jeden eine wunderbare Einstiegslektüre, der sich fragt, was ist das überhaupt, dieser Kapitalismus und wo bitteschön kommt der jetzt eigentlich her?

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