Jahr: 2014 |schwedischer Originaltitel: „Turist“ (internationaler Titel: „Force Majeure“)| Regie & Drehbuch: Ruben Östlund | Länge: 118min | Drama | Location: französische Alpen
Neulich wurde ich darauf hingewiesen das Ruben Östlunds neuer Film bei den Filmfestspielen von Cannes läuft[1]. Solche Hinweise sind Momente, wo man aus gefährlichem Halbwissen, zusammenhängende Informationen und Motivationen schmiedet. Ruben Östlund jedenfalls, so erahnte ich, war der Regisseur von „The Square“, einem der besten Filme, die ich im Jahr 2018 sah.[2] Wikipedia bestätigte meine Zuordnung von Film und Filmschaffenden und verwies gleichzeitig auf andere, frühere Werke des Schweden, wie „Höhere Gewalt“.
Fünf gemeinsame Tage Urlaub hat sich die Familie von Ebba (Lisa Loven Kongsli) und Tomas (Johannes Kuhnke) und den beiden Kindern Harry (Vincent Wettergren) und Vera (Clara Wettergren) verdient. Tomas ist ein Workaholic und seine Frau Ebba ist froh, dass die Familie eine ruhige Zeit in einem Luxushotel in den französischen Alpen hat und außer Skifahren und rumhängen, eigentlich keine Verpflichtungen erfüllen muss, außer zusammen zu sein. Man hat also keinen Grund zu klagen, wäre da nicht die Lawine, welche gerade in dem Moment abgeht, als die Familie auf einer Sonnenterasse auf dem Gipfelrestaurant vorzüglich zu Mittag speist. Anfangs noch als kontrollierter Abgang vom Vater erachtet, scheint sie unerbittlich auf die Besucher der Terrasse zu zurollen und die anfängliche Gelassenheit von Tomas ändert sich auf recht dramatische Weise.
„Höhere Gewalt“ ist ein Drama mit vielen Stärken. Da ist zum einen, die teilweise großartige Kamera, oder um genauer zu sein, dass Setting und die Kulisse, welche Bilder einer künstlichen gehaltenen Außenwelt liefert, in welcher die Natur und die Bergwelt, wie ein Gemälde wirkt. Innerhalb dieser Natur wirkt das Geschehen der Familie dann umso realistischer in einer merkwürdig verfremdeten Welt. Viele Urlaubssituationen sind sehr detailliert und realitätsbezogen inszeniert, dass beginnt schon beim Fotografen auf der Skipiste und zieht sich durch viele Dialoge des Films, auch wenn einige Passagen vielleicht etwas zu lang wirken. Eine weitere Stärke von „Höhere Gewalt“ ist das moralische Bezugsystem, welches der Film eröffnet. So werden Fragen über die Moral des Impulses ebenso behandelt, wie die Herleitung von ethischen Rechtfertigungen für individuelles Handeln oder familiären Zusammenhalt.[3]
Vielleicht ist „Höhere Gewalt“ nicht so geistreich und kreativ wie „The Square“, aber es ist trotzdem ein sehr sehenswertes Drama über Familien und ihre Risse, Urlaub und die tiefen Mächte in uns, die wir rational vielleicht gar nicht erklären können.
[1] Allein die Wettbewerbsbeiträge in Cannes lesen sich wie eine aktuell abzuschauende Filmliste! Schauen Sie mal.
[2] Wie sich nun herausstellt, hat Östlund mit seinem neuen Film nun bereits zum zweiten Mal nach „The Square“ die Goldene Palme von Cannes gewonnen.
[3] Man unterscheide hier nur die vollkommen unterschiedlichen moralischen Vorstellungen von Mats (Kristofer Hivju), welcher fortwährend Moral und Handlung erklären und in einem Zusammenhang bringen will, der hedonistischen Urlaubsbekanntschaft Charlotte (Karin Myrenberg) und von Tomas.