Der Schacht

Originaltitel: „El Hoyo“ | Jahr: 2019 | Regie: Galder Gaztelu-Urrutia | Science-Fiction-Kammerspiel | Länge: 94min

Goreng (Ivan Massague) erwacht in einem dystopisch anmutenden Gebäude, das wie ein Gefängnis, oder eine Besserungsanstalt anmutet. Das Bauwerk besteht aus untereinander angeordneten Ebenen, die durch einen offenen Schacht miteinander verbunden sind. Auf jeder Ebene leben zwei Personen. Gorengs Mitbewohner ist Trimigasi (Zorion Eguileor), der ihm sogleich das grundlegende Prinzip des Hauses erklärt. Jeden Tag fährt eine reich gedeckte Tafel mit köstlichen Speisen von ganz oben nach ganz unten durch den Schacht. Jede Ebene kann sich bedienen, doch umso weiter runter der Essenstisch im Schacht fährt, umso leerer wird er natürlich, je nachdem wie man sich weiter oben bedient hat. Goreng und Trimigasi sind auf Ebene 47, ein passables Stockwerk, wie Trimigasi meint, denn hier sind noch genügend Essensreste der höheren Level übrig, schlimmer würde es aber weiter unten sein, in Etagen jenseits der 100, wo man rein gar nichts mehr auf dem Essenstisch vorfindet. Jeden Monat wird die Etage gewechselt und man steigt auf, oder ab, im Schacht und findet sich mit vollkommen neuen Bedingungen wieder, obwohl eigentlich alles gleichbleibt.

„Der Schacht“ ist ein düsterer Film über das menschliche Wesen, dass in seinem Aufbau an fantastische Weltkonstruktionen von Jorge Luis Borges erinnert. In dieser Dystopie steht jedoch die Frage danach, ob eine Architektur menschlichen Zusammenlebens stärker ist als die darin lebenden Menschen, ob es für diese Auswege gibt und das blanker Überlebenskampf zu einem „Jeder gegen Jeden“ führt. Dieser Film versucht, düster, grausam und kalt, die menschlichen Abgründe zu zeigen, den „Naturmenschen“ der jede Art von Kooperation und Zivilisation zugunsten des eigenen Ichs verloren hat. Das funktioniert beim „Schacht“ beeindruckend, denn man kann ihn aus sehr vielen Blickwinkeln interpretieren, sowohl ganz grundsätzlich als Reflexion über das anthropologische Sein des Homo Sapiens, oder sehr zeitgenössisch, über die Konstruktion unserer kapitalistischen Gesellschaft, über oben und unten und arm und reich.

Diese zahlreichen Deutungsmöglichkeiten für den Zuschauer, die sich auch im Ende des Kammerspiels nicht erschöpfen (betont das Ende Religion oder allgemein die Rolle der Semiotik?), liefern den Rahmen für einen teilweise recht rauen, manchmal gar brutalen Film, dessen Setting ebenso beeindruckt, wie das überzeugende Spiel, insbesondere des Don Quichote immer ähnlicher werdenden Charakter des Gorengs. „Der Schacht“ ist ein ziemlich zeitloser Film, über den sicherlich noch lang diskutiert werden kann und der wie wenige Filme in den letzten Jahren zum Interpretieren, Nachdenken und Fokussieren über uns als Menschen und unser Zusammenleben anregt.

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