Hartmut Rosa – Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehungen

In unserer kleinen Reihe „our pathetic age“, welche sich den Ideen und Beschreibungen unserer Gegenwart widmet, soll als nächstes eines der wirkmächtigsten Soziologiewerke der letzten Jahre vorgestellt werden, Hartmut Rosas „Resonanz“.

Wie im Einleitungsbeitrag zu „our pathetic age“ geschrieben wurde, soll diese Kategorie einen kritischen Blick auf die Zustände des Lebens in der Jetztzeit liefern. Einführend möchte ich aber einen kleinen Blick auf den Begriff „kritisch“ werfen. Ich selbst versuche dieses Wort mit einer gewissen Doppeldeutigkeit zu benutzen, zum einen als Bemühen hinter das Offensichtliche zu gelangen, Fragen zu stellen, warum es so ist, wie es sich darstellt, aber auch im Versuch die eigene Perspektive immer wieder zu justieren. Dabei ist natürlich impliziert, dass die Zustände, so wie sie sich zeigen, niemals ideal sind und immer einen Anlass zur Verbesserung geben (wobei man auch diese Bemerkung durchaus kritisch hinterfragen könnte!). Zum anderen schwebt mit diesem Begriff auch eine gewisse Ironie (bei mir) mit, wenn sie so wollen ein Spiel, die eigene Kritik der Weltzustände als fluide, als „work-in-progress“, als diskutabel zu bezeichnen. Genau das soll in „our pathetic age“ erreicht werden, der Versuch unsere Gegenwart zu beleuchten, aber mit der Einsicht, dass auch dieser Belichtungsvorgang – ganz wie der Besuch im Keller mit einer Taschenlampe – von einem Ort ausgeht, von dem man sich wegbewegen kann und mit einer Lichtstärke, die mehr über die Kapazitäten des Haltenden der Lampe aussagt, als über die Möglichkeiten der Beleuchtung. Aber vielleicht finden sich im Keller der Erleuchtung neue, stärkere Batterien, oder gar eine Stehlampe?

Mit diesen einführenden Worten zur Frage der Kritik gelangen wir zurück zu Hartmut Rosas rund 800 Seiten starken Soziologiebuch „Resonanz“, welches sich als ein Werk (zumindest im Dunst- oder besser Erbenkreis) der „kritischen Theorie“ lesen lässt. Der Hauptunterschied den man unter kritischer Theorie im Gegensatz zu – sagen wir mal grob vereinfacht – soziologischen Theorie im Allgemeinen verstehen kann, ist der Anspruch der kritischen Theorie, ideologiekritisch auf unsere kapitalistisch-bürgerliche Welt zu schauen. Kritische Theorie analysiert also immer Gesellschaft und erklärt gleich mit, was daran falsch läuft. Der stärkste Gegensatz dazu wäre die, reine Funktionalitäten der Gesellschaft erklärende, Systemtheorie.

Als Autor einer kritischen Theorie empfiehlt es sich, einen Begriff oder eine Idee einzuführen, an welchen sich exemplifizieren lässt, was gerade falsch läuft, um es sehr salopp zu sagen. Rosa wählt für seine Kritik an den gesellschaftlichen Zuständen den Begriff der „Resonanz“ mit der nachfolgend einhergehenden These des zunehmenden Fehlens von Resonanz im Leben der Menschen in unseren Tagen. Er entführt den Leser damit auf eine sehr spannende Reise, wie wir unser menschliches Tun in der Moderne des 21.Jahrhunderts interpretieren könnten.

Doch was ist Resonanz?
Rosa beschreibt den Begriff als ein „spezifisch kognitives, affektives und leibliches Weltverhältnis, bei dem Subjekte auf der einen Seite berührt und bisweilen bis in ihre neuronale Basis >erschüttert< werden, bei dem sie aber auf der anderen Seite auch selbst <antwortend>, handelnd und einwirkend auf die Welt bezogen sind und sich als wirksam erfahren.“ (S. 279). Resonanz beschreibt also Beziehungsqualitäten eines Subjektes zur Welt, wobei „Welt sich dann konzeptualisieren [lässt] als alles, was begegnet (oder auch was begegnen kann), sie erscheint als der ultimative Horizont, in dem sich Dinge ereignen können und Objekte auffinden lassen…“ (S. 65 Einschub TF, Hervorhebung im Original).
Für dieses In-Beziehung-Treten von Subjekt und Welt gibt Rosa eine Vielzahl von Möglichkeiten an, wie beispielsweise das Erleben von Musik oder von Tanz, ein Berührt-werden von Klängen, oder der kollektive Jubelschrei beim Tor einer Mannschaft, die intensive Begegnung mit einem anderen Menschen, sei es geistig oder körperlich, der einem quasi in die andere Person hat hineinschauen lassen und für sich selbst damit einen neuen Horizont eröffnet hat. Die Erfahrung von Resonanz ermöglicht so etwas wie Beziehungsfähigkeiten, etwas das für Rosa zu einem Metakriterium des (gelingenden) Lebens gehört und ein elementarer Bestandteil des Lebens ist und quasi von Geburt an existiert (es steht damit vor bzw. über einem inhaltlichen Sinn des Lebens). Der Resonanzbegriff bildet damit nicht nur einen elementaren Teil des menschlichen (Zusammen-) Lebens, sondern eignet sich auch als Basis einer Einschätzung des Lebens in der Gegenwart und zeigt, wie es um deren Sozialität bestellt ist. Als notwendigen Gegenbegriff verwendet Rosa dann „Entfremdung, als eine Weltbeziehung, in der sich Subjekte und Welt einander indifferent oder feindlich (repulsiv) …. Gegenüberstehen“ (S. 316). Entfremdung erfahren wir Menschen in einer kalten, starren und abweisenden Welt, beispielsweise dort, wo eine technisierte Umgebung in der Vorgänge nur abgespielt werden, vorherrschen. Nehmen wir als Beispiel dafür vielleicht den wortlosen Bezahlvorgang an der Supermarktkasse, der ohne Sprache problemlos funktioniert und wo sich beide Menschen quasi wie Roboter gegenüber verhalten können (Roboter eins scannt Artikel und Roboter zwei hält seine Geldkarte an ein Gerät, dass mit einem Piepen verlautbart, dass der Transfer Geld gegen Ware nun abgeschlossen ist). Entfremdung tritt dann ein, wenn nichts mehr im Leben berühren kann, wenn einem Menschen nicht nur Kaufvorgänge, sondern sogar Familie, Arbeit oder das Hobby nichts mehr für sich geben. Die Depression, als Krankheit, ist dann ein häufig bzw. häufiger werdender pathologischer Zustand in unserer Zeit, in welcher Entfremdung zunimmt und Resonanz verschwindet. Doch bevor wir zur Zeitdiagnose kommen und schauen wie sich Resonanz und Entfremdung in unserer heutigen Welt darstellen, noch ein kleiner Blick auf die grundlegenden Dimensionen der Resonanz. Rosa unterscheidet dafür zwischen drei Achsen:

  • Horizontale Achsen, welche Beziehungen zu anderen Menschen meint,
  • Diagonale Achsen, welche die Beziehungen zur Dingwelt beschreibt und
  • Vertikale Achsen, welche das Dasein, die Welt als Ganzes, also als alles was über das Individuum hinausgeht, gedacht ist, in welcher die Welt selbst eine Stimme bekommt.

Das soll als nächstes etwas beispielhafter dargestellt werden. Mit den horizontalen Achsen beschreibt Rosa Beziehungen wie Paarbeziehungen, Freundschaften und (interessanterweise auch) den politischen Raum. Zu den diagonalen Achsen zählt er die Arbeitswelt (wo man Dinge bearbeitet), Schule (Dinge lernt) oder auch Sport (seinen Körper als Ding malträtiert). Vertikale Resonanzachsen beschreiben Religion, Natur, Kunst oder auch Geschichte, die uns mit je unterschiedlichen Sinnhorizonten die Welt aufzeigen. Auf alle diesen Achsen kann Resonanz entstehen, wobei zu betonen ist, dass Resonanz einen „Moment konstitutiver Unverfügbarkeit“ (S.298) beschreibt, das heißt, man kann Resonanz nicht terminieren und bewusst hervorrufen, sondern sie entsteht ohne, dass man sie einplanen könnte. Ein paar Beispiele sollen dies verdeutlichen. Ein Gespräch mit einem Freund (horizontale Achse) kann uns seine Welt(-sicht) näher und einfühlbarer machen, es kann aber auch in beliebiger Plauderei bleiben. Das Theaterstück, kann einen die Augen für die Welt, vielleicht für einen besonderen Aspekt der Geschichte öffnen (vertikale Achse), oder aber es kann einen völlig kalt lassen und vollkommen unverständlich bleiben. Wir können auf Arbeit einen „so guten Job machen“, dass wir das Gefühl haben, etwas Gutes für die Welt geschaffen zu haben (diagonale Achse), es wird aber auch Situationen geben, da wird es sich wie das Kreisen im Hamsterrad anfühlen, aus dem man nicht mehr herauskommen vermag. Diese Beispiele sollen nicht nur die unterschiedlichen Resonanzachsen mehr oder weniger geschickt exemplifizieren, sondern insbesondere betonen, dass Resonanz nicht planbar ist. Manchmal ergreift sie uns förmlich, (auch) wenn wir nicht damit rechnen (und dann ist dies vielleicht umso schöner).
Resonanz ist also für jedes Individuum ein begehrenswert empfundener Austausch mit der Welt, der aber nicht so einfach gelingen muss. Beim Nicht-Gelingen von Resonanz bleibt die Welt stumm, so wie sie auch beim instrumentellen Handeln (siehe das Kassenbeispiel weiter oben) stumm bleibt. Tatsächlich ist das instrumentelle Handeln für die Abwicklung des modernen Lebens auch dringend notwendig, denn alle Momente resonant zu erleben, würde nicht nur ziemlich viel Zeit in Anspruch nehmen, sondern die Resonanzerfahrung inflationär abschwächen, bis nichts mehr bleibt (anders gesagt, wenn jeder Tag besonders ist, wird das irgendwann nicht mehr daran besonders). An dieser Stelle setzt nun Rosas zeitdiagnostische Analyse ein, in welcher er formuliert; „die Krise der spätmodernen Sozialformation [ist] eine Krise der institutionalisierten Weltbeziehungen, genauer: eine Resonanzkrise infolge der erzwungenen, blindlaufenden Reichweitenvergrößerung…“ [S. 716f; Einschub TF). Um es anders zu sagen: wir leben in Zeiten der (Spät)moderne[1], welche in einer solchen Form existiert, dass instrumentelles Handeln eine immer kühlere Welt schafft, in der die Resonanzachsen für die Menschen zunehmend stumm bleiben. Warum das so ist und was es heißt in modernen Zeiten zu leben, soll als nächstes erläutert werden.

Die Moderne als dynamische Stabilisierung
Die Moderne, so könnte man einführend sagen, ist der Definitionsbegriff für die soziale Konstellation, die den Zustand des gesellschaftlichen Lebens der letzten rund 200 Jahren (zumindest in der „ersten Welt“) beschreiben soll. Zahlreiche Gedankengebäude wurden in den letzten Jahrzehnten erdacht, was „die Moderne“ ausmacht und wie sie beschrieben werden könnte.[2] Für Rosa ist der Kern der Moderne, dass sie ein andauernder Prozess der Dynamisierung der materiellen, geistigen und sozialen Verhältnisse bewirkt. Um es verkürzt zu sagen; alles wird immer schneller! Das wird aber noch gesteigert durch die Eigenlogik dieser Dynamisierung, welche zu einem strukturellen Zwang geworden ist.[3] Stabilität ist damit nur in der dynamischen Bewegung (besser: Beschleunigung) möglich. Als Beispiel lassen sich hier recht gut Aktiengesellschaften und ihre Börsenwerte betrachten, welche teilweise in ihrem Wert schon abgestraft werden, wenn sie nur weniger schnell, als im Vorjahr wachsen. Wachstum, Beschleunigung und Innovationsverdichtung sind aber nicht nur Merkmale der Ökonomie, sondern durchziehen alle Basisinstitutionen der Moderne, wie Demokratie, Sozialstaat oder auch das Bildungssystem.[4] Auch die sozialstrukturelle Ordnung und die Organisationslogik von sozialer Akkumulation obliegt der status-quo Erhaltung durch Steigerung, oder wie es Rosa beschreibt, der dynamischen Stabilisierung. Es gibt einen immer fortwährenden Zwang zu wachsen, schneller zu werden und veränderungsfähig zu sein. Damit einher geht eine Eskalationslogik der gesamten Gesellschaft der Moderne; alles muss stärker, schneller, weiter sein.

Die Ausformung der dynamischen Stabilisierung zeigt Rosa an den unterschiedlichen Wert- und Funktionssphären moderner Gesellschaft genauer auf:

Wirtschaft: Die Wirtschaft ist geprägt von ihrer Organisationsform des Kapitalismus. Dieser hat bewirkt, das ältere Wirtschaftsorganisationsweisen, welche sich auf reine Bedarfsorientierung fokussierten verblassen gegenüber einem Muster ständiger Rationalisierung, Effektivierung und Effizienzsteigerung moderner Organisation. Diese Faktoren werden auch zum Muster für die Lebensführung der Subjekte und manifestieren sich in deren Habitus und Ethik (man denke hier an die Ethik der Leistungsgesellschaft, welche die „Leistungsträger“ (hart arbeitende Top-Manager) würdigt und den „Müßiggang“ verabscheut (weniger hart arbeitende Hartz 4 Bezieher). Der Kapitalismus erschafft sich damit seine Subjekte und deren Bedarf immer wieder neu. Er steigert auch einen Innovationsdruck, welcher sich auf die Sphären der Politik und der Wissenschaft auswirkt.

Wissenschaft: In vormodernen Gesellschaften wurde Wissen tradiert, verwaltet und gesichert, so Rosa. Seit dem 17. Jahrhundert jedoch wird Wissen durch Forschung bereichert, welche ständig neues Wissen erschafft und gegebenes Wissen erweitert. So entsteht eine Wissenschaftslogik, in der alle Lehrsätze revidierbar sind, weil sie tendenziell ständig verbessert werden können. Daraus ergibt sich der Motor des wissenschaftlichen Arbeitens, der im Falsifikationsstreben und in der Neuentdeckung liegt. Wissenschaft versucht also die permanente Erschließung von Neuland. Nicht die Lehre, sondern die Forschung, wird die Königsdisziplin der Wissenschaft. Ein Effekt dieser permanenten Steigerung ist, dass in der Neuzeit die Wissenschaft die Hoffnung darauf verliert, dass ein festes Universum allen Wissens erstellbar ist, also dass man irgendwann einmal alles wissen könnte. Stattdessen wird der Forschungsprozess konstitutiv dynamisch, er nimmt immer wieder neue Perspektiven ein und trennt sich von der Vorstellung, Welt wissen zu können, zugunsten der Leitidee Welt erforschen zu können. Seine Zielstellung rückt also von einem endlichen zu einem unendlichen Motiv.

Politik: Rosas Analyse moderner Politik beschäftigt sich mit demokratisch organisierter Herrschaft. Diese Herrschaftsform ist auf den dynamischen Austausch von Regierungen ausgelegt, wobei die soziale Ordnung als kollektiv gestaltbar erscheint. Die modernen Subjekte sind dadurch in eine kontingente, aber gestaltbare Welt gestellt, in welcher jedoch das Recht einer permanenten Neugestaltung durch die Politik ausgesetzt ist, weil sie nicht nur ständig neue Lebensbereiche rechtlich regulieren und in immer kürzeren Abständen anpassen muss, sondern auch selbst immer nur auf Zeit agieren kann.

In der Kunst und Literatur geht es in der Moderne nicht mehr um mimetische Nachahmung der Wirklichkeit. Die Nachahmung wird abgelöst durch Innovation, Originalität und Überbietung. Die ästhetischen Sensibilitäten und Resonanzen der Moderne werden konstitutiv als vorübergehend und flüchtig, aber auch als steigerbar konstituiert.[5]

Für die Wertsphäre der Moderne ist es noch wichtig zu betonen, dass die soziale Ordnung der Menschen vom ökonomisch orientierten Leistungsprinzip angeleitet wird, das sich wiederum auch nur dynamisch stabilisieren lässt, also auch immer schneller, größer, weiter geht. In der Spätmoderne, so schreibt Rosa, wird dieses Leistungsprinzip sogar auf dynamische Performanzen umgestellt.[6] Lediglich die Religion bietet, einen Gegenpol zur Steigerungs- und Dynamisierungslogik der Moderne.

Neben den gerade genannten Merkmalen der Moderne, beinhaltet diese für Rosa auch ein Versprechen. Dieses suggeriert, dass es uns Menschen ermöglicht würde, die Welt besser lesen zu können und irgendwann letztendlich vollkommen zu verstehen. Dafür wird die Reichweite der Erkenntnis immer weiter ausgeweitet und dieses Merkmal der Reichweitenvergrößerung ist gleichfalls ein zentrales Element der Moderne für die Resonanztheorie. Doch neben dem sich immer steigernden Wissen über die Welt, stellt sich heraus, dass sich der Horizont einer Welt, die man vollkommen verstehen könnte, immer weiter wegschiebt (im Bereich Wissenschaft wurde diese Überlegung bereits oben angedeutet). Je mehr Wissenschaft demnach über die Welt weiß, desto rätselhafter wird sie (vielleicht besser vorstellbar mit der Idee das auf eine Antwort, zwei neue Fragen folgen). Damit sind zwei zentrale Aspekte von Rosas Beschreibung der Moderne genannt. Zum einen ein sich dauernd verstärkender Prozess der Reichweitenvergrößerung, der sich nicht nur in der Wissenschaft, sondern in allen Bereichen der Gesellschaft aufzeigen lässt. Alles wird nicht nur schneller, sondern auch mehr, tiefer und komplexer. Um ein Beispiel zu nennen; unsere Urlaubsreisen (wenn nicht gerade eine Viruskrise vorherrscht, aber dazu später) gehen nicht nur weiter weg und erreichen teilweise exotische Ziele, sie differenzieren sich auch immer mehr aus, vom Strand- über den Städteurlaub hin zur Abenteuerreise. Auf der anderen Seite scheint die Welt dabei aber immer unerreichbarer zu werden, so sind wir auf der Suche nach der unberührten Natur oder dem vom Tourismus noch nicht ausgetretenen Pfaden und stellen dann verärgert fest, am Ende der Welt jemanden sächsisch reden zu hören. In der Wissenschaft graben wir uns zwar immer tiefer in Themen ein, aber verstehen nicht unbedingt mehr von der Welt, sondern nur von einem winzigen Einzelteil. Die Politik erlaubt auf allen möglichen Kanälen die Anhörung von Bürgern, aber bei diesen stellt sich das Gefühl ein, immer weniger mitbestimmen zu können.
Die Welt wird also im Zuge der modernen Reichweitenvergrößerung immer unverstehbarer. Rosa präzisiert hier seine Erklärung, indem er von der Lesbarkeit der Welt spricht. Dieser Begriff meint, Sinn in der Welt zu erfahren und mit ihr in Resonanz zu treten. Dem gegenüber steht das reine Faktensammeln (gegen)über der Welt (vergleichbar vielleicht mit einem Arzt, der alle Blutwerte eines Patienten hat, aber damit nicht sagen kann, was ihm fehlt, weil er nur auf die Werte schaut, nicht auf den Patienten, allerdings ist dieses Beispiel nicht wirklich sauber!).

An dieser Stelle gelangen wir zu einer zentralen These der Resonanztheorie, die besagt, dass sich das Programm der institutionellen Ordnung der Steigerungsmoderne verselbstständigt hat. Die zentralen Institutionen der Gesellschaft (Wirtschaft, Wissenschaft, Politik…) versuchen die Welt zu lesen, tun dies aber im Modus der Reichweitenvergrößerung und schaffen damit eine resonanzlose Form der Weltbeziehung. Unser Draht zur Welt scheint zu erlöschen. Gegeninstitutionelle Ordnungen (wie Kunst oder Religion) versuchen demgegenüber reine Begegnungen mit der Welt zu ermöglichen, in dem sie inkompatible Handlungssphären schaffen, aber auch sie können sich nicht wirklich von der Logik der dynamischen Stabilisierung lösen.

Das Spätmoderne Subjekt
Wie wirkt das nun auf die Menschen (oder wie die Soziologie korrekterweise präzisiert, die Subjekte)? Die Subjekte in dieser spätmodernen Welt erleiden laut Rosa ein Gefühl einer „slippery slope“, also einer ständigen Angst im gesellschaftlichen Gefüge nach unten zu rutschen. Um diesen Abrutsch zu vermeiden, müssen sie immer schneller laufen, nur um ihren Platz in der Gesellschaft zu sichern.[7] Aus der Beschleunigung des sozialen Lebens ergibt sich, dass Resonanzachsen sich ständig verschieben und die Subjekte nach immer neuen und anderen Resonanzquellen suchen. Resonanz wird so etwas wie die Suche nach dem schnellen Kick. Wie oben beschrieben, funktioniert Resonanz aber nicht so! Sie bedarf einem erhöhten Zeitaufwand und auch einer Angstfreiheit der Subjekte vor dem Scheitern von Resonanz.[8] Resonanz verschwindet immer mehr aus der Sozialordnung der Moderne, welche den Wettbewerbsmodus zunehmend naturalisiert und in welchem sich die Subjekte als Kapital in einem ständigen Konkurrenzkampf wiederfinden. Es entsteht ein Prozess einer sich immer verstärkenden Form der Entfremdung von Weltaneignung. Diese Entfremdung zeigt sich in der vorherrschenden Idee der Konkurrenz bzw. des Wettbewerbs, welche stets nach der Logik der Dualität von Gewinner / Verlierer verläuft und damit auch die Notwendigkeit der permanenten Steigerung innewohnt (der Verlierer muss sich mehr anstrengen, um das nächste Mal zu gewinnen und der Gewinner muss mehr zeigen, um den Herausforderer erneut zu besiegen). Diese beschriebene Steigerung führt dazu, dass die Dinge beherrschbar, verfügbar und kontrollierbar werden. Die gesteigerten Konkurrenzkämpfe bewirken weiterhin eine Resonanzaversion, in welcher es nur noch um das Besiegen bzw. das Verfügbar-machen von Welt, nicht mehr aber um das Begegnen von und mit Welt geht.
Das moderne Subjekt begehrt daher die Verfügbarmachung von Welt bzw. von Weltausschnitten, welche wiederum nur ein Resonanzversprechen implizieren. Als Beispiel sei hier der Kauf einer Reise genannt, die nach dem werbemäßigen Versprechen „genießen sie den 5* Luxus und erleben sie neue Einblicke in fremde Kulturen“ angepriesen wurde. Der Erwerb der Reise verweist auf eine potentielle Resonanz in der Zukunft, ist aber selbst keine Resonanz. Doch der Erwerb von Resonanzpotential in der Form des Kaufaktes unterliegt heutzutage einer immer größeren Steigerung von Verlangen und Befriedigung, in welchem ein Beziehungsbegehren mit der Welt, in ein Objektbegehren transformiert wird. Um auch diesen Gedanken zu veranschaulichen, bleiben wir beim Beispiel der Reise. Begehrt wird die Möglichkeit sich eine 5* Reise zu leisten, das Objekt „Reise“ mit all seinen fantasievollen Versprechungen. Ob bei der Reise im und um das 5* Hotel tatsächlich Resonanz entsteht (durch Begegnung mit Menschen, Natur etc.) ist erstens nicht sicher und zweitens wird es immer fragiler, weil das Versprechen der Reise mit jeder absolvierten Reise gesteigert werden muss.[9] Was wir also zunehmend erleben, ist das notwendige Verblassen des Resonanzversprechens der Moderne, was Rosas abschließende Zeitdiagnose ist.

Hartmut Rosas „Resonanztheorie“ erhebt den Anspruch, unser (gesellschaftliches) Leben kritisch einordnen zu können. Es zeigt nicht nur was ist, sondern gleichzeitig auch was falsch läuft. Wir bekommen eine Idee vom guten (gern auch gelingenden) Leben und eine Idee vom entfremdeten (schlechten) Leben. Als Anspruch passt dies meines Erachtens sehr gut in unsere Zeit (die voll von Krisenerscheinungen ist), weil es einen Baukasten anbietet, der das Gute vom Schlechten trennt, das Natürliche oder Authentische vom Falschen oder Entfremdeten. Ich pflichte Rosas – mehr oder weniger einzig beschriebener – Maßnahme zur Verbesserung der Gesellschaft zu, ein gesellschaftliches Grundeinkommen einzuführen. Das wird nicht nur von ihm gefordert, sondern beispielweise auch vom aus dem Fernsehen bekannten Philosophen und Bestsellerautor Richard David Precht (und natürlich auch einigen anderen Denkern). Precht argumentiert für das Grundeinkommen jedoch aus der Perspektive einer sich verändernden Moderne, die sich zu digitalen Gesellschaft wandelt. Das hat meiner Einschätzung nach auch mehr diagnostische Relevanz als Rosas Argument der Befreiung des Menschen von der Entfremdung durch die Befreiung von zwanghafter Arbeit. Um bei Rosas Argumentation zu bleiben, befürchte ich da das bedingungslose Grundeinkommen auch als Einfallstor für eine kapitalistische Logik, die nur auf die Weckung konsumistischen Begehrens warten und dadurch die eigentlich von der Entfremdung der Arbeit befreiten Menschen wieder in eine nur von Resonanzversprechen gefüllte Welt hineinversetzt. Das wäre jedoch kein Argument, um die faszinierende Idee eines Grundeinkommens zu vergessen, so wie es auch nicht in Anspruch genommen werden sollte, dass Theoriegebäude der Resonanztheorie zu kritisieren. Den Charme den „Resonanz“ als sozialwissenschaftliches Konstrukt hat, ist es, einen kritischen Orientierungspunkt zu liefern, an welchen man das Leben in der modernen Welt untersuchen kann. Die Unterscheidung zwischen resonanten und entfremdeten Leben als Detektionsebene für gelingende Gesellschaften scheint mir ein plausibles Bewertungskonzept und eine Antwortmöglichkeit auf die viel diskutierte Frage nach dem guten und richtigen Leben, oder nach den Störfaktoren moderner Gesellschaft.
Allerdings bleibt mir der Resonanzbegriff nur sehr schwer wirklich fassbar und eher schillernd als konkret und er befreit sich nicht vollkommen von einer alten Denkweise von Hochkultur, wonach es ein besseren und einen schlechteren Weg gibt seine Zeit auf der Erde zu verbringen.[10]

Was mich jedoch sehr beschäftigt ist, dass die Resonanztheorie für mich wirklich interessante Fragen unserer Zeit eigentlich kaum berührt, sie also als Zeitdiagnose unserer Gesellschaft (für meine Sicht auf die Welt) nicht wirklich nützlich ist. Ich möchte das an zwei Beispielen kurz erläutern, die viel enger beieinander liegen, als es auf dem ersten Blick scheint; die Klimaveränderung und die SARS-Cov-2 Viruskrise.[11]
Der Umgang mit der Klimaveränderung scheint mir in den letzten Jahren eine Veränderung im Denken hervorgebracht zu haben, was sich wohl weniger am engagierten Auftreten der „Friday for Future“ Bewegung zeigt, als mehr an den (je nach Perspektive; ehrgeizigen oder viel zu langsam verlaufenden) Zielen vieler Staaten, in den nächsten Jahren und Jahrzehnten den Zustand der Klimaneutralität zu erreichen. Damit einher geht ein Umdenken in Richtung Verzicht,[12] welcher mir als Gedankengebäude durchaus einflussreich bzw. Aufmerksamkeitswirksam geworden ist[13] und quasi in Fundamentalopposition zur von Rosa beschriebenen Moderne der dynamischen Stabilisierung liegt. Die Resonanztheorie kann diese Veränderung kaum fangen, denn wie bereits erwähnt steht der Verzicht der von Rosa beschriebenen Moderne konträr entgegen. Hier scheint die Logik einer auf dynamische Stabilisierung abzielenden Moderne an ein Ende zu kommen.[14] Daran würde sich natürlich die Frage anschließen, ob das Erreichen von Klimaneutralität wieder durch die Logik der dynamischen Stabilisierung erreicht werden würde, nur eben mit der Aufnahme der Prämisse den Klimawandel zu stoppen?
Die Logik der dynamischen Stabilisierung wird bei Rosa als „kulturelle Kraftquelle“ gedeutet, welche auf Kontrolle, Herrschaft und maximale Verfügbarkeit der Welt zielen (2018 veröffentlichte Rosa ein weiteres Werk mit dem Titel „Unverfügbarkeit (Unruhe bewahren)“, dessen Lektüre ich mir aber nicht gegeben habe). Diese Kraftquelle besteht auch weiterhin, selbst als diese – auf den ersten Blick für die Resonanztheorie wiedersinnig – durch die Wirkung des Sars-Cov-2 Virus und seiner epidemischen Ausbreitung, die Welt im Jahr 2020 zu einem in der Moderne nie dagewesenen Stillstand brachte. In seinem in jenem Jahr mit Bettina Hollstein veröffentlichten Text[15] geht Rosa auf die Erfahrungen des fast global abgehaltenen Lockdowns ein und erklärt die Entschleunigung der Welt mit dem Bedürfnis der kulturellen Kraftquelle, Kontrolle und Verfügbarkeit zu gewinnen. Das ist keine wirklich befriedigende Antwort, auf das was wir seit fast zwei Jahren nicht nur in Deutschland, sondern global erleben, denn sie erklärt nicht, warum die Welt sich gerade jetzt verlangsamt bzw. warum es gerade dieser Virus ist, der Lockdowns und zahlreiche andere vorher nicht gekannte Phänomene hervorruft und dies nicht bei anderen Epidemien (als Beispiel sei die spanische Grippe 1918/19 genannt, welche als Viruskrankheit weitaus tödlicher als Covid 19 war) schon tat. Warum reagieren wir also heute so, oder um es mit Rosa zu fragen, warum entscheidet sich die „kulturelle Kraftquelle“ für einen Lockdown bzw. eine Logik der wirtschaftlichen Bremsung (das diese Frage geradezu Verschwörungstheorien magisch anzieht ist ein anderes Problem des eher ungünstigen Begriffs „kulturelle Kraftquelle“)?
Noch unbefriedigender ist aber, dass sich diese Interpretation wie ein politischer Aufruf liest, der im Satz „nicht auf das Wissen, sondern auf das Handeln kommt es jetzt an.“ (Rosa 2020; S.29) kulminiert. Hier erreichen wir deutlich die Grenzen von Soziologie als Wissenschaft der Erforschung was Gesellschaft ist und Soziologie als politischem Lehrbuch, wie man Gesellschaft verändern könnte (hier schon eher mit dem normativen Anspruch – verändern muss – deklamiert). Das ist aus wissen-schaftlicher Sicht – vorsichtig formuliert – etwas wenig. Tatsächlich ist die Corona-Viruskrise mindestens genauso ein biologisch, wie ein soziales Phänomen. Und damit verbinden sich viele Fragen, die mir mit dem Argumentationsmuster das Resonanz die Lösung auf die Entfremdungsphänomene der Moderne ist, nicht beantworten lassen. Zum Beispiel warum es trotz eines global relativ ähnlichen Schemas der Viruseindämmung, fundamentale Unterschiede in unterschiedlichen Staaten mit teilweise ähnlichen, teilweise höchst konträren politischen Systemen zu beachten gab (man vergleiche die eher „lockeren“ Reglungen der demokratischen Länder wie Schweden, der USA oder Brasiliens mit den restriktiven „No-Covid Strategien“ von Demokratien wie Australien oder Neuseeland oder der Autokratie Chinas). Interpretiert man dies als die Stärke kultureller Kraftquellen, kann man nicht umhin, dass es in unterschiedlichen Staaten scheinbar unterschiedlich intensive Kraftquellen gibt, deren Strategien trotz teilweise ähnlicher politischer Systeme unterschiedliche Ausformungen erhalten. Ist das noch eine eher politische Frage, sind die Fragen, wie Viruswellen entstehen, notwendigerweise soziologische Themen, weil sie durch menschliches Verhalten bestärkt, oder auch reduziert werden. Wie gehen unterschiedliche Kulturkreise mit dieser Bedrohung um? Warum sind Impfquoten in Portugal so hoch, in Deutschland so mittel und in Russland eher verheerend? Welche Formen je spezifischer kultureller Kommunikation führte zur Verbreitung des Virus und wie haben Gesellschaften darauf reagiert? Wieso kann die Frage einer Impfung unsere Gesellschaft(en) so spalten, dass die jeweils eine Seite der anderen Seite vorhalten kann, sie in Geiselhaft zu nehmen? Warum gewinnt ein Gesundheitssystem plötzlich Aufmerksamkeit (und in der Expertenform des Virologen plötzlich Weltdeutungscharakter), obwohl es jahrelang nur als Kostenfaktor thematisiert wurde? Ich könnte noch so viele Fragen hier anschließen, nur wird keine mit der Frage nach Resonanz und / oder Entfremdung zufriedenstellend beantwortet werden können.[16]

Zusammenfassend ist „Resonanz“ ein lesenswertes Buch mit einem zentralen Begriffsapparat (Resonanz, Entfremdung Reichweitenvergrößerung…) der viele Anschlussüberlegungen zulässt. Allerdings verweisen mir diese Überlegungen immer auf die Kritik einer Gesellschaft, die mir schon weiter fortgeschritten erscheint.[17]

Als Erklärung, wie unsere heutige moderne Gesellschaft sich zeigt, hat sie aber Lücken, die mich zu sehr interessieren, als das ich mich nicht mit ihnen beschäftigen würde So schaue ich mir als nächstes Armin Nassehis Blick auf unsere Welt an, die nach seiner Theorie eine digitale Gesellschaft geworden ist.

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[1] Anders als beispielsweise bei Andreas Reckwitz wird eine Untereinteilung des Begriffs Moderne nicht explizit vorgenommen. Spätmoderne hat bei Rosa eher einen pejorativen Touch, der einem das Gefühl gibt, da kommt danach irgendetwas anderes, nur kann man kaum sagen was. An dieser Stelle sein daran erinnert, dass schon vor einigen Jahrzehnten mit einer gewissen Emphase von „Spätmoderne“ gesprochen wurde und der Nachfolger immer noch nicht da ist (oder vielleicht nur nicht identifiziert wurde)!

[2] Moderne ist nicht auf den sozialwissenschaftlichen Diskurs der Beschreibung zeitgenössischer Gesellschaft beschränkt. Viele menschliche Ausdrucksformen lassen sich mit dem Begriff der Moderne beschreiben; moderne Architektur, moderne Kunst, moderne Literatur etc. In den Sozialwissenschaften ist es die Soziologie, die es zu ihrem Kerngeschäft gemacht hat zu klären, wie sich moderne Gesellschaften formieren.

[3] Rosa bemerkt, dass dieser Begriff der Moderne den Vorteil genießt keine normativen Implikationen zu beinhalten. Tatsächlich baut er diese normative Komponente aber quasi mit der Hintertür ein, wenn er diagnostiziert, dass es die moderne Sozialstruktur ist, die zu Resonanzverlust und Entfremdung führt. Wenn die Moderne das ist, was sie ist und dann zu dem führt, was sie auslöst, dann ist die Bewertung der Moderne durchaus als normativ „schädlich“ zu betrachten, oder wie der Buchrücken sagt: „Resonanz bleibt das Versprechen der Moderne, Entfremdung aber ist ihre Realität“. Die Frage wäre, ob die Moderne die Möglichkeit bereithalten würde die Resonanzkrise zu lösen, oder würde dies nicht zu einer Auflösung ihrer Kernmerkmale führen und wäre dies nicht letztendlich auch das Ende der Moderne?

[4] Wobei ich das Gefühl hatte in meinem – schon recht lang zurückliegenden – Abi-Jahrgang diese Beschleunigung eher negativ zu bemerken, denn einige Lehrer scheuten sich nicht zu verlautbaren, dass ihre Schüler von Jahr zu Jahr dümmer würden bzw. die Ansprüche des Abiturs abnehmen würden. Ich fand meine Abiturprüfungen übrigens anspruchsvoll genug.

[5] Hier sei an die Geschichte der Malerei erinnert, welche irgendwann die Welt so „realistisch“ abbilden konnte, dass dies zu neuen künstlerischen Ausdrucksformen führte, welche die Realität verfremdete, um hinter den ersten Blick zu schauen und ihr Wesen abzubilden. Kunst zeigt uns also die Welt, indem sie die Welt verfremdet und auf Ausformungen der Welt durch einen speziellen Interpretationsmechanismus verweist. Den kann man verstehen und für gelungen halten (wobei hier Resonanz entstehen kann) oder es bleibt nichtssagend.

[6] Zur Erklärung; wer in einer kapitalistischen Leistungsgesellschaft seine Leistung erbringt, dem wird entsprechend wirtschaftlicher Erfolg in Aussicht gestellt. In der Spätmoderne verschiebt sich diese Aussicht dahingehend, dass sie sich nicht mehr auf eine generellen Leistungsethik handelt, sondern diese auch situativ in unterschiedlichen Momenten, mit unterschiedlichen Ausformungen angewendet werden muss.

[7] Rosa nimmt hier seine Diagnose zur beschleunigten Gesellschaft auf (Hartmut Rosa; 2005; „Beschleunigung. Die Veränderung der Zeitstrukturen in der Moderne“).

[8] An dieser Stelle fehlen mir bei Rosa immer wieder Beispiele, die insbesondere eine Abgrenzung von Resonanz verdeutlichen können. Wann scheitert Resonanz, wenn sie gesucht und nicht gefunden wird? Bei Rosa stelle ich mir Resonanz wie eine Art Premiumkommunikation vor und durchleuchte meinen Alltag und meine Erinnerungen mit der Frage, war das jetzt schon Resonanz? Vielleicht ist diese Vorstellung aber auch zu sachbezogen.

[9] Ein weiteres Beispiel von Resonanzversprechen habe ich erst kürzlich in einer Beschreibung einer künstlerischen Performance entdeckt, welche sich mit einem Zitat von Hartmut Rosa (https://www.hellerau.org/de/event/niemandsland/) schmückt. Dabei wurde zumindest angedeutet, man könne bei dieser Performance mit Resonanz (nicht im klanglichen, sondern im sozialen Sinn) rechnen. Dies ist ein weiteres Beispiel für moderne Resonanzversprechen in der „Jetztzeit“, die allerdings immer den Knacks haben, das Resonanz definitorisch ein Moment konstitutiver Unverfügbarkeit besitzt, also eben nicht willentlich hergestellt werden kann. Sie kann passieren, muss aber eben nicht. Sie vorher anzukündigen, lässt sie zu einem Objektbegehren werden (ich will unbedingt das Stück sehen, denn dort erhalte ich Resonanz).

[10] Gerade die Trennlinie zwischen einer Durchstimmung der je eigenen Emotionen in welcher man gerührt ist, aber keine Weltbegegnung passiert und einer Resonanz, in welcher man von der Welt berührt wird, scheint mir sehr fluide zu sein und ein bisschen in der Tradition der Unterscheidung zwischen Unterhaltungs- und Hochkultur zu stehen.

[11] Ich beziehe hier einen weiteren Text von Hartmut Rosa ein, der im Jahr 2020 zusammen Bettina Holstein unter dem Titel „Unverfügbarkeit als soziale Erfahrung“ veröffentlicht wurde. Ich war froh diesen allerdings nur rund 10 Seiten starken Text zu finden, denn ich hoffte von ihm einige Interpretationen zu erhalten, was man mit der Resonanztheorie auf die Herausforderung der Viruskrise antworten könne. Tatsächlich geht der Text auf diese Krise ein und zu seiner Verteidigung muss man erwähnen, dass er wohl kurz nach der 1.Welle und dem ersten „Impact“ des SARS-Cov-2 Virus entstand und man damals vielleicht etwas naiv vor dem weiteren Verlauf der Krise stand. Unabhängig davon finde ich den Beitrag als wissenschaftlich-soziologischen Text von erstaunlich dünner Tragweite und das in zweifacher Hinsicht. Erstens lieferte er mir eben gerade nicht Antworten auf die Frage, wie das Leben in der Viruskrise auf Resonanz und Entfremdung bezogen werden kann und zweitens ist er mehr ein politisches Manifest als ein wissenschaftlicher Text.

[12] Erst letzte Woche hörte ich von einer Studie über die Einstellung der Jugend, in welcher betont wurde, dass diese Jugend doch gar nicht so umweltfreundlich in ihren Einstellungen ist, wie gemutmaßt wurde, weil nur eine Minderheit bereit wäre auf Flüge oder Fleischessen zu verzichten.

[13] Erst neulich verkündete meine erst 5-jährige Nichte von nun an auf Fleischkonsum verzichten zu müssen, natürlich nicht ohne gewisse Ausnahmen in Anspruch nehmen zu müssen.

[14] Natürlich könnte man hier erwähnen, dass es gerade die doppelte Hermeneutik der Resonanztheorie ist, welches auf die Gesellschaft überspringt und diese zum Umdenken bewegt. Das wäre die Vorstellung, dass Rosas Werk tatsächlich auch seinen Anteil hat, am wirkmächtigen Diskurs, welcher argumentiert die Beschleunigung der Moderne zum Schutze des Weltklimas abzubremsen. Als politisches Manifest würde die „Resonanztheorie“ damit mehr funktionieren, denn als wissenschaftliche Diagnose einer Gesellschaft, welche diese Veränderungsprozesse eben nicht sehen kann. Für unsere Rahmensetzung in „our pathetic age“, welche sich mit Fragen der Ausformung unserer Zeit beschäftigt wäre dies daher nicht zielführend, denn wir wollen wissen was ist und nicht, wie es verändert werden soll (das wäre immer erst der 2.Schritt).

[15] Siehe Anmerkung 11

[16] Natürlich könnte man sich Fragen, ob nicht-pharmakologische Maßnahmen wie Lockdowns als technisch-instrumentelle Entfremdungsanordnungen zu interpretieren sind. Viele „Querdenker“ würden sich diesem verkürzten Gedankengang anschließen (verkürzt deshalb, weil auch im Lockdown Resonanz natürlich nicht ausgeschlossen werden kann, allerdings erscheint mir die soziale Konstellation des sich Einschließens nicht unbedingt förderlich für ein resonanzerfülltes Leben), dem ich an dieser Stelle keinesfalls der Resonanztheorie unterstellen würde. Im Text von 2020 werden die Lockdown-Maßnahmen auch als richtig bezeichnet, wenngleich nicht deren Richtigkeit begründet. Gleichzeitig scheint mir diese Krise viel zu neu und komplex, als ich die Theorie zu ihrer Interpretation benutzbar finde, vielmehr scheint mir die Viruskrise auf Aspekte einer sich verändernden globalen Gesellschaft zu verweisen, bei deren Analyse Resonanz als Kernbegriff mir nicht hilfreich erscheint.

[17] Um es so zu wenden; eine Kritik der gesellschaftlichen Zustände muss Bewegungen wie „Fridays for Future“ ernstnehmen, was nichts anderes heißt, als dass man die Wirkmächtigkeit der Gegenbewegungen in die Beschreibung der Logik der Gesellschaft einbauen muss. Natürlich gab es bei der Veröffentlichung von „Resonanz“ noch gar kein Friday for Future, aber durchaus andere soziale Bewegungen, wie das „Movimiento 15-M“ in Spanien oder die später global viel weiter gehört werdende Bewegung „Occupy Wall Street“. Unsere Gesellschaft hat also schon seit vielen Jahren Gegenvorschläge zur von Rosa beschriebenen Moderne der Verfügbarmachung der Welt hergestellt. Warum diese wirkmächtiger werden, ist eine der spannendsten Fragen für die ich bei Rosa keine Antwort erhalte, außer der, das es Zeit wird mitzumachen.

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