1899

Showrunner: Jantje Friese, Baran bo Odar | Mystery-Serie | Staffel eins mit acht Folgen | veröffentlicht 2022 bei Netflix

Dark“ war eine der ersten großen deutschen Serien auf Netflix und die beiden Showrunner Jantje Friese und Baran bo Odar konnten schon während der Arbeiten zu „Dark“, Netflix von einer weiteren Mystery Serie überzeugen, einer geheimnisvollen Schiffsfahrt von europäischen Auswanderern nach Amerika.

Maura Franklin (Emily Beecham) wird von Alpträumen geplagt auf ihrer Überfahrt mit dem Dampfer „Kerberos“ über den Atlantik in Richtung USA. Doch nicht nur in ihren Träumen ist ihr Leben kompliziert. Ihr Bruder ist vor vier Monaten mit einem baugleichen Schiff namens „Prometheus“ mitten im Ozean verschwunden. Auf hoher See empfängt die „Kerberos“ plötzlich Signale mit einer Positionsbestimmung. Kapitän Eyk Larsen (Andreas Pietschmann) vermutet, dass die „Prometheus“ um Hilfe ruft. Da der Umweg nur gut sieben Stunden in Anspruch nehmen wird, lässt er Kurs setzen. Das freut den Großteil seiner Passagiere kaum, denn die haben nur ein Ziel, ein neues Leben in Amerika starten und ihr altes Leben schnell vergessen, was aber keinesfalls leichtfällt.

„1899“ ist aus produktionstechnischer Sicht eine große Innovation im europäischen Film und Seriengeschehen, denn die Folgen wurden erstmals mit „StageCraft“ gefilmt, einer von LucasFilms stammende Technologie. Es handelt sich dabei um eine LED-Technologie-Umgebung mit einer Ausdehnung von über 400m², die einen virtuellen Hintergrund generiert und bei der sich die Kamera dynamisch mitbewegt. Diese Kulisse wurde im Studio Babelsberg aufgebaut und soll (wohl auch wegen der beträchtlichen Kosten, „1899“ war mit einem Budget von fast 50 Millionen Euro, die teuerste deutsche Serie aller Zeiten) dort für weitere Produktionen genutzt werden.
Die Frage, die sich daraus stellen lässt ist, sieht man das „1899“ an? Das kann man gut mit „jein“ beantworten, denn man sieht der Serie schon an, dass sie nicht auf einem Schiff gedreht wurde, aber ohne zu viel zu spoilern, die leichte Verfremdung macht bei der Mystery-Serie durchaus Sinn. Warum das so ist, müssen Sie schon selbst sehen, geneigte Leser.

Die Pointe der Serie, die man erst in der letzten Folge erfährt, soll an dieser Stelle nicht verraten werden soll, aber sie ist für den Handlungsverlauf wichtig. Und das ist ein Problem. Aus zwei Gründen.
Zum einen liegt es in der Natur der Sache, dass eine Mystery-Serie ein dunkles Rätsel darstellt (in diesem Fall; „Was ist nur mit diesem verwunschenen Schiff los?!?“) und das dieses Rätsel irgendwann – zumindest in Teilen – aufgelöst wird. Das Timing dieser Entschlüsselung ist aber ärgerlich langwierig geraten und man hat ein wenig das Gefühl, sich durch die Folgen quälen zu müssen, um dann herauszubekommen, was mit dem Kahn schiefläuft und in dem Moment, wo sich das Gefühl einstellt, dass eine halbwegs logische Begründung durch die Serie nicht vorgesehen ist und sie sich im reinen geheimnisvollen Raunen sehr gut selbst gefällt, kommt dann doch so etwas wie eine Auflösung. Dafür wären aber nicht acht Folgen notwendig gewesen, dass wäre locker auch in einen Film darstellbar gewesen.[1]
Der zweite Grund, liegt in der veränderten Sichtweise, die sich durch die Erklärung des Endes ergibt. Dadurch werden nervige Elemente der Serie zumindest teilweise nachvollziehbar, so wie die Dialoge, die zu großen Teilen in den Sprachen der Figuren gesprochen werden. Das ist zwar ein hübsches Credo für eine europäische Serie und ich mag die Überlegung sehr, dass Europa sich auf dem Schiff, dass eben diesen „alten Kontinent“ verlassen möchte, in gewisser Weise vereint, sehr. Aber hier wird Sprache zu sehr als Ausdruck der Identität benutzt, nicht als Hilfsmittel für kommunikatives Verständnis. Wie häufig sieht man Dialoge in der Serie, die in einer Sprache gehalten werden, welche der andere Gesprächspartner definitiv nicht verstehen kann. Vielleicht ist das sogar ein sehr zeitgeistiger Trend, Sprache nicht mehr als Hilfsmittel gegenseitigen Verstehens zu benutzen, sondern als Ausdruck der eigenen Identität, aber letztendlich bleibt dann als Fazit stehen, dass ich zwar meine Gedanken und Gefühle prima ausgedrückt habe, aber niemand hat das irgendwie verstanden, was bleibt ist nur die Ahnung davon, wie es mir gehen könnte.[2]
Diese finale Nachvollziehbarkeit muss auch innerhalb der Spielzeit wirken und das tut sie nicht (anders als beispielsweise beim Film „The Sixth Sense“, das wäre auch ohne das Ende ein ganz guter Film, mit Ende wird der Film aber hervorragend). „1899“ wirkt immer nur bemüht und selbst das Ende kann die Serie nur so halb retten. Einzig die Frage, ob es bei einer Mini-Serie bleibt, oder ob es eine 2.Staffel gibt ist hier tatsächlich ziemlich spannend und ich muss an dieser Stelle zugeben, sollte es letztgenannte wirklich geben, dann würde ich da wohl auch mal reinschauen, nur um zu sehen, wo die Reise hingeht.

[1] SPOILERALARM: Wenn man das Ende der Serie weiterdenkt, dann könnte es jedoch mehr Sinn machen, so explizit die einzelnen Charaktere vorzustellen (die für den Verlauf der Serie eigentlich Sinnbefreit sind), denn das könnte dann für eine hundert Jahre später gelagerte Serie ein guter Anknüpfungspunkt sein, das würde aber eben auch bedeuten, dass Staffel eins nicht mehr als eine Art Einführung, eine Art Piloten-Staffel, wäre. Gleichzeitig stellt sich dabei aber die Frage des Horizonts der vorgestellten Charaktere und deren Geschichte. Gibt es dafür ein Netz einer gemeinsamen Geschichte eines jeden auftretenden Charakters, oder entspringen diese nur der Vorstellung eines einzelnen Charakters?

[2] Es mag noch verständlich sein, wenn die Deutschen miteinander Deutsch, die Spanier spanisch, die Dänen dänisch etc. reden und dass man miteinander radebrechendes Englisch spricht, aber das oftmals Szenen gezeigt werden, wo teils tiefsinnige Monologe gehalten werden und der Gesprächspartner verständnisvoll danebensteht und nickt, ist dann doch eher alptraumhaft.

 

Schreibe einen Kommentar