Titel im Original: „El ciudadano ilustre“, spanisch: Der Ehrenbürger | Jahr: 2016 | Länge: 118min | Regie: Gastón Duprat & Mariano Cohn | Drehbuch: Andrés Duprat | argentinisch-spanischer Spielfilm
Der argentinische Schriftsteller Daniel Mantovani (Oscar Martínez) hat vor fünf Jahren den Literaturnobelpreis gewonnen und ist damit zu einem globalen Star der Kunstszene geworden. Er ist nun ein Denkmal der Literatur, eine Rolle die ihm weniger gut gefällt, denn er will weiter nur sein Schaffen ausüben. Zurückgezogen, aber stilvoll über den Dächern Barcelonas lebend und Romane schreibend. Gesellschaftliche Anlässe, Vorlesungen, Verleihungen und solche Sachen sind ihm nicht wichtig und werden von ihm konsequent abgelehnt. Ein Schreiben aus seinem Geburtsstädtchen Salas, die er mit 20 Lebensjahren verlassen hat, erweckt aber sein Interesse. Doch warum sollte er dahin reisen?
Vielleicht weil er sich neu erfinden muss, jetzt als Autorengroßmeister. Die Auseinandersetzung mit seiner Heimat diente ihm häufig als Inspiration. Er entscheidet sich schließlich die Einladung anzunehmen. Der Plan ist klar. Beim Stadtjubiläum der Provinzgemeinde soll er zum Ehrenbürger ernannt werden. Kaum angekommen in Salas muss er feststellen, wie sehr der Ort ihn als den großen Bürger feiern möchte, einer der es geschafft hat, der im Reichtum Europas wohnt und überall bewundernd auf der Welt empfangen wird. So etwas adelt auch seine Geburtsstadt gleich mit, denkt man sich in Salas. Gleichzeitig ist das Örtchen in seinem provinziellen Habitus steckengeblieben. Die Ablehnung an gesellschaftlichen Anlässen teilzunehmen, wird von Mantovani aufgeweicht, doch schnell macht er sich trotzdem Ärger, weil er seine Auffassung von Kunst verteidigt und nicht zu einem kompletten Heuchler werden möchte, der nur nach dem Mund der Einwohner redet. In der Begegnung mit seiner ehemaligen Geliebten Irene (Andrea Frigerio) und ihrem Mann Antonio (Dady Brieva) erkennt er, wie sehr sich sein Leben in den Sphären von Intellektuellen in Europa mit dem Leben der Einheimischen unterscheidet.
„Der Nobelpreisträger“ wirkt auf den ersten Blick wie ein schlichter Film über die (argentinische) Provinz. Eine Geschichte über das Zurückkehren an den Ort wo man herkommt, den man irgendwo als Heimat definieren könnte und an dem man sich sein Leben lang gedanklich abgearbeitet hat. Für diese Reise zurück ist der Held der Handlung bereit Kompromisse zu machen und seine doch recht extravaganten Wünsche etwas abzumildern, weil er das Leben der Menschen dort zu kennen meint und sich freut mit ihnen zu sein, Teil ihrer Aufmerksamkeit zu werden und eine gute Zeit, in Rückbesinnung auf die alte Zeit zu haben. In der Weiterführung dieses Gedankens kann man den Film als Studie hinterwäldlerischer Provinzialität lesen, den man sich manchmal anpassen muss, wenn man aus der Stadt aufs Land kommt, oder von Europa nach Südamerika. Doch diese (arrogante) Sichtweise allein, wird dem hervorragenden Film nicht gerecht.
Vielmehr ist diese spanisch-argentinische Koproduktion ein sehr kluges und äußerst facettenreiches Werk über die Rolle der Kunst, ihre Anerkennung in der Gesellschaft und letztlich auch über Heimat und Herkunft.
Grandios am Film ist, wie er mit einfachen Mitteln ein hochkomplexes Thema beleuchtet. So dreht sich „der Nobelpreisträger“ nicht nur um die Frage wie „kultivierte“ (man könnte gern auch auf dem hohen Ross sitzen als Beschreibung benutzen) Menschen in die Provinz kommen, sondern wie er als lebender Künstler aufgenommen wird. Hier stehen sich zwei Bedeutungen von Kunst gegenüber; auf der einen Seite werden Kunst und Künstler als anerkanntes Denkmal gesehen, als Zertifikat allgemein angesehenen Geschmacks gesehen. So blicken die Bewohner Salas auf die Ankunft ihres Nobelpreisträgers. Auf der anderen Seite ist Kunst aber ein Vorgang, eine Form die Welt zu interpretieren (sowohl vom Künstler, als auch vom Betrachter der Kunst) und eine Aussage über sie zu treffen und diese Aussage muss nicht immer angenehm sein, sie sollte kritisch und nicht blind affirmativ sein. Kunst muss unangepasst und nonkonform sein, sonst wäre sie nur Unterhaltung und Ablenkung. Mantovani muss schnell feststellen, dass er diesen Gegensatz in Salas erfahren muss, Denkmal für Projektionen zu sein, aber eigentlich nur erklären möchte, was seine Kunst ausmacht. Das dieser Gegensatz immer mehr eskaliert, macht den Film eben nicht zu einer Farce über die Provinz, sondern zu einem ganz brandaktuellen Film über das gesellschaftliche Verständnis von Kunst, nicht nur in Ländern, die Künstler wegsperren und mundtot machen, sondern auch in Europa, in einer Welt die gefühlt mehr und mehr versucht, das was sie für gut empfindet, vorbehaltlos und unreflektiert zu verteidigen und das was nicht gleich passt zu verdammen, in einer Welt die immer komplexer wird, die die Komplexität aber emotional einfangen möchte. Eine Welt, die aus den unterschiedlichsten Gründen, sich zunehmend nicht mehr mit Kunst auseinandersetzt, sondern sie kategorisiert, einordnet und für gut oder schlecht abstempelt. Stimmt man diesen Aussagen nur ansatzweise zu, dann ist dieser Film ein Plädoyer für die Freiheit der Kunst, für die Notwendigkeit der Unangepasstheit und der Nonkonformität.
Wer nun einen Kunstfilm erwartet, liegt allerdings vollkommen falsch. Obwohl ein ähnliches Thema wie der gleichfalls grandiose Film „The Square“ abarbeitend, ist „der Nobelpreisträger“ ein weniger glatter Streifen geworden, was ich sowohl positiv, wie auch negativ meine. Zum einen sind seine Kamerafahrten teilweise wundervoll, teilweise verstörend dümmlich (sinnfrei wackelnde Bilder werden mir ein Rätsel bleiben), was aber der einzige kleine negative Kritikpunkt ist, den ich hier anbringen möchte. Zum anderen spielt der „Nobelpreisträger“ nicht in einer abgehobenen europäischen Kunstwelt wie „The Square“, sondern in einer kleinstädtischen Gemeinschaft, die einen Alltag lebt, der sich um Kunst – oder noch viel weiter gefasst – um die Welt außerhalb der Provinz wenig kümmert, die aber gleichfalls sich der Frage des Sinns des Lebens stellen muss und dabei natürlich auch die eigenen Eitelkeiten bedient. In nicht ganz zwei Stunden erleben wir einen verblüffend einfach gemachten und trotzdem hochintelligenten Film, der nicht nur wundervoll selbstbezüglich ist (denn dieser Film ist natürlich auch Kunst), sondern dessen politische, philosophische und künstlerische Botschaft eindrücklich wirkt und den man am liebsten gleich nochmal sehen möchte. Ganz großes Kino!