Sachbuch | erschien 2009 bei Junius mit 232 Seiten
Meine erste Digitalkamera hatte ich mir nach langer Krankheit irgendwann im Frühsommer 2003 gekauft, doch wirklich richtig angefangen, mehr oder weniger bewusst zu fotografieren, habe ich erst mit dem Kauf einer Spiegelreflexkamera um 2010 herum.[1] Und auch da habe ich eine langsame Entwicklung genommen, bis ich irgendwann später, nach Fotokursen bei der VHS und im riesa efau, Tipps von Freunden und vielen youtube Videos, endlich mit meinen Bildern etwas zufriedener war.[2] Dabei stellte ich mir häufiger die Frage, warum ich überhaupt fotografiere, wann und für welches Motiv ich den Auslöser abdrücke und wie ich Bilder dann digital bearbeite. Seit 2019 muss ich feststellen, dass mein praktisches Interesse an der Fotografie etwas ermüdet. Selbst der Kauf einer neuen Kamera 2020 konnte diesen Trend nicht stoppen, was vielleicht auch daran liegt, dass ich gern urbane Motive und Architektur aufnehme, Städtetouren in Zeiten zirkulierender Corona-Viren, mehr möglich waren. Ich hoffe sehr, dass sich dieser Trend bald umdreht, zumal mein theoretisches Interesse an der Fotografie weiterhin hoch ist. Denn bei allen youtube Videos, die ich über das Fotografieren trotzdem noch schaue,[3] hätte ich gern eine tiefere Einordnung über theoretische Fragen der Fotografie, weshalb ich zu Peter Geimers Einführung „Theorien der Fotografie“ griff.
Geimer beschreibt seine von ihm vorgestellten Theorien verschiedener Denker, von fünf verschiedenen Themenschwerpunkten her und baut damit sein Buch auf. Das führt dazu, dass einige Autoren mehrmals an verschiedenen Stellen im Buch auftauchen, aber das hilft der Argumentation eher, als dass es ihr abträglich ist.
Kapitel 1 behandelt die Frage, was Fotografie so einzigartig macht. Hier gehen eine ganze Reihe von Autoren auf den Charakter der Indexikalität der Fotografie ein, also dem Aspekt, dass die Fotografie immer ein mechanischer (oder digitaler) Prozess einer Abbildung aus der Realität ist (so wie beispielsweise eine Wetterfahne immer einen Abdruck der realen Windrichtung abgibt). Kapitel 2 stellt die Gegner dieser Einsicht vor, die einen konstruktivistischen Ansatz vertreten und darlegen, dass Fotografie immer nur Realität konstruiert. Im darauffolgenden Kapitel 3 beleuchtet Geimer die Frage der Zeit der Aufnahme des Bildes und dem Aspekt des „Es-ist-so-gewesen“, wie es das Foto darstellt. Historisch beginnt dies mit der Faszination einen Apparat zu haben, der Zeit quasi einfrieren kann (wobei sich der Porträtierte bei den ersten Aufnahmen erst selbst still „einfrieren“ musste und absolut stillzuhalten hatte, bevor er überhaupt fotografiert werden konnte, weil die ersten Geräte eine sehr lange Verschlusszeit benötigten). Dabei ist heute die Frage relevant, wie der Zeitpunkt der Aufnahme einem Moment des Geschehens darstellt, denn schließlich ist dieser Augenblick des Abdrucks kürzer, als das menschliche Bewusstsein operieren kann (weshalb man auch häufig auf Bilder blickt und sich kaum erinnern kann, so dümmlich im „wahren Leben“ auszusehen). Wir sehen also etwas, das wir selbst in dieser Kürze gar nicht wahrnehmen können. Das vierte Kapitel fragt nach der Serialität von Fotografien, die anders als Gemälde, ja nie einzigartig sind, sondern immer weiter vervielfältigt werden können. Damit stellt sich die Frage, ob diese Kopierbarkeit Fluch oder Segen ist. Schließlich endet das Buch mit dem Thema, ob und wie Fotografie als Kunst (im Unterschied zum alltäglichen Knipsen oder zur Reportage artigen Dokumentation der Zeit beispielsweise in einer Reportage) angesehen werden kann.
Für alle die sich erstmals mit der Theorie der Fotografie beschäftigen ist Peter Geimers Einführung ein hervorragender Einstieg. Auf knapp über 200 Seiten fühlt man sich bestens informiert, was bisher über Fotografie gedacht und niedergeschrieben wurde, denn man möchte sich im Anschluss einige der besprochenen Schriften sofort zur Hand nehmen und tiefer in die Materie eindringen. Für mein eigenes Interesse ist dies auch notwendig, denn einige Fragen, die mich in letzter Zeit beschäftigen, können aus Platzgründen selbstverständlich nicht behandelt werden, wie z.B. meine Feststellung, dass sich digitale Fotografie einen eigenen Foto-Look erschafft und diesen je nach Möglichkeiten der Kameratechnologie, aber noch mehr der Bildbearbeitungsprogramme ständig erweitert. Damit ändert sich auch die Ästhetik der Aufnahmen, dynamisch gesteigert sicherlich durch soziale Medien wie Instagram und deren implizites Narrativ, einer sich ständig vollziehenden bildnerischen Steigerung, die auf das Gesehen-Werden in Zeiten unüberblickbarer Massenfotografie abzielt.
[1] Wenn ich mich richtig erinnere, habe ich mir eine Spiegelreflexdigitalkamera gekauft, nachdem ich meine alte Kompaktkamera vermutlich auf meinem Autodach habe liegen lassen. Sie wurde, wie auch die darauf gespeicherten Bilder, nie wieder gefunden.
[2] Ein häufig gemachter Kritikpunkt bestand darin zu beanstanden, meine Fotos wären schräg. Das entsprach leider der Wahrheit.
[3] Ich verweise hier insbesondere auf die Videos von Stefan Wiesner: https://www.youtube.com/c/StephanWiesner