Nachdem ich Cornelius Maschmanns Buch gelesen hatte, das aus dem Leben eines Flugkapitäns erzählt und ich ein wenig enttäuscht war, über die zeitweilige Ereignislosigkeit des Inhalts, lag es nahe bei meinem Opa das Buch über Heinz-Dieter Kallbach auszuleihen. Dieser ist sicherlich dem ein oder anderen bekannt von seiner spektakulären Landung mit einer IL62 auf einem Rasen bei Stölln (siehe Video unten).
Das Lesen der ersten Kapitel überrascht dann schon und zwar weniger wegen des Inhaltes, mehr wegen der Form und dem eigenwilligen Schreibstil. Das Buch wurde von Günter Heribert Münzberg geschrieben, der zweifellos kein großer Literat ist und bei dessen Zeilen man immer denkt, seine eigentliche Absicht war es, ein 450 Seiten starkes Arbeitszeugnis für Kallbach zu verfassen. Begriffe wie „fliegerische Tätigkeit“ fallen dabei dutzendweise und wenn man sich heute vorstellen möchte wie in der DDR offizielle Berichte verfasst wurden, so fühlt man sich bei diesem Buch daran erinnert. Außerdem wird die Hauptperson auch nach 400 Seiten noch ganz offiziell „Flugkapitän Heinz-Dieter Kallbach“ genannt. Münzberg findet großen Gefallen daran, Qualifikationen aufzuschreiben und man fühlt sich an die „Aktuelle Kamera“ erinnert, bei der dauernd alle, aber auch wirklich alle Titel von Erich Honecker immer und immer wieder mit erwähnt wurden, als hätte man das nicht schon gestern, vorgestern, letzte Woche und letztes Jahr gehört. Außerdem lastet vielen Erklärungen ein gewisser archivarischer Ton an. Flugrouten werden präzise wiedergegeben und wir erfahren auch vom letzten Winkel, den Kallbach bei seinen Reisen überflog. Gern wird auch das komplette Personal von einzelnen Flügen aufgezählt, auch wenn die, als dritte aufgeführte Stewardess überhaupt keine Rolle für den Abschnitt spielt, wird sie dem Leser nicht verheimlicht. Interessant ist, dass Menschen, die Kallbach so gar nicht mag, gern nur mit einem Großbuchstaben erwähnt werden, daher M. oder ähnlich, was dann im Gegensatz zu der sonst praktizierten Ausführlichkeit steht. Aber genug zum Stil des Buches, wie schon erwähnt ist dieser eigenwillig, irgendwie antiquiert aber, und das ist sicherlich am wichtigsten, lesbar (auch wenn manchmal Zusammenhänge nicht immer für Leser ohne Vorkenntnisse zu verstehen sind, hier verfällt das Buch eher der Logik, warum an den Leser denken, Hauptsache man hat aufgeschrieben wie man es erlebt hat).
Münzberg legt das Buch größtenteils chronologisch an, als eine Art Heldenbiographie, quasi von Geburt bis zur Rente Kallbachs. Dabei wird das Geschriebene immer wieder aufgelockert durch Texte von Kallbach, der viele Szenen in eigenen Worten niederschrieb. Der Stil dieser „Originalerinnerungen“ ist dabei etwas lockerer, in Art und Weise aber Münzbergs Sätzen ähnlich.
Zum Inhalt. Kallbach wird in der Lausitz groß und kommt über die NVA zur Fliegerei und dann zur Interflug. Dort erarbeitet er sich einen guten Ruf und kann bald immer größere Flugzeuge von der AN-2 bis zur IL-62 (und nach der Wende zur 737) fliegen. Kallbachs Weg ist dabei historisch äußerst interessant. Man lernt nicht nur, wie sich die zivile Luftfahrt von den 1950er bis in die 2000er entwickelt, sondern auch wie sich diese Entwicklung in der DDR bei der Interflug abspielte. Insofern ist dieses Buch auch ein Werk über die DDR. Nun gibt es heute – ganz grob gesagt – zwei Arten von Büchern über die DDR. Zum einen Bücher, die in einer Art Abrechnung (bösartig könnte man von Verteufelung sprechen) geschrieben sind und zum anderen Bücher, die sich sehr wohlwollend mit ihr beschäftigen (einen Mittelweg zu finden ist eher selten). Dieses Buch gehört ganz eindeutig zu letztere Kategorie. Das sollte man aber nicht kritisieren, denn warum sollte Kallbach nicht zugeben, dass er von diesem Staat überzeugt war. Er konnte seiner großen Leidenschaft nachgehen, dem Fliegen und er besuchte über 90 Länder (was dem Normalbürger der DDR wie ein Traum vorkommen musste). Deshalb ist der freundliche Grundton gegenüber der Interflug mehr als verständlich, wenngleich manchmal das Schema Gut gegen Böse (wie es heute gern mit der jüngeren deutschen Geschichte vereinfacht betrieben wird; im Westen alles Gut, im Osten alles Schlecht) hier an manchen Stellen gern umgedreht wird, was dann etwas ärgerlich ist. Überhaupt ist dieses Buch ein sehr politisches Werk (wie gravierend der Unterschied zu den Seiten von Flugkapitän Maschmann, wo Politik überhaupt nicht vorkam) und an einigen Stellen hätte man sich etwas weniger Pathos gewünscht, wie beispielsweise bei Kallbachs Erklärung, warum er den „Rosinenbomber“ DC-3 flog. Er wollte damit „die Leistungen der amerikanischen und britischen Piloten bei der Luftbrücke würdigen“. Gleichzeitig betont Kallbach, dass er sich damit aber gar nicht mit dem amerikanischen Militärgouverneur Lucius D. Clay in irgendeiner Form identifizieren will. Sind wir mal ehrlich, wenn ich mit einer DC-3 als Gast zu einem Rundflug über Berlin geschauckelt werde, da sind mir die historischen Einordnungen des Piloten zu General Clay ziemlich egal und auch in Buchform sollte man sich als Amateur-Historiker zurück halten. In diesen Bemerkungen erkennt man auch Kallbachs Suche immer wieder zusätzlichen Lebenssinn zu erzeugen (denn die Freude am Fliegen mit einer DC-3 und die Bezahlung dafür scheinen nicht genug zu sein, man widmet auch gleich noch denen oder jenen seine Tätigkeit, dabei frage ich mich ob ich jemals eine Putzfrau treffen werde, die ihre Tätigkeit dem Erfinder des Besens widmet). Das alles verläuft wie schon erwähnt eher mit einer unangenehmen Portion Pathos und politischen Statements, die man dann nur bedingt ernst nehmen kann. Das Fragwürdigste ist aber, dass Herzberg einfach ein Kapitel zur Abwicklung der Interflug eingeschoben hat, dass rein gar nichts mit Kallbach zu tun hat und für eine Biographie schon ein wenig verwunderlich ist.
Das alles ist aber nicht weiter schlimm (ein Buch an dem man sich von Zeit zu Zeit stößt, kann ja auch sehr interessant sein und tatsächlich habe ich den Inhalt in wenigen Tagen verschlungen), denn „Mayday über Saragossa“ ist vor allem ein Buch über einen Menschen, der sein Leben der Fliegerei gewidmet hat und dessen Abenteuer nicht nur spannend, sondern auch höchst interessant sind. So ist es ein Geschichtsbuch über die DDR, dass größtenteils aber gar nicht in der DDR spielt, ein Buch über das Selbstverständnis des ostdeutschen Staates und über seine Rolle in der Welt. Es macht den Alltag eines Piloten der DDR Airline absolut nachvollziehbar, vom Aufstieg zum Kapitän, über die unterschiedlichen Flugzeugtypen, bis zu den Flügen in alle Herren Länder. Die Interflug und mit ihr Kallbach sind Repräsentanten dieses Staates in der Welt und man lernt wie der Kalte Krieg auf beiden Seiten in Gut und Böse teilt. Leider äußerst sich das Buch zu vielen sehr interessanten Fragen nur sporadisch. So beispielsweise zur Funktion der Interflug, die auf den später hinzukommenden Fernrouten so etwas wie eine billigere Alternative zu westeuropäischen Airlines ist, um für die DDR Valuta (daher westeuropäische Währung wie D-Mark oder Dollar) einflog. Hier fragt man sich heute z.B. wie waren Kabinenbelegung oder Preise im Vergleich zu anderen Airlines etc., aber auch dazu Auskunft zu erhalten, wäre tatsächlich etwas zuviel von einer Biographie verlangt.
Zusammenfassend möchte ich „Mayday über Saragossa“ allen empfehlen, die sich für Geschichte und die Fliegerei interessieren. Man hat hier sicherlich ein Buch, an dem man sich reiben kann, aber ohne Zweifel lernt man neue Erkenntnisse hinzu und ist vom abenteuerlichen Leben Kallbachs eingenommen.