T.C. Boyle – Talk Talk

Erschien im amerikanischen Original 2006 bei Viking | deutsche Übersetzung von Dirk von Gunsteren hier vorliegend als dtv Taschenbuch von 464 Seiten

So ziemlich genau vor einem halben Jahr (und in einem halben Jahr) war die Vorweihnachtszeit, und solche Jahreszeiten ermuntern das konsumfreudige Gemüt fast noch ein kleines bisschen mehr, die hart verdienten Groschen vom eigenen Konto in den wirtschaftlichen Kreislauf zurückzuführen. In jenen Tagen sah ich im „Zweitbuch“ Wiesbaden zwei Romane von T.C. Boyle. Während Roman eins, eine aktuelle Ausgabe des amerikanischen Meisters, über den Umweg Weihnachtsgabe in mein Bücherregal fand (und sich auch auf diesem Blog schon findet), war Roman zwei quasi eine Tsondoku-Inspiration, die sich aus der Motivation speiste, dass ich irgendwann einmal alle T.C. Boyle-Romane in meinem Bücherregal begrüßen möchte.[1]

„Talk Talk“ ist ein Ausdruck der amerikanischen Gebärdensprache (auf Deutsch: „gebärden“), der ein entspanntes Gespräch in Gebärdensprache unter Gehörlosen beschreibt. Die Anfang dreißigjährige Dana Halter, gehörlos und nicht unbedingt der ordentlichste und pünktlichste Mensch unter der Sonne, ist auf dem Weg zum Zahnarzt, als sie von der Polizei angehalten und zu ihrer großen Überraschung verhaftet wird. Sie wird wie eine Schwerverbrecherin behandelt und über das Wochenende ins Gefängnis gesperrt. Ihr hörender Freund Bridger versucht nach Kräften, sie aus dem Schlamassel herauszubekommen, was ihm jedoch nur unzureichend gelingt. Erst in der folgenden Woche scheint klar zu sein, dass Dana Halter Opfer eines Identitätsdiebstahls wurde, begangen von Peck Wilson, einem impulsiven und dem schönen Leben zugewandten Mann, dessen großzügiger Lebensstil sich aus den Identitäten anderer Menschen speist.

„Talk Talk“ ist eine Mischung aus Thriller, Roadnovel, ein bisschen eine ungewöhnliche Liebesgeschichte und, wie immer bei Boyle, ein amerikanisches Gesellschaftspanorama, das ich diesmal – eindrücklich – aus der Perspektive eines Menschen erlebe, in dessen Welt nur Schweigen vorkommt und in der Kommunikation ganz anders gedacht und stattfinden muss. Das ist der größte Vorzug des Romans, der sonst nicht über den Eindruck hinauskommt, nach einem routinierten Standardverfahren solide heruntergeschrieben zu sein. Wie häufig in Romanen von Boyle, erleben wir die Erzählperspektive von drei unterschiedlichen Personen (Dana, Bridger und Wilson), die sich immer wieder abwechseln. Das führt zu Spannungsmomenten und liest sich immer kurzweilig, aber irgendwie springt hier kein Funke über. Vielleicht liegt es daran, dass sowohl Dana (die Gute) als auch Wilson (der Böse) nicht wirklich sympathische Typen sind und Bridger eher langweilig wirkt. Vielleicht liegt es auch daran, dass die Liebesgeschichte keine wirkliche Liebesgeschichte ist, sondern eher die Geschichte einer Beziehung mit Hindernissen, die sich nicht nur daraus ergeben, dass einer nicht hören kann. Und vielleicht liegt es auch daran, dass der Roman als Verfolgungs-Roadnovel etwas eklektisch wirkt und man die ganze Zeit das Gefühl hat, man begleitet Boyle dabei, wie er versucht, noch die eine oder andere Spannungskurve einzubauen. Trotz allem ist es aber ein gewohnt sehr gut lesbarer und eindrücklich geschriebener Roman, der insbesondere jetzt in der Sommersaison als schöner Schmöker gern seinen Weg in die lauten Freibäder oder ruhigen Parks finden kann.

[1] Was sich als ziemliche Mamut-Aufgabe entpuppt, da Boyle bisher 19 Romane veröffentlicht hat und er im Turnus von 2 bis 3 Jahren einen neuen herausbringt.

Schreibe einen Kommentar