Poor Things

Jahr: 2023 | Regie: Giorgos Lanthimos | Drehbuch: Tony McNamara | Spielfilm | 141min

In einer futuristischen Vergangenheit waltet der über allen Maßen begabte Chirurg Dr. Godwin „God“ Baxter. Er säbelt Leichen auf und transplantiert hier und da Organe um und erschafft kurioses neues Leben. Seinem begeisterten Schüler Max MaCandles (Ramy Youssef) übergibt er einen Protokollanten-Job, der es aber in sich haben wird. Max darf alle Fortschritte von Bella Baxter (Emma Stone) notieren, einer scheinbar minderbegabten jungen Frau, bei der sich herausstellt, dass sie ein weiteres chirurgisches Experiment von God ist. Bella ist nicht Gods Tochter, sondern war ein schwangeres Suizidopfer. God operierte dem toten Frauenkörper das Gehirn des ungeborenen Kindes ein, erweckt sie zu leben und beobachtet nun die Entwicklungsfortschritte. Er muss nun bei sich – sonst ein durch und durch emotionsloser, wissenschaftlich rationaler Geist – feststellen, dass er Vatergefühle für Bella hegt. Und weil er McCandeles für einen akzeptablen Schwiegersohn hält, möchte er eine Hochzeit zwischen ihm und Bella arrangieren, um Bella bei sich behalten zu können, und ihre Fortschritte zu studieren. Dafür soll noch schnell ein Vertrag geschlossen werden, den der Anwalt und Frauenheld Duncan Wedderburn (Mark Rufallo) ausarbeiten soll. Er jedoch entdeckt die wunderschöne Bella und möchte mit ihr nach Lissabon durchbrennen, während diese gerade die geistige Phase der frühkindlichen Sexualität entdeckt hat und die körperliche Lust für äußerst befriedigenswert empfindet. „Poor Things“ weiterlesen

Dein Zuhause gehört mir

Originaltitel: „Hogar“ | Jahr: 2020 | Regie & Drehbuch: Alex und David Pastor | Thriller | 103min | Location: Barcelona

Manchmal durchstöbert man die Angebotsauswahl seines Streaming-Film-Anbieters, während der Algorithmus des Anbieters einen als Nutzer viel besser durchstöbert und siehe da, man findet einen Film, den man gern mal sehen würde. In meinem Fall lag die Motivation darin, dass ich den Hauptdarsteller Javier Gutiérrez neulich in „El autor“ sah und er mich dort durchaus beeindruckte.

In „Dein Zuhause gehört mir“ (dessen deutsche Übersetzung es mit dem einfachen spanischen Wort-Titel „hogar“ [für das Heim, das Zuhause oder auch den Haushalt] nicht aufnehmen kann) erleben wir Javier Gutiérrez als mittlerweile erfolglosen Werbedesigner, dessen beste Tage weit hinter ihm liegen. Die Familie, bestehend aus seiner Frau Marga (Ruth Díaz) und dem übergewichtigen Sohn Dani (Christian Muñoz) erkennen die finanziellen Realitäten aber besser als Familienvater Javier. Doch es lässt sich nicht ändern, die große Wohnung mit dem wundervollen Blick über Barcelona kann nicht mehr gehalten werden, denn sämtliche Bewerbungsgespräche von Javier laufen erfolglos. Die Familie zieht in ein bescheideneres Heim, aber Javier kann von seinem alten Leben nicht lassen und beobachtet die neuen Mieter, den Manager Tomás (Mario Casas), seine Frau Lara (Bruna Cusi) und Töchterchen Mónica (Iris Vallés). Und aus dieser Beobachtung entspinnt Javier eine Idee. „Dein Zuhause gehört mir“ weiterlesen

Maestro

Jahr: 2023 | Regie: Bradley Cooper | Drehbuch: Bradley Cooper und Josh Singer | Bio-Pic | 129min

Schon kurz bevor die diesjährigen Oscar-Nominierungen veröffentlicht wurden, habe ich „Maestro“ gesehen, der immerhin sieben Mal für den weltweit bekanntesten Filmpreis, unter anderem auch in der Kategorie „Bester Film“, vorgeschlagen wurde. Dem kann ich (bedingt) zustimmen.

Leonard Bernstein (Bradley Cooper) ist der aufstrebende Star der internationalen klassischen Musikszene und darf bereits im Alter von 25 Jahren ein Konzert des New York Philharmonic Orchestra leiten, dessen Chefdirigent er 15 Jahre später werden wird. Kurz nach dem 2.Weltkrieg lernt er die Schauspielerin Felicia Montealegre (Carey Mulligan) kennen, die nach einigen Jahren heiraten wird und aus deren Ehe drei Kinder entspringen. Doch Bernstein fühlt sich in dieser stereotypischen Familienwelt der 1950er Jahre nicht erfüllt, bricht immer wieder aus und hat Affären mit anderen Männern. Trotz einer gewissen Toleranz von Felicia wird ihr dies zu viel, besonders als die Kinder alt genug sind und auf ihren eigenen Beinen stehen können. „Maestro“ weiterlesen

Anja Reich, Alexander Osang – Wo warst Du? Ein Septembertag in New York

Aus der Reihe: aus fremden Regalen

Erschien: 2011 bei Piper mit 272 Seiten

Das Bücherregal in der Wohnung meiner Schwester hält mich immer wieder auf. Diesmal entdeckte ich ein weiteres Buch von Alexander Osang und obwohl er bis diesem Werk lediglich Co-Autor war und obwohl es zum Thema, den 11.September 2001 hatte (ich dachte, ich hätte das Gefühl gehabt, über 9-11 alles notwendige gelesen, gehört und gesehen zu haben), habe ich es bei meinem weihnachtlichen Besuch trotzdem eingepackt, dafür bin ich von Osangs Roman „Lennon ist Tod“ zu nachhaltig positiv beeinflusst worden.

Das Buch einzupacken und durchzulesen, war eine gute Entscheidung. „Wo warst du?“ beschreibt den 11.September 2001 der Familie Osang – Reich. Alexander Osang ist Journalist des Spiegels, der in New York arbeitet. Seine Frau Anja Reich ist mit ihm und den beiden Kindern Ferdinand und Mascha vor zwei Jahren mitgezogen, doch während ihr Mann durch die USA und Europa reist, um Geschichten zu recherchieren und Menschen zu treffen, ist ihre journalistische Karriere etwas abgebremst worden, weil sie sich hauptsächlich um die Kinder kümmert. Am 10. September kommt Osang von einer längeren Reise aus Europa wieder nach Hause und geht erstmal joggen, weil er für den New York Marathon trainieren möchte, was seine Familie, insbesondere seine Frau nicht unbedingt goutiert, da sie den Familienvater lange nicht zu Gesicht bekommen hat. Und dann startet der 11.9., eine eigentlich ganz normaler, sonniger Spätsommerdienstag in New York City. „Anja Reich, Alexander Osang – Wo warst Du? Ein Septembertag in New York“ weiterlesen

El autor

Jahr: 2017 | Regie & Drehbuch: Manuel Martín Cuenca | Drama | 112min | Location: Sevilla

Ich wohne im 3.Stock und schau aus meinem Arbeitszimmerfenster auf die kleine Gasse, auf welcher gerade gebaut wird. Die Bauarbeiter, die einen Grund vorgegeben bekamen, die enge Straße aufzureißen, schreien rum und man kann vermuten, dass dies zu Ausübung von Bauarbeiten zwingend erforderlich ist, auch wenn Dezibel-intensive-Maschinen gar nicht eingeschaltet sind und nur darauf warten, die Häuserwände der angrenzenden Gebäude zu rütteln. Die Familie ist ausgeflogen, die Frau erarbeitet die notwenigen Mittel, um den Haushalt vor der Privatinsolvenz zu bewahren, während der Sohn seine Teenagervorstellungen von der Düsterkeit des Seins beim Schülerpraktikum der Friedhofsverwaltung reflektieren kann. Es ist ein kalter Wintertag, die Sonne scheint und die Wohnungen der Nachbarn sind verlassen, so man dies aus der Beobachtung meines Fensters heraus sagen kann. Sie bevölkern wohl gerade die Arbeitsplätze oder Einkaufsläden Dresdens und so sitze ich und träume einen meiner tiefen, stillen und unerfüllten Träume, einmal einen Roman zu schreiben (natürlich nicht irgendeinen Roman, es müsste schon besondere Literatur sein, Literatur, die amüsant zu lesen wäre, sie müsste fiktional, aber auch authentisch sein, verschachtelt sollte die Story sein, wo ein Gedanke in kleine Teile zerstäubt, die zu tiefer Beobachtung der Welt führen, bevor sie wieder zusammengesetzt, zurück auf das große Ganze kommen).

Álvaro (Javier Gutiérrez Álvarez) besucht nun schon seit drei Jahren die Schreibkurse des Literaturprofessors Juan (Antonio de la Torre), doch ein Buch hat er noch nicht veröffentlicht. Seine Frau hingegen schon. Amanda (Maria León) hat mir ihrem ersten Buch einen Bestseller verfasst. Das ist etwas ärgerlich für Álvaro, da er einerseits nichts hat, außer seinem Buchhalterjob, auf der anderen Seite aber gar nicht Literatur für die Masse – wie die seiner Frau – schreiben möchte, sondern große Literatur, etwas Bedeutendes. Betrüblich ist weiterhin das Sujet des Buches der Gattin, dass nicht gerade wohlwollend mit der gemeinsamen Ehe umgeht. Das er Amanda nun aber auch inflagranti mit einem anderen Mann erwischt, geht dann doch etwas zu weit. Álvaro zieht aus der gemeinsamen Wohnung aus und wird von seinem Chef zu Erholungszwecken beurlaubt. In der neuen Wohnung will er endlich seinen Roman schreiben und da kommen ihn die neuen Nachbarn gerade recht. Da er selbst nicht gut darin ist, sich eine eigene Handlung auszudenken (was man für einen strukturellen Nachteil für Romanautoren halten könnte), schaut er einfach, was die Nachbarn tun. Doch dieses Beobachten wird schnell proaktiver als es vielleicht gut ist. „El autor“ weiterlesen

Wolf Haas – Eigentum

Erschien 2023 bei Hanser mit 158 Seiten

Dieses Jahr versuchte ich, wie schon in den letzten Jahren, mit meiner Nichte im Park von Frankfurt Soßenheim, den grundgütigen Weihnachtsmann zu finden. Als wir seine Spur wir fast hatten, erklang das Weihnachtsglöckchen, was meine Nichte jedoch gefühlte Ewigkeiten nicht hörte und welches die Bescherung ankündigte, was wiederum besagte Nichte (als sie das Glöckchen endlich hörte) dazu brachte unter Hochdruck nach Hause zu laufen und ich flitzte hinterher. Es war jener Zeitgenosse im roten Mantel, den wir wieder nicht wirklich zu Gesicht bekamen, der aber am heiligen Abend, in kluger Zusammenarbeit mit dem Christkind (und unter Zuhilfenahme von Cola-Getränken) Geschenke verteilte und der mir das neueste Büchlein von Wolf Haas unter den Weihnachtsbaum legte.

„Eigentum“ ist kein neuer Brenner-Krimi von Wolf Haas, sondern ist, wie beispielsweise „Junger Mann“ ein autofiktionaler Text des Österreichers aus Maria Alm am Steinernen Meer. Wir erleben einen Erzähler, der natürlich Wolf Haas heißt, welcher wiederum die letzten Tage seiner Mutter auf Erden dazu nutzen möchte, genau über jene Mutter zu schreiben, obwohl er eigentlich eine Poetik-Vorlesung vorbereiten müsste.
Marianne Haas war kein sonderlich herzensguter Mensch und bei den Nachbarn eher unbeliebt. Ihr Leben war geprägt von Arbeit und dem Wunsch nach Wohneigentum, der sich aber durch fehlende Steigerung des Realeinkommens nicht einlösen ließ. „Wolf Haas – Eigentum“ weiterlesen

Nyad

Jahr: 2023 | Regie: Elizabeth Chai Vasarhelyi und Jimmy Chin | Bio-Pic | 121min

Wir befinden uns immer noch in den ersten Tagen des neuen Jahres und vielleicht hält sich manch einer von Ihnen, geneigter Leser, noch streng an seine Neujahrsvorsätze! Vorsätze sind im Allgemeinen eine ganz gute Sache, denn sie geben ein Ziel vor, dass man zu erreichen versucht (ob man das dann schafft, steht auf einem anderen Blatt). „Nyad“ weiterlesen

Umberto Eco – Der Name der Rose

Erschien 1980 im italienischen Original „Il nomma della rosa“ bei Editoriale Fabbri-Bompiani | deutsche Übersetzung von Burkhart Kroeber hier vorliegend als dtv Taschenbuch mit 680 Seiten

Fast ein halbes Jahr liegt die letzte Romanvorstellung auf diesen digitalen Seiten zurück. Das lag zum einen daran, einen gewissen Sachbuchrückstand weg zu machen (verbunden mit einem größeren Projekt über die Geschichte der Philosophie, aber dazu in einem späteren Eintrag mehr). Zum anderen lag dies auch daran, mein „Tsundoku-Konto“ positiv zu halten und keine neuen Romane zu erwerben (was schwerfällt, betrachtet man die Neuerscheinungen; ich nenne Namen: Murakami, Kehlmann, Haas). Also musste die heimische Bibliothek untersucht werden, nach ungelesenen Schätzen und da fiel mir schnell „Der Name der Rose“ in die Hände, vor vielen Jahren begonnen, aber nach rund 200 Seiten nicht beendet. Diese Schmach – wohl schon als Student zugezogen – nicht ein einziges Buch von Umberto Eco fertig gelesen zu haben, musste ich irgendwann tilgen, also frisch ans Werk.

Am Ende seines Lebens schreibt der Mönch Adson von Melk eine ganz besondere Geschichte seiner Vita auf. Wir befinden uns im Spätmittelalter, im November 1327, als der damals junge Novize den britischen Franziskanermönch William von Baskerville in eine Benediktinerabtei im Apennin begleitet. William, ein ehemaliger Inquisitor ist hier, um ein Treffen von Abgeordneten seines Ordens mit Vertretern des Papstes zu organisieren. Doch im Kloster ist es zu einem Todesfall gekommen und der Abt Abbo von Fossanova bittet William um Mithilfe bei der Aufklärung. „Umberto Eco – Der Name der Rose“ weiterlesen

Leave the World Behind

Jahr: 2023 | Regie & Drehbuch: Sam Esmail | Endzeitfilm | 138min | Location: Long Island

Das Jahr 2023 verstärkte den Eindruck, die Menschheitsgeschichte fülle sich mit immer weiteren Katastrophen. Man kann die Konjunktur einer düsteren Endzeitstimmung nur schwerlich abstreiten, zumal eine Relativierung der Problemlage schnell in den moralischen Verdacht gerät, man würde die Herausforderung nicht ernst nehmen und damit die Katastrophe nur vergrößern. Obwohl das Grundgefühl, die Welt (oder mindestens mal das eigene Land oder die eigene Kultur) stehe am Abgrund ungefähr so alt ist, wie menschliche Zivilisationen selbst, ist es in den letzten Jahren nochmals verstärkt worden, durch einen ethischen Pathos, der herannahenden globalen Katastrophen. Was läge da näher das neue Jahr 2024 mit einem brandaktuellen Katastrophenfilm zu beginnen!

Familie Sandford macht spontan Urlaub, weil die misanthrophe Mutter Amanda (Julia Roberts) eine Pause vom menschengefüllten New York braucht. Vater Clay (Ethan Hawke) ist begeistert und mit den Kindern Rose (Farrah Mackenzie) und Archie (Charlie Evans) geht es los nach Long Island. Das angemietete Haus entpuppt sich als Luxusvilla und der Strand ist nahe und wird sogleich besucht. Die Erholung wird jedoch von einem auf Grund auflaufenden Tanker gestört. Getoppt wird das noch am Abend, als der mysteriöse G.H. (Mahershala Ali) mit seiner Tochter Ruth (Myha’la Herrold) an der Haustür klopft, sich als Hausbesitzer vorstellt und um Unterbringung bittet, weil in New York irgendwas nicht stimmen würde. „Leave the World Behind“ weiterlesen

Kekulés Corona Podcast

Aus der (neuen) Reihe: „an-geHÖRT

Podcats spielen seit einigen Jahren in meinem Leben eine immer größere Rolle und das gilt wohl nicht nur für mich, sondern ist gerade eine neue Welle des Medienkonsums. Ich gehöre nun auch zu den Leuten, die in der Öffentlichkeit mit Kopfhörern unterwegs sind und sich von anderen Leuten aus dem Internet beschallen lassen, während man, wie in einem akustischen Kokon, durch die Straßen der Stadt zieht.[1] Dieses Abwenden von der eigentlichen Welt ist verbunden mit einem Eintauchen in ein Hörgelage, dass sich – so hoffe ich mindestens – vermeintlich tiefer mit der Welt beschäftigt.
Wie bei allen Medien ist es irgendwo eine Frage der Perspektive der Weltschau und ebenso zahlreich wie die Facetten unserer Zeit, sind dann auch die Themen von Podcasts. Er kann dich unterhalten, informieren (aber auch desinformieren) und amüsieren. Aber – und hier liegt ein Wesenskern des Mediums, er kann dies tun, während du unterwegs bist, oder etwas anderes machst, er lässt dir die Möglichkeit, den Podcast zusätzlich zu einer anderen Tätigkeit ablaufen zu lassen (was bei Lesen oder Fernsehschauen eben nicht möglich ist). Podcasts sind ein weiteres Puzzleteil für die vermeintliche Effektivierung unserer zeitlichen Ressourcen, für das Ausquetschen von Nützlichkeiten unseres Alltages und für eine Abwendung von der Möglichkeit direkter Kommunikation um uns herum. Sie sind – wie so viele Neuerungen – Gewinn und Verlust zur gleichen Zeit. „Kekulés Corona Podcast“ weiterlesen