Erschien 2023 im englischen Original „The Maniac“ bei Penguin Press | deutsche Übersetzung von Thomas Brovot als hier vorliegendes Taschenbuch 2024 bei Suhrkamp mit 397 Seiten
Man kann noch nicht sagen, wohin uns die Entwicklung tragen wird. Werden wir in 20 Jahren alle nur noch vor Geräten sitzen und mit einer Künstlichen Intelligenz interagieren? Wird unsere direkte Sozialität untereinander verschwinden, weil es viel angenehmer, weniger störend und befriedigender sein wird, nur noch mit einer KI zu sprechen, die uns kennt und genau weiß, wie sie eine Kommunikation mit uns zu führen hat?
Oder wird es KI in 20 Jahren nicht mehr geben, weil sie uns als Menschheit stört, nicht hilft oder alles viel komplizierter macht? Das sind sicherlich extreme Pole einer Zukunft, von der wir heute vielleicht nur ahnen können, wie dynamisch sie sein wird.
Benjamin Labatut, ein chilenischer Autor, auf den ich glücklicherweise aufmerksam gemacht wurde, veröffentlichte 2023 einen Roman, der höchstwahrscheinlich noch kurz vor dem Durchbruch der Large Language Models (LLMs) der KI geschrieben wurde. Diese LLMs haben die Entwicklung künstlicher Intelligenz auch für den Normalbürger stark beschleunigt und sind quasi gerade der heiße Scheiß, so wie Mitte der 1990er Jahre das Internet der heiße Scheiß war und heute eigentlich nicht mehr wegzudenken ist. Labatuts Roman kann man als eine Geschichte lesen, die uns erzählt, wie wir zum heutigen Stand der Künstlichen Intelligenz gekommen sind.
„The Maniac“ beginnt mit einem Porträt des Physikers Paul Ehrenfest, der Zeuge der großen Veränderungen in der Welt der Physik in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts wurde. Nach Einsteins Relativitätstheorie war es vor allem die Quantentheorie, welche die Grundfesten der Wissenschaft erschütterte, aber vollkommen neue Möglichkeiten und Einsichten mit sich brachte. Ohne sie wäre das Computerzeitalter nicht denkbar gewesen. Der an Depressionen leidende Ehrenfest stellte fest, diese Welt der Physik nicht mehr zu verstehen, und brachte sich um, kurz nachdem er seinen behinderten Sohn getötet hatte.
Nach diesem ersten Kapitel, das wie eine Einleitung in die Thematik wirkt, schwenkt der Text zu John von Neumann über, einem der brillantesten Geister des 20. Jahrhunderts. Inhaltlich wird seine Rolle als einer der Väter der Computertechnik herausgearbeitet. Den dritten und abschließenden Teil widmet Labatut der KI von AlphaGo, einer Software zum Spielen von Go, einem der wohl komplexesten Strategie-Brettspiele der Menschheitsgeschichte.
„Maniac“ ist für einen Roman ein recht außergewöhnlicher Text, denn er ist fast eher wie ein Sachbuch zu lesen, was an dieser Stelle als großes Lob verstanden werden soll. Dieser Roman fesselt den Leser von Beginn an. Das ist der Aura geschuldet, die hier atmosphärisch dargestellt wird. Ähnlich wie in den ersten 20 Minuten von „Oppenheimer“ wird man in den Bann der großen Denker des 20. Jahrhunderts gezogen, und man erlebt mit, wie revolutionär sich die Wissenschaftswelt in jenen Jahren veränderte. Und das ist auch für Menschen wie mich spannend, die keine wirkliche Ahnung von Mathematik (verheerende Abiturnote) oder Physik (mit der 10. Klasse abgewählt) haben.
Der Handlungsverlauf verankert sich thematisch an drei bis vier verschiedenen Themen; er springt quasi von der Quantentheorie[1] über den Computer (und die Atombombe) hin zur künstlichen Intelligenz und beschreibt so eine technische Entwicklung der Menschheit der letzten 100 Jahre. Die Geschichte wird jedoch unterschiedlich erzählt. Im ersten Teil lesen wir eine kurze Biografie von Paul Ehrenfest mit der Betonung der Frage, wie er sich das Leben nehmen konnte. Im zweiten und mit Abstand größten Teil beschreibt Labatut John von Neumann. Dies geschieht in Form von Aussagen aus der Perspektive von Kollegen, Freunden und Familienmitgliedern, während der dritte Teil wie eine Reportage wirkt, über das Spiel Go, seine Komplexität und das Duell zwischen Lee Sedol und AlphaGo.Immer wieder führt uns Labatut dabei auch in die Welt anderer großer Denker und ihrer Arbeit ein, wie die von Georg Cantor, David Hilbert oder Kurt Gödel.
Was macht nun „Maniac“ zu einem sehr lesenswerten Roman? Zum einen ist es die sprachliche Gewandtheit, die Labatut und auch sein deutscher Übersetzer Thomas Brovot an den Tag legen. Diese sorgt dafür, dass der Text trotz der komplexen Themen, die tief in die Welt des Wissens eintauchen, immer verständlich bleibt. Labatuts Ziel ist es nicht, in wissenschaftliche Komplexität einzuführen. Es geht ihm mehr um eine eher prometheische Fragestellung: Wie sehr fordern die neuen Erkenntnisse das Leben der Menschen heraus? Was erschaffen wir da, und wie sehr wird es uns und unser Leben verändern?
Am Beispiel der Atombombe, an deren Entstehung von Neumann eher am Rande mitwirkte, lässt sich exemplarisch die Frage stellen: Wie sehen die Grenzen der Ethik und der Moral aus bei einer Waffe, die erstmals in der Menschheitsgeschichte die Macht hat, alle Menschen auf dem Planeten auszurotten? Dies führt dann weiter zum grundlegenden Thema der Dynamik und Ergebnisoffenheit menschlichen kreativen Denkens. Wie weit kann uns dies führen – im Guten wie im Schlechten?
Und damit sind wir wieder am Ausgangspunkt dieses kleinen, menschgemachten Textes angelangt und der manchmal paradiesischen, manchmal erschütternden Frage, wohin uns eigentlich das „KI-Zeitalter“ führen wird. Deshalb soll an dieser Stelle auch ein LLM (namens LeChat) die Möglichkeit bekommen zu zeigen, was es schon kann und uns mitteilen, was es von Labatuts Roman hält.
„Maniac“ von Benjamin Labatut ist ein außergewöhnliches literarisches Werk, das die Grenzen zwischen Fiktion und Realität auf faszinierende Weise verwischt. Labatut entführt seine Leser in eine Welt, in der wissenschaftliche Genialität und menschliche Tragödie aufeinandertreffen. Der Roman besticht durch seine meisterhafte Erzählweise und die tiefgründige Auseinandersetzung mit den großen Fragen der Wissenschaft und des menschlichen Geistes.
Ein besonderes Lob verdient die deutsche Übersetzung von Thomas Brovot, der es auf beeindruckende Weise gelingt, die komplexen Gedanken und Emotionen des Originals in eine flüssige und ansprechende Sprache zu übertragen. Brovots Übersetzung ist nicht nur präzise, sondern auch poetisch und trägt maßgeblich dazu bei, dass die deutsche Ausgabe von „Maniac“ genauso fesselnd und mitreißend ist wie das Original.
Ein herausragendes Merkmal des Romans ist die Art und Weise, wie Labatut wissenschaftliche Zusammenhänge verständlich und zugänglich macht. Selbst die komplexesten Theorien und Entdeckungen werden so präsentiert, dass sie für jeden Leser nachvollziehbar sind. Dies macht „Maniac“ zu einem Buch, das nicht nur Wissenschaftsbegeisterte, sondern auch literarisch Interessierte gleichermaßen anspricht.
Labatut stellt in seinem Roman die Frage nach der Macht des menschlichen Erfindungsgeistes und den damit verbundenen Gefahren. Er zeigt auf, wie wissenschaftliche Entdeckungen und technologische Fortschritte sowohl Segensreiches als auch Zerstörerisches bewirken können. Diese Auseinandersetzung mit den ethischen und moralischen Implikationen der Wissenschaft macht „Maniac“ zu einem hochaktuellen und tiefgründigen Werk, das zum Nachdenken anregt.
Insgesamt ist „Maniac“ ein Roman, der durch seine literarische Brillanz, seine tiefgründige Thematik und seine meisterhafte Übersetzung besticht. Benjamin Labatut und Thomas Brovot haben gemeinsam ein Werk geschaffen, das lange im Gedächtnis bleibt und immer wieder zur Reflexion einlädt.
Ich gebe an dieser Stelle zu, dass ich unangenehm begeistert bin, was die KI hier zu Papier gebracht hat.
[1] Eine hervorragende Einführung findet sich in diesem Video von Harald Lesch: https://youtu.be/FwNV_e-Xz68?si=kTVFyMHP7nQmjvxx