Idee: Charles Yu | Comedy-Drama Miniserie | 10 Folgen | veröffentlicht 2024 auf Hulu (international bei Disney+)
Wie könnte man am besten einen Artikel zu einer wunderbaren Serie eröffnen? Man müsste schreiben, warum einen diese Serie persönlich so berührt hat, warum man auf sie gekommen ist. Vielleicht auch, in welchem Kontext die Serie steht, ob nun im Genre oder gesellschaftlich allgemein. Und vielleicht könnte man schon darauf anspielen, warum einem die Serie so gut gefallen hat.
Charles Yus Serie „Interior Chinatown“ handelt von einem amerikanischen Chinatown, von Verbrechen und Cops, aber eigentlich ist es eine Serie, welche die Unterhaltungsindustrie thematisiert, und das macht sie auf höchst intelligenter Art und Weise.
Willis Wu (Jimmy O. Chang) ist Kellner im Chinarestaurant „Golden Palace“ im chinesischen Viertel von Harbour Town, einer Stadt, die gleichzeitig so klein wie eine Filmkulisse und so groß wie Amerika wirkt. Sein bester Freund Fatty Choi (Ronny Chieng) arbeitet ebenfalls im Restaurant, ist ein sehr missmutiger Kellner, allerdings hocherfreut von der Schönheit von Detective Lana Lee (Chloe Bennet), die wiederum Willis dafür gewinnen möchte, das rätselhafte Verschwinden seines Bruders Jonathan (Chris Pang) aufzuklären, der seit 12 Jahren sehr heftig von Willis, seiner Mutter Lily (Diana Lin) und seinem Vater Joe (Tzi Ma) vermisst wird. Schnell wird Willis immer mehr in die Aufklärung des Falls hineingezogen, lernt die beiden prominentesten Detektive der Stadt, Turner (Sullivan Jones) und Green (Lisa Gilroy), kennen und entfernt sich immer mehr aus Chinatown.
„Interior Chinatown“ ist eine der verzwicktesten, klügsten und humorvollsten Serien, die es seit Jahren gab, aber sie ist nicht wirklich zum Binge-Watching geeignet. Ich musste tatsächlich nach Folge 7 nochmal von vorn starten, weil ich eine längere Pause eingelegt hatte und das Gefühl mich nicht losließ, dass man den ganzen Fall unbedingt nochmal neu aufrollen müsse. Wenn man sich aber voll auf diese Serie einlässt, dann ist sie grandioser Spaß, weil sie ein Feuerwerk der Referenzialität, des Spielens mit Erzählebenen und mit Optiken ist und dabei eine eigenwillige Art von Humor entwickelt, der zwar recht hintergründig, aber dafür brillant und sehr subtil ist.
Das beginnt schon bei der allerersten Szene, einem Cold-Open, also einer Erzähltechnik, die in Filmen und Serien angewendet wird und die den Zuschauer noch vor dem Vorspann in eine Handlung einführt. Diese Technik ist nicht ungewöhnlich für Serien, allerdings wird die Handlung in „Int. Chinatown“[1] referenziell gedreht, denn Folge 1 beginnt mit einem Cold-Open, in welchem die beiden Hauptfiguren Willis und Fatty über die Serientechnik Cold Open diskutieren, und das setzt den Rahmen der gesamten Serie fest, welche auf der einen Seite (methodisch) ihre Stärke in diesen (Selbst-)Referenzen haben wird und auf der anderen Seite (inhaltlich) eine Serie über Serien, Filme, man könnte sogar sagen, die Unterhaltungsindustrie ist, was sich aber als Handlungsrahmen erst sehr langsam herausschält.
Die Serie und ihre Struktur zu „entschlüsseln“ wird dann zum eigentlichen Rätsel für den Zuschauer von „Interior Chinatown“, denn scheinbar wild wechseln sich hier Erzählebenen ab, immer wieder changieren die Farben und fantastische Seriennamen bannen sich ins Bild, nur dass nie wirklich klar wird, in welchem Bezug hier die Handlungsebenen angeordnet sind, was also Erzählung ist und was Meta-Erzählung. Man ist als Zuschauer immer wieder fasziniert davon, was bitte schön diese „Impossible Crime Unit“ für Fälle löst und warum das Rätsel des Verschwindens von Johnny eher einem kafkesken Fiebertraum erinnert, als der Lösung eines Kriminalfalles. Und dieses Verschwimmen von (scheinbaren) Erzählebenen ist nicht nur ein Stilmittel, sondern es setzt schon bei der Kritik an, welche „Int. Chinatown“ an die Medienindustrie richtet. Diese Kritik macht aufmerksam darauf, dass die Realität und die Abbildung oder Inszenierung von Realität (in den Medien) immer mehr zu einer Wahrnehmung verschwimmen, es ist die fehlende Grenze, die zwischen hier und dort, zwischen Realität und Meta-Realität verschwindet, nur dass die Realität der Medien nicht ausschließlich auf dem Prinzip der Wahrheitswiedergabe fußt, sondern auch darauf, die Aufmerksamkeit des Zuschauers zu erlangen. Was medial als wahr inszeniert ist, ist also immer auch ein Ergebnis einer eigenen von den reinen Fakten abgelösten kulturellen Erzählung, welche die Einordnung und die „Sehbarkeit“ erleichtern soll. Diese Erzählung wiederum bedient sich nicht nur Klischees, sondern sie erneuert und erweitert diese auch immer wieder, so wie die Vorurteile, die man beispielsweise über eine amerikanische „Chinatown“ haben kann. Die Serie persifliert geradezu, wie schlechte Krimis inszeniert werden und ist dabei eine der subtilsten Medienkritiken der letzten Jahre. Ein echter Geheimtipp!
[1] Eigenschreibweise in der Serie