Niemals selten manchmal immer

Originaltitel: „Never Rarely Sometimes Always“ | Jahr: 2020 | Regie: & Drehbuch: Liza Hittman |Drama | Länge: 102 min

Manchmal wird man von den Kinokritikern seines Vertrauens dazu motiviert einen speziellen Film im Kino anzusehen. Das muss dann aber nicht immer dazu führen, dass man ebenso überzeugt vom Werk ist und wenn dies der Fall ist, tendiere ich zumindest dazu längere Erklärungen abzugeben, warum dies so ist, so wie im Folgenden.

Die Stärke von „Niemals selten manchmal immer“ ist sein Setting,  das Hauptmotiv der Erzählung und die junge Hauptdarstellerin Sidney Flanigan. Sie spielt Autumn, ein 17-jähriges Mädchen aus einer Provinzstadt in Pennsylvania. Ihre Familie, die am unteren Einkommensrand der USA lebt, wird von ihrer Mutter (Sharon Van Etten) gemanagt, der Kontakt zu ihrem Steifvater (Ryan Eggold) ist katastrophal, denn dieser ist ein sich selbstbemitleidender Verlierer erster Güte. Autumn fühlt sich seit Tagen nicht wohl und hat den Verdacht Schwanger zu sein, weshalb sie im örtlichen Gesundheitszentrum um Hilfe bittet. Dort findet man heraus, dass sie in der 9.Woche schwanger ist. Autumn ist schockiert, entschließt für sich aber, dass sie das Kind nicht auf die Welt bringen möchte. Allerdings ist in Pennsylvania eine Abtreibung unter 18 Jahren nicht ohne die Zustimmung der Eltern erlaubt und diese will sie keinesfalls über ihren Zustand informieren. Hilfe findet sie in ihrer Cousine Skylar (Talia Ryder), welche sie in geheimer Mission in einer halbtägigen Busreise nach New York begleitet, wo eine Abtreibung auch ohne Zustimmung der Eltern möglich ist.

Der Film zeigt in ruhigen und sehr unspektakulären Bildern (was absolut passend ist) die Geschichte zweier Mädchen, die um ihre eigene persönliche Freiheit kämpfen. Sie leben in einem Umfeld, das man in familiärer und sozialer Hinsicht, getrost als erbärmlich beschreiben kann, denn alle Männer (ja, wirklich alle Männer) die mit den Mädchen kommunizieren sind ziemlich perverse, gestatten sie mir das Wort, geneigte Leser, Wichser. Das trifft weniger auf die Busbekanntschaft Jason (Théodore Pellerin) zu, aber auch dieser ist eigentlich nur daran interessiert Skylar zu küssen und sein Interesse an den beiden Mädchen ist von diesem Motiv geleitet. Ohne viele Worte miteinander zu verlieren, gehen die Mädchen voran, um ihr Ziel zu erreichen, wobei kurz davor der Film auf seinen Höhepunkt zusteuert, einer Szene zwischen einer Schwangerschaftsabbruchberaterin und Autumn, in welcher der Zuschauer erfährt, dass ihre Schwangerschaft auch aus einer Vergewaltigung resultieren könnte.  Das ist sehr bewegend von Sidney Flanigan gespielt und filmisch ein spannendes Mittel, denn die Beraterin stellt sehr persönliche Fragen, welche Autumn mit vier Antwortkategorien, die auch dem Film seinen Titel geben, beantworten muss (als Sozialwissenschaftler wundert man sich ein wenig, warum statt „manchmal“, nicht lieber „öfter“ als Kategorie gewählt wurde, aber das ist hier das geringste Problem). Dieses Gespräch ist fast das einzige Zeugnis des gesamten Films, indem man etwas mehr über Autumns Schicksal erfährt. Was filmisch eine originelle Idee ist, funktioniert aber dramaturgisch im Zusammenhang wenig bis gar nicht. Denn für den Schwangerschaftsabbruch sind die Ergebnisse der Befragung ebenso irrelevant, wie die Konsequenzen (die Beraterin bietet Autumn an, sie könne gern anrufen, was als Hilfsangebot mir ziemlich dürftig erscheint, insbesondere da die Beraterin weiß, dass Autumn keine Bleibe über Nacht hat und sie ihr Angebot eine Bleibe für sie zu finden nicht nochmals dringlicher wiederholt, trotz Autumns erster Ablehnung). Das ist nur ein Beispiel für einen Film, dessen größtes Problem für mich ist, Stimmung verleihen zu wollen und dabei dramaturgisch verunglückt und an einigen Stellen schwer nachvollziehbar zu werden. Ein weiteres Beispiel ist die sehr dürftige Gesprächskultur zwischen Autumn und Skylar. Letzte ist so etwas wie eine Managerin, des Trips. Sie besorgt das Geld für den Bus, geht ohne zu Fragen mit zu den Ärzten und steht auch Autumn bei, als die Reise finanziell und organisatorisch außer Kontrolle zu geraten scheint. Aber über die Situation sprechen tun die beiden eigentlich nicht, was umso länger der Film andauert, umso ungewöhnlicher wirkt, da die Person von Skylar immer unergründlicher wirkt.

Das Motiv des Films, zwei starke Mädchen zu zeigen, die Ausbrechen aus ihren als mies zu bezeichneten sozialen Umfeld, um wenigstens etwas Selbstbestimmung in ihr Leben zu bringen ist ein sehr Starkes und „Niemals selten manchmal immer“ versucht dies eindrücklich darzustellen. Doch dabei nimmt der Film so viele Kompromisse in Kauf, um diese Stimmung umzusetzen, dass er eigentümlich unrealistisch wird und mir etwas zu sehr „schwarz-weiß“ gemalt wird und dessen dokumentarischer Charakter immer wieder bröckelt, wenn er versucht Stimmungen und Gefühle umzusetzen. Das hinterlässt einen Film, der sehr wichtige und gesellschaftlich durchaus kontrovers diskutierte Themenfelder anspricht; das Recht auf Selbstbestimmung und Leben, Sexismus und natürlich die Frage der Legalität von Schwangerschaftsabbrüchen. Als ein Plädoyer für mutige und ihren Weg gehende junge Frauen funktioniert dieser Film, aber nur teilweise.

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