Erschien 2002 im spanischen original „Una novelita lumpen“ bei Random House Mondadori Barcelona | deutsche Übersetzung von Christian Hansen bei Carl Hanser 2010 mit 112 Seiten
Durch einmal jährliches Ausmisten meines Kleiderschrankes möchte ich verhindern, dass sich die stolze Sammlung meiner über die Jahre zusammengekauften Kleidung in ein unübersichtliches Geflecht von Lumpen entwickelt. Ich habe diesbezüglich übrigens vor einiger Zeit angefangen, mir entsprechende Falttechniken im Internet anzueignen (ich verweise am Ende dieses Textes auf ein Beispiel), um meine Kleidung auch gehaltvoll und ordentlich dem eigenen Auge gegenüber zu präsentieren. Dieser optisch hübsche Anblick verdeckt aber, die der Kleidung zugrundeliegenden Produktionsprozesse, die ich – und hier dürfen Sie an meiner gesellschaftsmoralischen Integrität gern zweifeln, geneigter Leser – in vielen Fällen als schwierig bezeichnen würde, denn ich befürchte, viele der schnittigen und gar nicht so teuren Trikotagen werden unter, euphorisieren wir mal, ausbaufähigen Produktionsbedingungen hergestellt.
Karl Marx und Friedrich Engels prägten vor über 175 Jahren den Begriff des Lumpenproletariats, welcher sich auf die prekären Verhältnisse des ärmsten Teils der Arbeiterschaft bezieht. Die Arbeiter werden nicht wegen dem, was sie herstellen, Lumpenproletarier genannt, sondern wegen dem, was sie anhaben können. Zweifellos ist diese Form der Zustände hinweggefegt worden (was ich auch für die textilverarbeitenden Gewerbe in Asien sehr hoffe, wo meine Kleidung herzukommen scheint). Trotzdem ist auch in der Gegenwart der Begriff des Lumpenproletariats noch verständlich, bezieht er sich doch auf die wirtschaftlich schwächsten Kreise unserer Gesellschaft, die sich vielleicht nicht mehr in Lumpen kleiden, aber prozentual immer weiter entfernt vom Reichtum der Gesellschaft entfernt sind. „Roberto Bolaño – Lumpenroman“ weiterlesen