Originaltitel: „White Noise“ | Jahr: 2022 | Regie & Drehbuch: Noah Baumbach | Drama | 136min
Das Studium der Soziologie, gerade in den frühen 2000er Jahren, war keines was direkt in lukrative Arbeitsverhältnisse mündete. Das war und ist aber überhaupt nicht schlimm, denn ein von mir wahrgenommenes großes Plus dieses mehrjährigen Vorgangs des Lernens (bei gleichzeitig größtmöglicher öffentlicher Spreizung der Bekanntgabe des neugelernten Stoffes und der dazugehörenden Fremdwörter), ist das Kennen- und Schätzenlernen von Themen, die (mir) vielleicht sonst gar nicht bewusst geworden wären. So bin ich über eine nähere Auseinandersetzung mit der Postmoderne[1] zu Don DeLillos Roman „Weißes Rauschen“ gekommen. Ich war damals in meinen frühen 20ern und schwer begeistert vom Roman, der bereits 1984 im englischen Original erschien und der alsbald zu meinem Lieblingsroman avancierte.[2]
Noah Baumbach bekam 2021 einen nicht ganz kleinen Geldbetrag von netflix, damit er diesen Roman verfilmen konnte und das Resultat kann man sich mittlerweile beim Streaminganbieter ansehen.
Jack Gladney (Adam Driver) ist Professor für Geschichte und Begründer der „Hitler Studies“, einer Fachrichtung, die er nun schon seit einigen Jahren betreibt und die ihn zu einem angesehenen Experten auf seinem Universitätscampus macht. Man schätzt seinen Genius und sein Kollege Murray Siskind (Don Cheadle), seines Zeichens ein Elvis-Experte, erhofft sich eine fruchtbare Zusammenarbeit mit Gladney, der immerhin den Kurs „Advanced Nazism“ anbietet, obwohl er kein Deutsch kann, was allerdings keiner so richtig weiß.
Im heimischen Umfeld, einer fast schon als Musterbeispiel zu nennenden Patchwork-Familie ist Jacks Rolle umstrittener. Seine 4. Frau Babette (Greta Gerwig) fällt in letzter Zeit durch Vergesslichkeit auf, was ihre 11-jährige Tochter Denise (Raffey Cassidy) auf die Einnahme eines neuen Medikamentes namens Dylar zurückführt, dessen Existenz Babette aber lieber geheim hält. Jacks Kinder, Heinrich (Sam Nivola) und Steffi (May Nivola) vervollständigen die Familie, gemeinsam mit Wilder (Henry Moore), dem einzigen Kind der Familie, das Babette und Jack als gemeinsame biologische Eltern hat. Der betriebsame Familienalltag wird aber alsbald gestört durch einen Unfall, der in der Nähe des Städtchens passiert, in welchem die Gladneys Leben und das eine giftige chemische Wolke ausstößt.
Noah Baumbachs Film hält sich recht genau an die Romanvorlage von Don DeLillo. Das beginnt bei der sehr gelungenen 1980er Jahre Optik (die man in den letzten Jahren aber tatsächlich sehr häufig wiedersieht), setzt sich bei der Handlung fort und mündet auch im Ton der Akteure. Wie der Roman auch, inszeniert der Film eine Konsumwelt, die von Images getragen ist und man ist heute überrascht, wie sehr dies für die 1980er schon beobachtet wird, aber immer noch gültig ist. Nehmen wir das Thema des Bösen, am Beispiel von Hitler. Gladney referiert in seinen Seminaren über ihn nicht mit historischen Fakten, sondern beleuchtet, wie das bereits vorhandene Image des schlimmsten Menschen bzw. der schlimmsten Bewegung des 20.Jahrhunderts sich dreht und wendet, sich mit Gefühlen und Verknüpfungen füllt. Der Film beginnt bereits mit einem von Prof. Murray Siskind gehaltenen kurzen wissenschaftlichen Abriss der Inszenierung von Autounfällen in Filmen. In diesem wird die Bildsprache der Karambolagen betont, als eine immer größere, lautere, explosionshaltigere Entwicklung, die Evolution der Inszenierung von Autounfällen, wobei man die ganze Zeit explodierende oder brennende Wägen sieht. Oder nehmen wir die Umweltkatastrophe im Film, die uns an die momentan so diskutierte Klimakatastrophe erinnert,[3] aber in ihrer Erzählung sogar noch besser zur Viruspandemie der letzten Jahre passt. Das ist die anfangs unklare Gefahrenlage, die Gerüchte über Symptome, das Überschlagen von Vermutungen, Risiken und geänderten Verhaltensweisen, da ist die Gefahr und ihr Hintergrund, der Tod. [4] Der Film versinnbildlicht sehr eindrücklich, wie sich das Image von Dingen und Personen als ein Eigenleben darstellt, welches sich entfernt von seinem „realen“ Inhalt bzw. wie diese realen Inhalte nur noch bruchstückhaft in den Images sich wiederfinden, gerade noch so, dass ihr Kern erkannt werden kann.
Vom Setting ähnlich wie Baumbachs letzte Filme, ist auch „Weißes Rauschen“ ein Film über eine Familie, nur dass die Dialoge hier fast schon ins Theatralische kippen. In diesen reflektierten, dauernd die Welt erklärenden Gesprächen wirkt der Film manchmal etwas abgehoben und eigentümlich verlängert und an einigen wenigen Stellen eklektisch. Das ist aber nur als eine kleine Kritik anzusehen, denn tatsächlich beeindruckt „Weißes Rauschen“, gerade weil er aus der Sicht der 1980er Jahre so viel über unser Leben in den 2020er Jahren sagt.
[1] Ich war mir übrigens zu 100% sicher, dass ich durch einen Verweis in Wolfgang Welschs wunderbaren Buch „Unsere Postmoderne Moderne“ auf DeLillo gekommen bin. Ich habe versucht, die Stelle im Buch zu finden, um mich daran zu erinnern, was mich auf den Roman brachte, doch zu meinem Entsetzen musste ich feststellen, dass es in Welschs Buch gar keine Referenz zu DeLillo gibt!
[2] Auch heute würde ich diesen Roman zu den besten 10 Romanen zählen, die ich je gelesen habe. Allerdings gebe ich zu, dass ich dadurch auch etwas Angst habe das Buch nochmals zu lesen. Was ist, wenn es nicht so gut war, wie ich dachte? Wenn sich mein Geschmack verändert hat? Oder mich gar meine Erinnerung ganz langsam betrügt, so wie bei der Frage, wie ich überhaupt erst auf das Buch gekommen bin?
[3] Auch wenn es Unterschiede gibt. Wahrgenommene Umweltkatastrophen der 1980er Jahre waren zumeist regionale Ereignisse, die aber so großen Schaden anrichten konnten, dass sie schlimmstenfalls globale Konsequenzen hatten. Das soziologische Leitwerk dazu ist Ulrich Becks Buch „Risikogesellschaft“. Die heutige Klimakatastrophe (entschuldigen Sie die Verwendung dieses unsinnigen, aber sehr gebräuchlichen Begriffs) hat keine lokale Quelle mehr, sondern liegt quasi systemisch im Handeln der gesamten Weltbevölkerung verankert, gleichwohl sind ihre Gefahren mindestens genauso groß, wenn nicht gar schlimmer, weil hier der Fortbestand der Schöpfung diskutiert wird (eine Gefahr die man so bisher nur von einem Atomkrieg oder einem Meteoriteneinschlag annahm)
[4] Kleiner Spoiler: Tatsächlich stirbt aber nur eine unbedeutende Nebenrolle im Film. Spannender ist hier die Konstruktion die Deutsche im Roman darstellen; angefangen von der Forschungsfigur Hitler über den windigen und abgefuckten Tablettendealer Gray (Lars Eidinger) bis hin zur atheistischen Krankenschwesternonne (Barbara Suckowa). Sie alle versprühen, aber auf ganz unterschiedlichen Ebenen, einen Hauch des Todes, Hitler als der Schlächter des Jahrhunderts, Gray als der Töter der Todesangst, die aber nicht getötet werden kann und die ihn dadurch selbst in den Abgrund reist und die Nonne als Glaubenstote Realistin.