Leave the World Behind

Jahr: 2023 | Regie & Drehbuch: Sam Esmail | Endzeitfilm | 138min | Location: Long Island

Das Jahr 2023 verstärkte den Eindruck, die Menschheitsgeschichte fülle sich mit immer weiteren Katastrophen. Man kann die Konjunktur einer düsteren Endzeitstimmung nur schwerlich abstreiten, zumal eine Relativierung der Problemlage schnell in den moralischen Verdacht gerät, man würde die Herausforderung nicht ernst nehmen und damit die Katastrophe nur vergrößern. Obwohl das Grundgefühl, die Welt (oder mindestens mal das eigene Land oder die eigene Kultur) stehe am Abgrund ungefähr so alt ist, wie menschliche Zivilisationen selbst, ist es in den letzten Jahren nochmals verstärkt worden, durch einen ethischen Pathos, der herannahenden globalen Katastrophen. Was läge da näher das neue Jahr 2024 mit einem brandaktuellen Katastrophenfilm zu beginnen!

Familie Sandford macht spontan Urlaub, weil die misanthrophe Mutter Amanda (Julia Roberts) eine Pause vom menschengefüllten New York braucht. Vater Clay (Ethan Hawke) ist begeistert und mit den Kindern Rose (Farrah Mackenzie) und Archie (Charlie Evans) geht es los nach Long Island. Das angemietete Haus entpuppt sich als Luxusvilla und der Strand ist nahe und wird sogleich besucht. Die Erholung wird jedoch von einem auf Grund auflaufenden Tanker gestört. Getoppt wird das noch am Abend, als der mysteriöse G.H. (Mahershala Ali) mit seiner Tochter Ruth (Myha’la Herrold) an der Haustür klopft, sich als Hausbesitzer vorstellt und um Unterbringung bittet, weil in New York irgendwas nicht stimmen würde.

Um das Fazit gleich vorwegzunehmen, „Leave the World Behind“ ist ein großer Favorit auf den Titel dümmster Film des Jahres. Als Katastrophenfilm ist er reine Effekthascherei und die beginnt schon weit vor der Katastrophe. In den ersten 15min muss man annehmen, man sei in einem Musical gelandet, weil fortwährend Musik gespielt wird, die ärgerlich laut sich in den Mittelpunkt drängt. Schlimmer wird dies dann im Rahmen der Darstellung der Katastrophe und nur für den an dieser Stelle nicht empfohlenen Fall, sie hochgeschätzter Leser, wollen wirklich mehr als zwei Stunden mit diesem filmischen Abgründen verschwenden, dann lesen sie lieber nicht weiter, ich spoilere von nun an gnadenlos.
Nicht nur sind die dargestellten Szenarien einer hereinbrechenden Katastrophe allesamt ziemlich schlecht ausgedacht und in ihrer Reihenfolge unlogisch, sie sind auch rein für den Zuschauereffekt angelegt (für die Überraschung, den Grusel, das Verschrecken) und lassen die Filmfiguren höchst dämlich aussehen, wenn man nur ganz kurz reflektiert, wie ein Mensch in der dargestellten Situation reagieren würde. Nur ein Beispiel; G.H. findet am Strand eine nur ganz leicht aus dem Sand hervorlinsend Armbanduhr. Er zieht diese heraus und muss feststellen, dass die Uhr noch an einer (abgetrennten) Hand hängt und erst jetzt fällt ihm (mitten auf dem Strand stehend!) auf, dass an jenen Gestaden nicht nur eine Armbanduhr im Sand versteckt war, sondern der ganze Strand mit Wrackteilen eines erst sehr kürzlich abgestürzten Flugzeugs zugepflastert ist und ein weiteres Flugzeug sich gerade im Sturzflug auf den Meeresabschnitt befindet, welches bereits mit Wrackteilen, menschlichen Resten und G.H. bevölkert ist. Welches menschliche Bewusstsein, wie das hier von G.H. inszenierte, kann so eingeengt fokussiert sein und eine kleine Armbanduhr fixieren und dabei ein abgestürztes und ein abstürzendes Flugzeug erstmal so lange ignorieren, bis man feststellen muss, dass die Uhr noch getragen wird? Natürlich ist der Gruseleffekt für den Zuschauer des Films viel größer, wenn man die Aufmerksamkeitskette Uhr – abgetrennte Hand – Flugzeugwrack – abstürzendes Flugzeug nacheinander zeigt, aber sie macht für die Figur G.H. überhaupt keinen Sinn! Leider wiederholen sich solche dümmlichen Szenen dauernd. Es wird von Tieren philosophiert, die Unglücke eher verstehen als Menschen, dann aber eigentümlich aggressiv wirken, dass sie bedrohlich wirken, aber doch nur warnen wollen. Oder es wird ein Lärm inszeniert, der sich überall hin ausbreitet, aber in seiner Ausbreitung gleich laut bleibt. Noch fataler ist dann die Pointe, die nahelegt, es handele sich um einen 3-Stufen-Plan, die Welt (aber mindestens mal die USA) in Schutt und Asche zu legen durch Isolation, (die Simulation von) Terror und einem dann ganz automatisch folgenden Bürgerkrieg. An dieser Stelle des Filmes ist nur eine Sache erfreulich, wir sind dem Ende des Streifens erfreulich nahe. Aber selbst, wenn die Effekthascherei und der dümmliche Plot ignoriert würden, hat dieser Film vielleicht eine philosophische oder politische Tiefe? Wenn, dann ist diese Tiefe erstaunlich flach. Man könnte das Geschehen als eine Warnung vor dem Verfall von Demokratien lesen, aber tatsächlich wird ja nicht das Zustandekommen dieses Zustands thematisiert, sondern nur eine ziemlich dümmlich zusammengebastelte Konsequenz, die so unrealistisch ist, dass man sie nicht ernst nehmen kann. Auch schauspielerisch kann „Leave the World Behind“ kaum überzeugen (wie auch, wenn man so unrealistischen Mist zusammenspielen muss). Die Figuren entwickeln sich kaum oder sind einfach zu plump dargestellt und das wenige zwischenmenschliche der beiden Familien wird klein gehalten und der Katastrophe außer Haus geopfert.
Selbst für Anhänger von Dystopien und Katastrophenfilmen wird „Leave the World Behind“ eine Herausforderung, die ich an dieser Stelle als „Zeitverschwendung“ titulieren möchte.

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