Regie: Luca Guadagnino | Drehbuch: Justin Kuritzkes | Jahr: 2024 | Drama | Location: die 1950er Jahre in Lateinamerika
Es gibt Titel, die laden mich eigentlich nicht wirklich ein, tieferes Interesse zu entwickeln. Da mögen Sie mich jetzt für einen ignoranten, alten, weißen, heterosexuellen Mann halten, geneigter Leser, aber beim Titel „Queer“ habe ich in meinem Indie-Film-Kino im Internet eher weitergewischt. Jedoch ereilte mich das Glück, dass mir aus glaubhafter Quelle versichert wurde, der Film und insbesondere Daniel Craig seien ausgezeichnet, und ich kann bestätigen, dass dies der Fall ist, und wie!
Der US-Amerikaner William Lee (Daniel Craig) ist zu Beginn der 1950er Jahre in Mexiko-Stadt gelandet, da er seine Drogensucht und Homosexualität in der amerikanischen Heimat nicht mehr ausleben konnte. Die Hitze und die als suboptimal zu bezeichnenden Lebensumstände machen das Aufspüren promiskuitiver Partner nicht gerade einfach. Als Lee einen Mann entdeckt, der sein Interesse fesselt, geht ihm der Ex-Soldat Eugene Allerton (Drew Starkey) nicht mehr aus dem Kopf, und er verliebt sich in ihn. Doch Eugenes Gefühle, ja sogar seine sexuelle Orientierung, sind für Lee nicht klar.
„Queer“ ist eine Adaption des gleichnamigen Romans von William S. Burroughs, welcher darin eine autobiografische Geschichte erzählt. Insofern könnte man von einem Biopic oder einer Romanverfilmung sprechen. Tatsächlich habe ich mir diese Faktenlage aber erst nach dem Film angelesen, und so ist „Queer“ für mich ein Liebesfilm. Und ohne zu viel vorwegzunehmen: Er ist herausragend gut.Das liegt zum einen daran, dass dieser Film als Liebesfilm zwar eine Paarbeziehung darstellt, aber die Betonung nicht auf der Darstellung der Emotionen liegt (könnte das eigentlich ein Film noch viel besser als bei „Before Sunrise“ machen?), sondern in der Semantik von Liebe – oder anders formuliert: in der Frage, was Liebe ist. „Queer“ beantwortet diese Frage mit so etwas wie einem Verschmelzen von zwei Menschen miteinander. Im filmischen Handlungsmotiv der Suche von Lee (und weniger von Allerton) nach der Yagé-Pflanze, die Lee zwar als Droge sucht, deren Eigenschaft „Telepathie“ ihn aber eigentlich danach suchen lässt, sich voll und ganz einem anderen – geliebten – Menschen hinzugeben.So ist „Queer“ ein Film über Drogen und Abhängigkeiten – sowohl unseres Körpers als auch unseres Geistes. Aber wir lernen hier schnell, dass nicht nur Heroin oder Kokain abhängig machen können, sondern auch Sex und vor allem Liebe (und wer von Ihnen, geneigter Leser, schon mal glücklich oder unglücklich verliebt war, kann das ganz gut nachvollziehen).Diese Darstellung gelingt Luca Guadagnino äußerst eindrucksvoll, aber die Handlung ist hier nur ein Element des bis dato besten Films, den ich 2025 gesehen habe. Herauszuheben ist insbesondere die Leistung von Daniel Craig, der viel mehr spielt als einen promiskuitiven Mann, der die Liebe seines Lebens findet. Wir sehen einen leidenden, schwitzenden, alternden, einsamen, liebenden, glücklichen, geilen und drogensüchtigen Menschen, der in den Weiten Amerikas herumgeistert. Diese Darstellung bleibt in Erinnerung.[1] Aber nicht nur das. „Queer“ ist optisch ein Hochgenuss; fast jede Szene, jede Einstellung ist ein atemberaubendes Spiel mit Licht und Kamerabewegung. Dafür verwendet Guadagnino den Look der Kulissen, angefangen von den Straßen Mexiko-Stadts über den Dschungel mit Miniatur-Autos und -Flugzeugen bis hin zu den Einrichtungen mehr oder weniger aufgeräumter Zimmer. Hier stimmt einfach jedes Detail, und man könnte sich den Film auch problemlos ohne Ton ansehen und einfach nur die Bilder genießen. Allerdings würde man dann den ebenso starken Soundtrack verpassen, der aus der Zeit fällt und damit nicht anachronistisch, sondern umso stärker wirkt.
Wenn Lee durch die Kulissen Mexikos herumschwänzelt und dabei „Come As You Are“ von Nirvana im Hintergrund gespielt wird, kommen einem fast die Tränen vor Glück – die man sich aber vielleicht doch für einen stark symbolisch gehaltenen Schluss aufheben sollte. Vielleicht sind für den einen oder anderen diese letzten Szenen eines alten, sterbenden Lee etwas zu aufgeladen; ich finde sie stimmig und vor allem wunderschön bis ins letzte Detail. Ich kann nicht anders, als zu sagen: Ich liebe diesen Film!
[1] Vielleicht kann man noch auf den besonderen Aspekt hinweisen und einen Zeit Bezug herstellen. Liebe ist Liebe, und es ist egal welche sexuelle Orientierung man hat, bei „Queer“ aber spielt Homosexualität dann doch eine Rolle. Und dies liegt an der Zeit und der Umgebung. In den 1950er Jahren konnte man seine homosexuelle Orientierung nicht einfach ausleben und tat etwas eher Verborgenes. Lee muss sich daher erstmal länger mit der Frage auseinandersetzen, ist Allerton überhaupt auch queer, sind seine eigenen Emotionen nicht gleich Perlen vor die Säue. Und diese Unsicherheit verstärkt dann nochmal die Unsicherheit der Erwiderung der Gefühle bei dem Menschen, den man liebt, weshalb der Wunsch sich telepathisch zu verschmelzen als die höchstmögliche Form der Liebe (nicht des Sexes, oder wenn dann nur in einer Art von Erweiterung dessen) im Film nicht so sehr auf eine erotische Ebene gehoben wird, sondern auf eine visuelle Darstellung einer Semantik. Anders formuliert; in dem Moment wo Lee und Allerton verschmelzen sieht dies nicht wirklich gut oder erotisch aus, sondern die Ästhetik liegt in der Darstellung der Idee.