„Agnes“ ist der Debütroman des Schweizer Schriftstellers Peter Stamm aus dem Jahr 1998. Das ich seine Kurzgeschichten sehr mag, erwähnte ich bereits. So ist es an der Zeit auch mal sein Romanwerk näher zu betrachten und da kam es gerade Recht, dass der Roman nicht nur mir empfohlen wurde, sondern auch recht günstig im 2.Hand-Internetladen zu haben war.
Bei „Agnes“ haben wir nicht direkt einen Liebesroman vorliegen, auch wenn es um eine Liebesbeziehung geht und zwar die, eines Schweizer Sachbuchautoren (gleichzeitig der Ich-Erzähler) und einer amerikanischen Promotionsstudentin, die sich beide in einer Bibliothek in Chicago treffen. Wir verfolgen den Werdegang ihrer Beziehung und ihr Scheitern. Oberflächlich ist damit auch schon der Inhalt nacherzählt, trotzdem ist „Agnes“ ein bewegendes und vielschichtiges Buch, dass sich nicht für eine schnelle oder einseitige Interpretation des Inhalts eignet.
Da hätten wir zum einen beide Hauptcharaktere. Da ist der Erzähler, ein sachlicher und rationaler Typ, der gleichfalls hinter einer Hülle seine Gefühle gut ummantelt und versteckt. Er ist in seinem eher einsamen Leben lieber allein, da er sich der Verantwortung einer gemeinsamen Partnerschaft mit einem anderen Menschen nicht stellen möchte. Auf der anderen Seite ist Agnes, die eigentlich so rein gar nicht Naturwissenschaftlerin ist, sondern ein eher emotionaler Typ und ihre Gefühle immer über die Rationalität stellt. Sie ist ein etwas wunderlicher und sehr verletzlicher Mensch.
Ihre Beziehung wird – und das macht den Reiz des mit 154 Seiten recht kurzen Romans aus – von der eigenen Erzählung begleitet. Denn Agnes möchte, dass der Sachbuchautor, dessen Namen wir nie kennenlernen, ihre Liebesgeschichte aufschreibt, als eine Art schriftliches Manifest ihrer Liebe. Doch diese Geschichten entwickeln sich weiter, bald wird aus dem Niederschreiben der Vergangenheit, der Blick in die Zukunft, das Ausspielen der Fantasie gegen die Realität. Umso länger und brüchiger die Liebe der Beiden wird, umso mehr werden aus diesen Geschichten, die so etwas wie der Roman im Roman sind, Wasserstandsmeldungen der Liebe. Sie werden zu den Sachen, die man sich nicht mehr (oder niemals) sagt(e) und nur noch in dieser chiffrierten Form kommuniziert werden. Das ist großartig von Stamm erdacht, dessen kurze und knappe Sätze sowohl wunderschön sind, als auch den Raum der Interpretation für jeden Leser groß lassen. Und so ertappen wir uns als Leser, wie wir unseren Liebespartner sehen und sahen, wie sie sind wenn sie mit einem Reden und wenn sie nur in der Fantasie sich in unseren Köpfen bewegen.
Ein großartiges Buch über Liebe, Beziehungen, das Leben und den Tod, über Verantwortung und Freiheit, indem sich jeder Leser selbst begegnet.