Jonathan Lethem – Der Stillstand

Erschien 2020 im amerikanischen Original als „The Arrest“ bei HarperCollins | deutsche Übersetzung von Ulrich Blumenbach 2024 bei Tropen mit 328 Seiten

Jonathan Lethem gehört zu den großen amerikanischen Romanautoren, die etwas zu selten auf meiner Leseliste auftauchen. Nachdem mir Chronic City als wundervoller Roman in Erinnerung geblieben ist, wollte ich mit „Der Stillstand“ einen Teil meines Freibadsommers verbringen. „Jonathan Lethem – Der Stillstand“ weiterlesen

Charles Yu – Handbuch für Zeitreisende

Erschien 2010 im englischen Original als „How to Live Safely in a Science Fictional Universe“ bei Pantheon Books | deutsche Übersetzung von Peter Robert hier vorliegend in der 2012 erschienen Taschenbuchausgabe bei rowohlt mit 272 Seiten

Im Frühjahr hatte ich auf diesen in Schwarz und Weiß gehaltenen digitalen Seiten über die Serie Interior Chinatown geschrieben und meine große Begeisterung kundgetan. Solche Begeisterung verleitet mich schnell dazu, mich mit den Machern solcher Serien auseinanderzusetzen – in diesem Fall mit Charles Yu, von dem ich wahrnahm, dass er einen Roman veröffentlicht hatte. Dieser landete daraufhin auf meiner Sommerleseliste (weil ich ihn darauf gesetzt hatte und ich auf dieser nicht immer nur alte Bekannte wiederfinden möchte). „Charles Yu – Handbuch für Zeitreisende“ weiterlesen

Alexander Osang – Fast hell

Erschien 2021 beim Aufbau-Verlag | hier als Taschenbuch mit 237 Seiten

Für mich ist die Wende in der DDR immer mit Fußball verbunden. Wie ich es damals mit 11 Lebensjahren gewohnt war, wollte ich mich mit meinen Freunden auf dem Spielplatz am Fichtepark zum bolzen treffen, als meine Mutter sagte, ich sollte vorsichtig sein und meinte, bei den derzeitigen Zeiten müsse man etwas aufpassen. Es war der Herbst 89, und spätestens mit dieser Bemerkung war mir mindestens unbewusst klar, dass etwas in der Luft lag, auch wenn die Fakten das schon vorher angedeutet hatten.
Gutes wie Schlechtes waren in höchster Eisenbahn in mein Leben getreten: Dynamo Dresden wurde nach 11 Jahren Vorherrschaft des verhassten BFC endlich wieder Fußballmeister (für mich bis heute noch ein indirekter Indikator für die Veränderungen in der DDR), mein bester Freund Sven ging im Sommer in den Westen (und war damit der erste Mensch, der aus meinem Leben herausgetreten ist, mein erster großer menschlicher Verlust), und ungefähr zur selben Zeit hatten wir Westfernsehen bekommen, bei mir erstmals auf dem Fernseher in Form eines Tennisspiels zu sehen, das noch schwarz-weiß auf dem Endgerät meiner Oma lief (die daraufhin übrigens Tennisfan wurde und für immer blieb). All das war noch vor den Ereignissen, als die Züge mit Flüchtlingen der Prager Botschaft durch Dresden in Richtung BRD fuhren und am Hauptbahnhof meiner Heimatstadt ein kräftiges Boheei entstand, als diese Züge vorbeifuhren. Die Wende lag quasi in der Luft, und sie war die Geburtsstunde und das prägendste gesellschaftliche Ereignis einer jeden ostdeutschen Biografie in jenen Jahren. Wenn es etwas gibt, das eine ostdeutsche Biografie ausmacht, dann ist es dieser Kontext aus gewaltigen Veränderungen, die sich für alle DDR-Bürger im Herbst 89 ereigneten. „Alexander Osang – Fast hell“ weiterlesen

Roberto Bolaño – Lumpenroman

Erschien 2002 im spanischen original „Una novelita lumpen“ bei Random House Mondadori Barcelona | deutsche Übersetzung von Christian Hansen bei Carl Hanser 2010 mit 112 Seiten

Durch einmal jährliches Ausmisten meines Kleiderschrankes möchte ich verhindern, dass sich die stolze Sammlung meiner über die Jahre zusammengekauften Kleidung in ein unübersichtliches Geflecht von Lumpen entwickelt. Ich habe diesbezüglich übrigens vor einiger Zeit angefangen, mir entsprechende Falttechniken im Internet anzueignen (ich verweise am Ende dieses Textes auf ein Beispiel), um meine Kleidung auch gehaltvoll und ordentlich dem eigenen Auge gegenüber zu präsentieren. Dieser optisch hübsche Anblick verdeckt aber, die der Kleidung zugrundeliegenden Produktionsprozesse, die ich – und hier dürfen Sie an meiner gesellschaftsmoralischen Integrität gern zweifeln, geneigter Leser – in vielen Fällen als schwierig bezeichnen würde, denn ich befürchte, viele der schnittigen und gar nicht so teuren Trikotagen werden unter, euphorisieren wir mal, ausbaufähigen Produktionsbedingungen hergestellt.
Karl Marx und Friedrich Engels prägten vor über 175 Jahren den Begriff des Lumpenproletariats, welcher sich auf die prekären Verhältnisse des ärmsten Teils der Arbeiterschaft bezieht. Die Arbeiter werden nicht wegen dem, was sie herstellen, Lumpenproletarier genannt, sondern wegen dem, was sie anhaben können. Zweifellos ist diese Form der Zustände hinweggefegt worden (was ich auch für die textilverarbeitenden Gewerbe in Asien sehr hoffe, wo meine Kleidung herzukommen scheint). Trotzdem ist auch in der Gegenwart der Begriff des Lumpenproletariats noch verständlich, bezieht er sich doch auf die wirtschaftlich schwächsten Kreise unserer Gesellschaft, die sich vielleicht nicht mehr in Lumpen kleiden, aber prozentual immer weiter entfernt vom Reichtum der Gesellschaft entfernt sind. „Roberto Bolaño – Lumpenroman“ weiterlesen

Carlos Ruiz Zafón – Das Spiel des Engels

Erschien 2001 im spanischen Original „El juego del ángel“ | deutsche Übersetzung von Peter Schwaar, erstmals 2008 bei S.Fischer erschienen, hier als Taschenbuch mit … Seiten vorliegend

Ich bin mir nicht sicher, ob man das Fensterbrett zwischen dem 1. und 2. Stock im Treppenhaus, an dessen oberen Ende sich meine Wohnungstür befindet, als Friedhof der vergessenen Bücher bezeichnen kann. Aber tatsächlich liegen dort manchmal einige, abgelegte Bücher herum. Durch mein spießbürgerliches Gemüt geprägt, bin ich kein Freund davon, Dinge, die aus irgendwelchen Gründen nicht mehr in die eigenen vier Wände passen, im öffentlichen Raum auszulagern und darauf zu vertrauen, dass irgendjemand anderes mit dem Müll (was es ja per Definition ist, wenn man es aus seinem Haushalt aussperrt) etwas anfangen kann. Jetzt sind Bücher aber etwas anderes als zum Beispiel alte Matratzen, Töpfe oder Unterwäsche (die mir tatsächlich mal ein Nachbar angeboten hat, was mich auf extrem vielen Ebenen verwunderte). Da ich ein kalorienbewusster Mensch bin, laufe ich natürlich die fünf Stockwerke meines Treppenhauses hoch (allein schon wegen der täglichen Schrittstatistik). Eines Tages erspähte ich an besagtem Fensterbrett Carlos Ruiz Zafóns zweiten Teil seiner Saga vom Friedhof der vergessenen Bücher, betitelt mit „Das Spiel des Engels“, und in fast tadellosem Zustand. Also nahm ich das Exemplar mit.
Und jetzt habe ich es gelesen. „Carlos Ruiz Zafón – Das Spiel des Engels“ weiterlesen

Peter Stamm – Das Archiv der Gefühle

Aus der Reihe: aus fremden Regalen

Erschien 2021 bei S.Fischer Verlag mit 190 Seiten

Ich stelle zunehmend fest, dass mich die Romane und Erzählungen des Schweizers Peter Stamm auch auf einer weiteren Ebene interessieren. Neben seiner klaren Sprache und seiner realistischen, aber stets ruhigen und angenehm unspektakulären Erzählweise haben seine Geschichten eine Tiefe, die aus seinen Texten eine Fundgrube über Weltsichten und das Leben an sich werden lässt. „Peter Stamm – Das Archiv der Gefühle“ weiterlesen

T.C. Boyle – Talk Talk

Erschien im amerikanischen Original 2006 bei Viking | deutsche Übersetzung von Dirk von Gunsteren hier vorliegend als dtv Taschenbuch von 464 Seiten

So ziemlich genau vor einem halben Jahr (und in einem halben Jahr) war die Vorweihnachtszeit, und solche Jahreszeiten ermuntern das konsumfreudige Gemüt fast noch ein kleines bisschen mehr, die hart verdienten Groschen vom eigenen Konto in den wirtschaftlichen Kreislauf zurückzuführen. In jenen Tagen sah ich im „Zweitbuch“ Wiesbaden zwei Romane von T.C. Boyle. Während Roman eins, eine aktuelle Ausgabe des amerikanischen Meisters, über den Umweg Weihnachtsgabe in mein Bücherregal fand (und sich auch auf diesem Blog schon findet), war Roman zwei quasi eine Tsondoku-Inspiration, die sich aus der Motivation speiste, dass ich irgendwann einmal alle T.C. Boyle-Romane in meinem Bücherregal begrüßen möchte.[1]

„T.C. Boyle – Talk Talk“ weiterlesen

Benjamin Labatut – Maniac

Erschien 2023 im englischen Original „The Maniac“ bei Penguin Press | deutsche Übersetzung von Thomas Brovot als hier vorliegendes Taschenbuch 2024 bei Suhrkamp mit 397 Seiten

Man kann noch nicht sagen, wohin uns die Entwicklung tragen wird. Werden wir in 20 Jahren alle nur noch vor Geräten sitzen und mit einer Künstlichen Intelligenz interagieren? Wird unsere direkte Sozialität untereinander verschwinden, weil es viel angenehmer, weniger störend und befriedigender sein wird, nur noch mit einer KI zu sprechen, die uns kennt und genau weiß, wie sie eine Kommunikation mit uns zu führen hat?
Oder wird es KI in 20 Jahren nicht mehr geben, weil sie uns als Menschheit stört, nicht hilft oder alles viel komplizierter macht? Das sind sicherlich extreme Pole einer Zukunft, von der wir heute vielleicht nur ahnen können, wie dynamisch sie sein wird. „Benjamin Labatut – Maniac“ weiterlesen

Alexander Osang – Die Leben der Elena Silber

Erschien 2019 bei S.Fischer | hier als Fischer Taschenbuch mit 624 Seiten

Ich habe soeben bemerkt, dass auf diesem bescheidenen Blog keine Möglichkeit vorhanden ist, nach Familienromanen zu suchen, was die Begrenztheit der hier vorliegenden Nullen und Einsen objektiv gut sichtbar macht. Bei Familienromanen fallen mir zumeist nur amerikanische Autoren ein, allen voran natürlich Jonathan Franzen. Meine Freude war daher groß, als ich im Zuge des vergnüglichen Drangs der Abarbeitung eigener Leselisten, auf die sich besonders Autoren drängen, von denen ich meine, viel von ihnen lesen zu wollen, einen Familienroman von Alexander Osang fand. Ich muss Ihnen – geneigter Leser – nicht nochmal erklären, dass Osang seit einiger Zeit zu meinen Lieblingsautoren gehört, nicht nur, weil er brillant und humorvoll schreibt, sondern weil mir seine Erzählperspektive – qua gemeinsamer Herkunft – sehr gefällt. In seinem (5.) Roman porträtiert er ein ganzes Jahrhundert zwischen Deutschland und Russland. „Alexander Osang – Die Leben der Elena Silber“ weiterlesen

Peter Stamm – In einer dunkelblauen Stunde

Erschien 2023 bei S.Fischer mit 254 Seiten

Wie schon vor langer Zeit an dieser Stelle erwähnt, hörte ich das erste Mal in meinem Leben von Peter Stamm bei einer Lesung. Das ist Jahre her, aber im letzten Herbst hatte ich die Möglichkeit Stamm nochmals in Dresden anzuhören, als er zwei neue Kurzgeschichten anlässlich des Literaturfestivals in der Stadt vorlas. Da wurde mir klar, dass ich einen weiteren Roman von ihm gern auf meiner Leseliste sehen würde und entschied mich für „In einer dunkelblauen Stunde“. „Peter Stamm – In einer dunkelblauen Stunde“ weiterlesen