Umberto Eco – Der Name der Rose

Erschien 1980 im italienischen Original „Il nomma della rosa“ bei Editoriale Fabbri-Bompiani | deutsche Übersetzung von Burkhart Kroeber hier vorliegend als dtv Taschenbuch mit 680 Seiten

Fast ein halbes Jahr liegt die letzte Romanvorstellung auf diesen digitalen Seiten zurück. Das lag zum einen daran, einen gewissen Sachbuchrückstand weg zu machen (verbunden mit einem größeren Projekt über die Geschichte der Philosophie, aber dazu in einem späteren Eintrag mehr). Zum anderen lag dies auch daran, mein „Tsundoku-Konto“ positiv zu halten und keine neuen Romane zu erwerben (was schwerfällt, betrachtet man die Neuerscheinungen; ich nenne Namen: Murakami, Kehlmann, Haas). Also musste die heimische Bibliothek untersucht werden, nach ungelesenen Schätzen und da fiel mir schnell „Der Name der Rose“ in die Hände, vor vielen Jahren begonnen, aber nach rund 200 Seiten nicht beendet. Diese Schmach – wohl schon als Student zugezogen – nicht ein einziges Buch von Umberto Eco fertig gelesen zu haben, musste ich irgendwann tilgen, also frisch ans Werk.

Am Ende seines Lebens schreibt der Mönch Adson von Melk eine ganz besondere Geschichte seiner Vita auf. Wir befinden uns im Spätmittelalter, im November 1327, als der damals junge Novize den britischen Franziskanermönch William von Baskerville in eine Benediktinerabtei im Apennin begleitet. William, ein ehemaliger Inquisitor ist hier, um ein Treffen von Abgeordneten seines Ordens mit Vertretern des Papstes zu organisieren. Doch im Kloster ist es zu einem Todesfall gekommen und der Abt Abbo von Fossanova bittet William um Mithilfe bei der Aufklärung.

„Der Name der Rose“ ist ein sehr vielschichtiges Buch und ich kann nur ansatzweise versuchen, dieses hell leuchtende Prisma zu beschreiben. Natürlich ist der Roman als erstes eine Kriminalgeschichte, die ein wenig an Sherlock Holmes Stücke erinnert. William ist wie Sherlock, deduziert mit großer Brillanz hin und her und versinkt immer tiefer in sich ausweitende Mordfälle, während sein junger Assistent Adson (man vergleiche die sprachliche Ähnlichkeit zu Watson) ihm manchmal tollpatschig, manchmal unbewusst hellsichtig, zur Seite steht.
Das Ganze ist im Setting des späten Mittelalters geschrieben, bei dem einige Sujets dieser Epoche im Mittelpunkt stehen. Das vielleicht wichtiges Thema ist die Welt der Klöster, die eine Art Doppelrolle einnehmen. Sie sind Horte der Wissensspeicherung und Wissensduplikation. In ihren Bibliotheken (tatsächlich erinnert die labyrinthische Bibliothek des Klosters etwas an Borges „Bibliothek von Babel“) lagern die wertvollsten Handschriften menschlichen Wissen. Dieser Schatz wird nicht nur gehütet (in dieser Abtei besonders streng), sondern er wird im Skriptorium auch erweitert, in dem Handschriften kopiert und ausgetauscht werden.
In der Zeit des Mittelalters, als Wissens sich nicht hyper-dynamisch ausbreitet, wie heute, sondern gemächlich, fast stagnierend erweiterte, sind die Abteien die intellektuellen Leuchttürme, die in die (ideologisch) graue Welt Europas leuchten. Gleichfalls sind sie politische Player der Zeit und stehen im Austausch zwischen weltlicher und religiöser Macht des Mittelalters. Im „Namen der Rose“ wird diese Welt detailliert und mit damaligen Geschehnissen beschrieben. Wir erleben einen Papst, der in Avignon residiert und einen Kaiser, der nach Rom aufbricht und wir sehen, wie neue Gedanken ausgehandelt werden müssen und zwischen Häresie und göttlicher Ordnung changieren, auch wenn diese Gedanken so menschliche Dinge wie die Armut oder das Lachen betreffen. „Der Name der Rose“ ist damit auch ein beeindruckendes Mittelalterbuch, dass mit großer Liebe zur Epoche geschrieben ist und seine Leser anregt, sich mehr mit ihm zu beschäftigen.[1]
Aber auch damit sind nicht alle Ebenen des Romans abgedeckt. Wir finden ein Buch das sich – Eco war Semiotiker – auch um die Fragen der Bedeutungen und Wahrheiten von Zeichen dreht und im Zusammenhang mit Wahrheit, erleben wir ein Buch, das durch seine vielschichtige Perspektive ein Musterbeispiel postmoderner Literatur ist. Das beginnt schon mit dem ersten Teil und dessen Titel: „Natürlich, eine alte Handschrift“. Ein einleitender Text, der über die Herkunft des eigentlichen Buchtextes referiert, also die Wahrheit des vorliegenden Textes relativiert. Dazu mischen sich in der Erzählung eines erfundenen Klosters und seiner fiktiven Hauptpersonen immer wieder real existierende Personen und Werke (der Inquisitor Bernard Gui, der Häretiker Fra Dolcino, das Buch über Poetik von Aristoteles, wobei letzteres genau genommen ein Mischfall ist) und es werden reale Ereignisse des Spätmittelalters thematisiert.
Aber auch damit ist der Roman noch nicht ansatzweise genug beschrieben, denn es ist gleichfalls ein Werk über Ideologien und deren Konsequenzen. So ist ein großes Thema in „Der Name der Rose“ das Lachen und seine Bedeutung im Leben. Das Lachen wird dabei aber nicht individuell ausgedeutet, sondern als gesellschaftliche Funktion (des Mittelalters) beschrieben, also die Frage wie freiheitlich eine Gesellschaft wird, wenn sie das Lachen erlaubt oder im Gegenteil, wie starr und regelkonform sie ist, wenn sie ernst bleiben muss. Das ist ein Thema, dass sicherlich auch in unseren Tagen eine Aktualität hat.[2]
Und natürlich ist der Roman auch ein Buch über Bücher, über deren innere Schätze, über die Angst davor, was sie verändern könnten, über ihr Bewahren von Wissen und über die Tragik ihres Verlustes.[3]

Das so viele Motive, Verweise, Ideen, Anspielungen etc. den Roman reichhaltiger machen ist wohl ebenso klar, wie die Feststellung, dass das Buch sehr gern abschweift, in die Welt des Mittelalters, die Frage nach Bedeutungen von Zeichen oder von politischen Zusammenhängen (es gibt Deutungen, welche die Darstellung auf die italienischen Verhältnisse der 1970er Jahre beziehen). Der Boden der Kriminalgeschichte wird damit immer wieder verlassen (was wohl dazu führte, dass mein erster Leseversuch scheiterte, mea culpa, ich war jung und hatte wohl [gefühlt] keine Zeit). Das macht den Roman zwar vielschichtiger, aber teilweise etwas komplizierter zu lesen, jedoch ist diese Herausforderung nicht nur zu bewältigen, sie ist am Ende des Textes auch sehr erfüllend, denn nach fast 700 Seiten kann man nicht umhin zu resümieren, ein tiefgründiges und spannendes Buch gelesen zu haben, dass wohl eines der großen Werke der postmodernen Literatur ist.

[1] Tatsächlich erlebe ich gerade eine persönliche Mittelalter-Renaissance, die unabhängig vom Roman, sich in meiner Aufmerksamkeit breit macht. Sie wird hauptsächlich vom wundervollen YouTube Kanale: „Geschichtsfenster“ gespeist.

[2] Das neue Buch von Axel Hacke „Über die Heiterkeit in schwierigen Zeiten und die Frage, wie wichtig uns der Ernst des Lebens ist“ soll sich (ich habe dieses Buch noch nicht gelesen) mit Ecos Roman und der Frage des Lachens beschäftigen, wie ich wiederum aus meinem wöchentlichen Podcast erfuhr, über den ich bei Gelegenheit hier auch mal schreiben sollte.

[3] Die Angst vor dem Verlust des Textes scheint im digitalen Zeitalter unerheblich geworden zu sein, aber vielleicht ist sie das nicht, denn erstens ist der Text technisch immer noch auslöschbar und zweitens liegt vielleicht in seiner Hyperinflation das Problem einer zunehmenden Unsichtbarkeit oder Unlesbarkeit durch Vielheit.

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