Philip Roth – Empörung

Loslassen ist bekanntlich nicht nur eine physische Tätigkeit, in dem Sie beispielsweise ihr Handy loslassen, sondern es ist auch das Kappen von emotionalen menschlichen Verbindungen. Ein solches Loslassen fordert der junge Student Marcus von seinem Vater ein. Marcus, dem man sich als vorbildlichen Sohn vorstellen kann, der ein klares Verständnis vom Leben hat, von Recht und Pflicht und der dazu neigt sehr zurückhaltend zu sein, wenn es um den Genuss der Abenteuer des Lebens geht. Aber sein Vater engt ihn zunehmend ein, will ihn beschützen, wie eine Glucke ein Küken. Zugegeben fällt mir Loslassen wohl ebenso schwer, wie Marcus Vater, aber symphatisch macht es ihn deshalb trotzdem nicht.
Vom ihm aus Newark entfliehend, setzt Marcus seine universitäre Ausbildung in Ohio fort, viele Busstunden von der väterlichen Metzgerei und seinem Einfluss entfernt. Wir schreiben das Jahr 1950 und während in Korea ein schlimmer Krieg tobt, der ersten gewaltsamen Auseinandersetzung des Kalten Kriegs, versucht Marcus sich auf dem neuen College zurecht zu finden, einer sehr religiösen Einrichtung, die durch strenge konservative Regeln geprägt ist.

Roths knapp 200 Seiten füllender Roman aus dem Jahr 2008 gehört in den Zyklus „Nemesis“, einer Sammlung von vier Kurzromanen, deren Kerngedanke es ist, dass sich ein Individuum gegen gesellschaftliche Beschränkungen auflehnt. Im Fall von „Empörung“ (engl. Original: „Indignation“) wird dies an einem jungen Mann gezeigt, einem 19-jährigen, der rein gar nichts falsch macht, der einfach im Erwachsenenleben ankommt und dem wohl in unseren Tagen bei jeder Familie als Mustersohn durchgehen würde. Und doch wird aus eigentlich vollkommen nebensächlichen Umständen eine tragische Geschichte. Auch  wenn diesem Buch vielleicht etwas die Strahlkraft von „Nemesis“ fehlt, ist „Empörung“ ein sehr gut zu lesender Roman über das Erwachsenwerden, über das Etablieren eines eigenen Standpunkts im Leben und über die gesellschaftlichen Drücke, die über jedem Leben auf der Welt aufsetzen.

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