Jahr: 2024 | Regie: Clint Eastwood | Drehbuch: Jonathan Abrams | Gerichtsdrama | 114min
Im November letzten Jahres (in Deutschland allerdings erst im Januar 2025) startete Clint Eastwoods 41. Film als Regisseur! Es ist für den mittlerweile 93-jährigen, der Abschied aus dem Filmbusiness und an dieser Stelle sein schon gesagt, er tut dies mit einem sehr eindrücklichen Film.
Justin Kemp (Nicholas Hoult) lebt zusammen mit seiner Frau Ally (Zoey Deutch) und sie stehen kurz davor endlich ihr erstes Kind zu bekommen. Da kommt die Verpflichtung in einer Geschworenen-Jury zu sitzen, nicht gerade zeitlich günstig. Verhandelt wird der Fall von James Michael Sythe (Gabriel Basso), der wegen Mordes an seiner Freundin Kendall (Francesca Eastwood) angeklagt ist. Trotz der Einwände von Justin, seine Frau sei in einer Risikoschwangerschaft, wird er als Geschworener berufen und erlebt, wie die Staatsanwältin (Toni Colette) die Fakten der Anklage präsentiert und der Pflichtverteidiger (Chris Messina) von Sythe versucht eher bemüht, diesen zu entlasten. Bei der Präsentation des Tatvorgangs bemerkt Justin Kemp nicht nur, dass er zur Tatzeit in der gleichen Bar war, in welcher der Angeklagte und das Mordopfer einen Streit hatten, sondern auch, dass sein längst vergessener Wildunfall auf dem damaligen Heimweg vielleicht gar kein Wildunfall war, wie Justin seinerzeit dachte, sondern unmittelbar mit dem Tod von Kendall zu tun haben könnte. Als Anonymer Alkoholiker berichtet er seinem Sponsor Larry (Kiefer Sutherland) von seinem Verdacht, dass er unbewusst Kendall umgefahren haben könnte, und Larry, der auch Anwalt ist, rät ihm, keinesfalls diesen Verdacht auszusprechen, da ihm erhebliche strafrechtliche Konsequenzen drohen könnten. Mit diesem Wissen geht Kemp in die Beratungen der Jury, die sich bis auf ein Mitglied, dem Ex-Cop Harold (J.K. Simmons) einig sind, dass Sythe der Mörder war. Justin steht vor einer Zwickmühle, sein Gewissen sagt ihm aber, Sythe nicht zu schnell zum Mörder zu verurteilen.
„Juror #2“ ist ein durchaus sehr unterhaltsames Gerichtsdrama, dessen Spannungsbogen, aber nicht in der Frage liegt, wer hat es wie getan. Die Faktenanalyse einer Tat spielt hier fast keine Rolle und ist tatsächlich auch nur sehr oberflächig und arg gekürzt (teilweise sogar etwas unrealistisch) dargestellt. Dieser Film fragt nach Schuld, Gewissen und der Frage, ob man Wahrheit bzw. Wahrheitsfindung steuern kann. Und hier schafft Eastwood das, was viele seiner Filme auszeichnen, nämlich mehr zu sein, als ein republikanischer Wähler in den USA und ein allgemeines Bild auf das Leben aller Menschen zu werfen. Anders als für einen Republikaner wie Eastwood zu erwarten, ist der Staat im Film als starkes und nach Wahrheit und Aufklärung strebendes Organ gezeichnet, insbesondere in der Rolle der Staatsanwältin, die Tony Colette darstellt. Nicht der private Pflichtverteidiger sieht sich genötigt seinen Mandanten zu entlasten (wie immer Chris Messina ziemlich perfekt in der Rolle eines pseudo-smarten Anzugträgers), sondern der Staat ist der Sucher nach Wahrheit, als höchste und unabhängige Gestalt bei der Besprechung von Gerechtigkeit. In Zeiten einer allgemeinen Verdrossenheit gegenüber öffentlichen Institutionen ist dies ein starkes Thema.
Hauptmotiv ist jedoch die Darstellung des Haupthelden, der von Nicholas Hoult sehr souverän verkörpert wird, gleichzeitig Gewissensbisse zu zeigen und den Antrieb, irgendwie selbst Gerechtigkeit herzustellen, als eine etwas andere Form der Selbstjustiz. Gegen Ende (KLEINER SPOILER) verpasst der Film aber die eigentlich spannendsten Momente dieser Entwicklung zu skizieren. Es wird nur gezeigt, wie Sythe von der Jury schuldig gesprochen wird. Für diesen wenig überraschenden Überraschungsmoment wird aber die Darstellung geopfert, wie aus Kemp, dem kritischen Nachfrager in der Jury, plötzlich der überzeugte Juror wird, der wieder besseren Wissens den Angeklagten schuldig spricht (weil es einfacher ist und weil er sich nicht selbst belasten will). Der Film gibt hier die Darstellung dieser Selbstverleugnung auf, die insbesondere so spannend inszeniert werden könnte, weil sich das Netz um Kemp immer enger zieht. Die Frage der Schuld wird dann mit der finalen Szene versucht zu kitten, aber diese ist dann schon, trotz einer gewissen Offenheit tatsächlich fast redundant. Trotz allem bleibt „Juror#2“ ein sehr solider Film der die Rolle des Staates und die Frage nach Selbstjustiz und deren Limits, sowie nach Gewissen und Wahrheit thematisiert.