Ich tue mich immer schwer damit, dass Buch zum Film zu lesen, wenn ich den Film schon kenne. Das gilt natürlich umso mehr, wenn das Buch nach dem Film kommt, aber auch wenn nur der Film auf einem Buch beruht, bin ich meistens nicht dazu bereit mir etwas zweifach zu rezipieren.
Im Fall von David Mitchell konnte ich da aber getrost eine Ausnahme machen, was nicht nur daran liegt, dass der Film „Cloud Atlas“ von den Wachowski Geschwistern und Tom Tykwer in meinen Erinnerungen ziemlich verschwommen ist, sondern viel mehr daran, dass ich mit Mitchell einen weiteren Autor gefunden habe, dessen Werke ich mit größtmöglicher Begeisterung lese. „Der Wolkenatlas“, welcher 2004 als sein 3.Roman veröffentlicht wurde, gilt dabei für viele Leser als sein Hauptwerk. „David Mitchell – Der Wolkenatlas“ weiterlesen
Schlagwort: Roman
Sasa Stanisic – Wie der Soldat das Grammofon repariert
Lange habe ich keinen Roman mehr zum Neupreis gekauft. Romane haben – im Gegensatz zu Fachbüchern – einen ziemlichen Wertverfall, sind aber – ebenfalls im Gegensatz zu Fachbüchern, jedenfalls bei mir – nach einmaligen Durchlesen immer noch fast wie neu (Fachbücher müssen bei mir durchgearbeitet aussehen, angestrichen und mit Bemerkungen am Seitenrand, ich würde ein solches Fachbuch auch nie wieder aus meiner Bibliothek entlassen). Sasa Stanisics erster Roman „Wie der Soldat das Grammofon repariert“ gehört aber zu den Werken der Belletristik, die gebraucht nur unwesentlich unter den Neupreis geraten, weswegen ich mich für eine nigelnagelneue Ausgabe entscheid.
Alexandar wächst in der jugoslawischen Kleinstadt Visegrad auf, gelegen an der Drina, nur wenige Kilometer bevor der Fluss eine gemeinsame Grenze zwischen Bosnien und Serbien bildet. Als sein Opa Slavko stirbt, verliert Alexandar einen geliebten Menschen, der ihm die Welt erklärte. Nur wenig später scheint sich diese Welt zu verändern, als sich der jugoslawische Staat Anfang der 1990er Jahre im Krieg auflöste und die Front seine Heimatstadt erreichte. Fortan muss sich Alexandar eine heile Welt erträumen. „Sasa Stanisic – Wie der Soldat das Grammofon repariert“ weiterlesen
T.C. Boyle – Hart auf hart
So ganz langsam lese ich mich durch das Universum T.C. Boyles. Sein 2015 im Original als „The Harder They Come“ erschienener Roman „Hart auf Hart“ beleuchtet, so wie man es aus Boyles Romanen kennt, an drei Figuren, einen Aspekt US-amerikanischer Gesellschaft.
Wir sind in der Gegenwart mit den Stensons auf einer luxuriösen Kreuzfahrt, die sich einen Landgang genehmigen. Es soll in den Dschungel Costa Ricas gehen, als die kleine Reisegruppe, allesamt Pensionäre, in einen Hinterhalt gelangen und dort ausgeraubt werden. Sten, ehemaliger Schuldirektor und Vietnam-Veteran, fackelt nicht lange und wehrt sich gegen einen Räuber, wobei dieser zu Tode kommt. Zurück in Nordkalifornien wird Sten als Held gefeiert, was ihm ziemlich unangenehm ist. Doch bald holt ihn sein Alltagsleben ein und damit auch die Probleme mit seinem 25-jährigen Sohn Adam, der, um es milde zu formulieren, immer wunderlicher wird, bevorzugt durch den Wald streift, um seinem großen Vorbild, dem Trapper John Colter, nachzueifern. Adam trifft auf Sara, einer Anhängerin des Sovereign Citizen Movement, die davon überzeugt ist, dass der amerikanische Staat ihr schonmal gar nichts könne und sie als freier Bürger über die Straßen Kaliforniens brausen und zu ihren Jobs fahren könne und ob sie dabei angeschnallt ist, oder nicht, wäre einzig und allein ihr Problem und geht mit Sicherheit die Polizei nichts an. „T.C. Boyle – Hart auf hart“ weiterlesen
Cihan Acar – Hawaii
Kemal Arslan ist zurück in seinem Heimatviertel Hawaii, einem Stadtteil von Heilbronn, der von vielen Migranten geprägt ist. Er ist erst 21 Jahre alt, hat aber schon so einiges erlebt. Er war Fußballprofi in der Türkei, aber durch einen Unfall ist seine Karriere ruiniert und so steht die Frage im Raum, was er mit dem Rest seines Leben noch anfangen soll. Wir begleiten ihn vier Tage durch die Sommerhitze Heilbronns, wo die Trinkwasserprobleme als Symbol für eine größere Krise erscheinen, in einer Stadt, wo sich die Stimmung nicht nur wegen der Temperaturen immer weiter aufheizt. „Cihan Acar – Hawaii“ weiterlesen
David Mitchell – Die tausend Herbste des Jacob de Zoet
In Zeiten wie diesen – und an dieser Stelle müssen wir nicht groß rumdrucksen – die allgemein, aber auch individuell durchaus als bescheiden und schlechter bezeichnet werden können, ist die Lektüre eines Buches eine der wenigen brauchbaren Alternativen aus der zunehmenden Einsamkeit der Welt. „David Mitchell – Die tausend Herbste des Jacob de Zoet“ weiterlesen
Juli Zeh – Neujahr
Ein Urlaub in Lanzarote über Weihnachten und Neujahr. Familienvater Henning ist mit seiner Frau Theresa und seinen beiden kleinen Kindern auf die Kanaren geflogen, während seine Schwester Luna im heimatlichen Göttingen bei ihm wohnen darf, da sie selbst ihr Leben irgendwie kaum allein in den Griff bekommt. Eine seltsame Kraft treibt Henning auf der Insel an, wo er am Neujahrstag einen Fahrradausflug ohne Familie unternimmt und hofft, nicht von einer seiner immer häufiger auftretenden Panikattacken überrascht zu werden. „Juli Zeh – Neujahr“ weiterlesen
Ewald Arenz – Alte Sorten
Es ist der erste Tag des Septembers und der Sommer nähert sich ganz langsam seinem Ende. Sally ist aus der Klinik ausgerissen. Sie ist 17 Jahre alt und die Welt versteht sie nicht. Sie flüchtet und trifft weit weg vom Rummel der städtischen Umgebung auf Liss. Diese lebt einsam auf einem Bauernhof in einem Dorf an bergigen Weinhängen, irgendwo im Süden des Landes. Schnell stellt sich heraus, dass die ruhige und sehr zurückhaltende Art von Liss, Sally faszinierend findet, weshalb sie ihre Flucht einstellt und auf dem Bauernhof bleibt. Eine Freundschaft entsteht, die aus gegenseitigem Interesse am jeweils anderen beruht und scheinbar können sich beide gegenseitig etwas geben. „Ewald Arenz – Alte Sorten“ weiterlesen
John Irving – Straße der Wunder
John Irving gehört zu den großen amerikanischen Romanciers der Gegenwart. Nach vielen Jahren der Unkenntnis, war es an der Zeit auch etwas von ihm zu lesen, beeinflusste er doch Autoren wie beispielsweise T.C. Boyle.
Im Mittelpunkt der Handlung des 2015 erschienenen Werkes „Straße der Wunder“ steht Juan Diego, ein mexikanisch-stämmiger, amerikanischer Schriftsteller, der erheblich älter wirkt als er mit seinen 55 Lebensjahren ist. Das liegt zum einen an seinen Herzproblemen und mehr noch an seinem hinkenden Fuß, den er sich bei einem Unfall als Kind zugezogen hat. Es ist diese Kindheit, genauer ein kurzer Zeitraum in seinem 14. Lebensjahr, der einer der beiden Erzählebenen des Romans darstellt. Der Junge lebt gemeinsam mit seiner wunderlichen Schwester Lupe auf einem Müllplatz, doch beide Kinder haben erstaunliche Talente. Während Lupe Gedanken lesen kann, dafür aber unverständlich redet, ist es ihr Bruder, der sie als einziger in der Welt versteht, der aber sich selbst aus den weggeworfenen Büchern der Bewohner der mexikanischen Stadt Oaxaca das Lesen beigebracht hat. Dieses Talent findet die Aufmerksamkeit eines jesuitischen Mönches, Pepe, der sein Förderer wird. Der andere Ebene spielt in der Jetztzeit, genauer im Herbst 2010. Juan Diego ist ein weltweit bekannter Autor und begibt sich auf die Philippinen, weil er dort ein Versprechen aus seiner Jugend einlösen möchte. Auf der Reise dahin, geht er wenig sorgsam mit seinen Medikamenten um, gleichzeitig trifft er auf zwei sehr ungewöhnliche Frauen, Mutter und Tochter, die sehr mysteriös – geisterhafte Reisebekanntschaften zu seien scheinen. „John Irving – Straße der Wunder“ weiterlesen
T.C. Boyle – Wenn das Schlachten vorbei ist
Boyles 13.Roman „When the Killing is gone” kam im englischen Original 2011 heraus und thematisiert einen Streit zwischen zwei Gruppen von Umweltschützern. Auf der einen Seite steht Alma Boyd, Pressesprecherin des Channel Island National Parks. Diese staatlich geförderte Organisation wurde zum Schutz der Kanalinseln gegründet, welche vor der kalifornischen Küste bei Santa Barbara liegen. Almas aktuelles Projekt ist es, die Inseln auf ihre natürliche tierische Population zurückzuführen, was beispielsweise für das kleine Inselchen Anacapa bedeutet, dass man dort alle Raten tötet, weil diese vom Menschen eingeschleust wurden und die natürlich bzw. länger auf der Insel lebenden Tierarten bedrohen. Alma wird dabei, zumindest unbewusst von ihrer Großmutter angetrieben. Sie überlebte kurz nach Ende des 2.Weltkriegs einen dramatischen Bootsunfall und konnte sich mit letzter Kraft auf Anacapa retten, wo sie auf Heerscharen von Ratten traf, die aber nicht ihren eisernen Willen zu Überleben hat einschüchtern konnten.
Eine entgegengesetzte Position, gleichwohl aber auf Tierschutz ausgerichtet, vertritt die FPA, eine vom einen wohlhabenden Rasta Träger gegründete Gesellschaft, welche sich dem radikalen Tierschutz widmet, der das Töten aller Tiere verhindern möchte und damit auch das der Ratten auf Anacapa. „T.C. Boyle – Wenn das Schlachten vorbei ist“ weiterlesen
David Mitchell – Chaos
Warum habe ich eigentlich David Mitchel nicht schon viel früher mal gelesen? Bekannt ist er mir schon seit vielen Jahren, aber irgendwie lag nie ein Buch vor mir. Jetzt endlich bestellte ich „Chaos“, Mitchells ersten Roman aus dem Jahr 1999, dass Teil meiner Sommerbibliothek werden sollte.
„Chaos“, dessen englischer Originaltitel „Ghostwritten“ für den Großteil des Buches besser passt, als die deutsche Kreation (wenn man das Buch beendet hat, dann kann man sich auch mit dem deutschen Titel anfreunden) ist ein Roman, der aus neun längeren Geschichten (und einer sehr kleinen Abschließenden) besteht. Diese Storys sind für sich recht vielfältig und teilweise wundervoll geschrieben. Wir erleben einen Terroristen auf der Flucht, eine junge Liebe in Tokyo, einen mitgenommenen Bänker in Hongkong, eine Reise durch die Mongolei, eine von ihren Reizen überzeugte Museumswärterin in St. Petersburg, einen Musiker und Ghostwriter in London der Erfolg bei den Frauen, aber kein Geld hat, eine Wissenschaftlerin auf der Flucht auf einer einsamen irischen Insel und eine Radiotalkshow in der Nacht New Yorks.
Alle diese Geschichten sind für sich genommen schon wundervolle Erzählungen. Sie sind alle in der Ich-Form geschrieben und lassen den Leser in unterschiedlichste Personen eintauchen, die zwar nicht immer sympathisch, aber jederzeit eine spannende Geschichte zu berichten haben. Dabei erleben sie Liebe, Hass, Gewalt, Erleuchtung oder Enttäuschung.
Zusätzlich ist Mitchell ein hervorragender Beobachter und Beschreiber von Orten und man lernt viel über die Städte und Plätze, die er in „Chaos“ einbaut. Er schafft es auch wundervoll komische Passagen mit Tragik und Spannung abzuwechseln, was dieses Buch sehr, sehr kurzweilig werden lässt. Hier nur ein kleines Beispiel, was genauso zeitgemäß, wie witzig ist (S.523; Beginn des Kapitels „Night Train“): „David Mitchell – Chaos“ weiterlesen