Martin Walser – Ein liebender Mann

Wir schreiben das Jahr 1823. Es ist Sommer und die „feine“ Gesellschaft trifft sich in Marienbad. So auch Goethe, mittlerweile 73 Jahre alt. Der von allen gefeierte Dichterfürst widmet sich in diesem Sommer aber weniger den Arbeiten an neuen literarischen Werken oder seiner mehr als umstrittenen Farbenlehre, sondern seine gesamte Aufmerksamkeit wird gefangen von der erst 19 jährigen Ulrike von Levetzow, die er schon seit zwei Sommerkurreisen kennt, doch erst in diesem Jahr wird die Beziehung intensiver. Goethe fasziniert die Tochter eines im Kriege gegen Napoleon gefallenen Generals und der sich in höchsten Kreisen auskennenden Mutter von Levetzow, die sich natürlich geschmeichelt fühlt, dass ihre Tochter das Interesse, des wohl bekanntesten Intelektuellen seiner Zeit gefunden hat. Jedoch hält sie von einer tiefergehenden Beziehung nichts. Aber Goethe umso mehr, der sich jeden Tag mehr, tiefer und wohl auch hoffnungsloser in Ulrike verliebt. Obwohl bald schon 74 wird er sie noch ein letztes Mal finden, die große Liebe. Dieser jedoch scheint keiner Zukunft beschienen. Zwar ist Ulrike von Goethe fasziniert, aber ihre Mutter hält eine engere Bindung zum Diamantenhändler de Rohr für realistischer für sie. Und so geht der Sommer zu Ende und Goethe ist zurück in Weimar, allein, wie in einer anderen Welt, in der es Ulrike nur noch in Gedanken gibt.

„Ein liebender Mann“ ist ein Roman über die letzte große Liebe eines alternden Mannes, der vor fast 200 Jahren spielt und dessen Hauptheld Goethe ist. Das könnte ein ziemlich mühseliges Leseabenteuer werden, jedoch gelingt Walser ein bemerkenswertes Werk. Denn sein Thema ist zeitlos und die Konstellation im Roman ist aufregend. Trotz seines überlegenen Geistes und ständiger Selbstreflexion, ist es Goethe möglich, immer tiefer in seine Liebe zu Ulrike zu versinken. Dieses Gefühl bestimmt sein Leben, seinen gesamten Alltag, fast jeden seiner Gedanken. Und hier ist es dann egal ob Goethe schon 73 ist und ein Dichter von Weltruhm, auch er ist davon genauso gefangen wie wir, die wir das Buch lesen und uns wiederfinden in einigen Passagen, so wie dieser: „Es gibt ein Paradies: Zwei für einander. Es gibt die Hölle: Einer fehlt.“ (S.222) Liebe, so zeigt uns Walser, ist weniger der Zustand einer Beziehung, als das Gefühl das man für jemanden anderen hat. Es ist, so lesen wir an anderer Stelle, das Gefühl, dass jeder Mensch einzigartig ist, aber jeweils nur für einen einzigen anderen Menschen. Wir erleben Goethes rosarotes Zusammensein mit Ulrike, genauso wie seine Einsamkeit und seinen Liebeskummer ohne sie. Auch wenn die realen Fakten nicht wirklich so waren, wie von Walser geschaffen, so ändert Walser diese nur um ein wundervolles Buch über die Liebe, ihre Endlich- und Unendlichkeit, Gedanken und Gefühle, Eifersucht und Liebeskummer zu schreiben.

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