Der Schaum der Tage

Jahr: 2013 | Originaltitel: „L’écume des jours“ | Regie & Drehbuch: Michel Gondry | surrealistische Tragikomödie | Länge: 98min | Location: Paris

Irgendwie spielt mir der Algorithmus einer meiner verbliebenen Social-Media-Anbieter in letzter Zeit kleine Videos mit Erklärungen großartiger Musikvideos zu. Diese Videoschnipsel finde ich ziemlich großartig. Mir fiel dabei nicht nur auf, dass die große Zeit der Musikvideos vorbei zu sein scheint (YouTube kann MTV nur unzureichend ersetzen, hat aber andere Vorteile), sondern auch, dass es in den 1990er- und 2000er-Jahren wahre Superstars im Bereich der Regie und Ausarbeitung von Musikvideos gab. Einer davon war Michel Gondry, dessen Videos zu Protection von Massive Attack oder Around the World von Daft Punk sicherlich noch jedem bekannt sein dürften, der damals vor dem Fernseher saß, um Musik zu sehen (zur besseren Erinnerung werden beide Videos nach dem Artikel noch einmal gezeigt). Gondry legte seit den 2000er-Jahren auch einige Filme vor. Jedem Cineasten wird sich wahrscheinlich der Liebesfilm „Vergiss mein nicht! ins Gedächtnis eingebrannt haben, vielleicht auch die Filmkomödie „Abgedreht, eine Hommage an Film- und Videokunst. „Der Schaum der Tage“ weiterlesen

Ryūichi Sakamoto Coda

Jahr: 2017 | Regie: Stephen Nomura Schible | Dokumentation | Länge: 101min

Ryūichi Sakamoto ist mir schon mehrfach musikalisch begegnet, aber wirklich auseinandergesetzt habe ich mich mit seiner Musik kaum, so ist an mir auch vorbeigegangen das der japanische Komponist im Jahr 2023 starb. Dem ein oder anderen ist Sakamoto vielleicht für seine vielen Soundtracks in Erinnerung geblieben, unter anderem zu „The Revenant“, einem Film der epischen Bilder mit wundervoller Musik von Sakamoto vereint (aber eine sehr übersichtliche Story hat). In der rechten Spalte habe ich das musikalische Hauptmotiv für Sie verlinkt. „Ryūichi Sakamoto Coda“ weiterlesen

High Life

Regie & Drehbuch: Claire Denis | Jahr: 2018 | Science-Fiction Film | Länge: 112min

Gut gemachte Science-Fiction kann uns in fremde, kaum vorstellbare und spannende Welten führen, zumeist irgendwo im Weltall unserer Fantasien. Wenn wir in diesen fernen Zeiten einer vermeintlichen Zukunft etwas erkennen, dass wir als Abbild unserer Welt interpretieren können, dann hat die Science-Fiction Darstellung nicht nur unterhaltenden, sondern sogar erkennenden Wert. Frühere Darstellungen des Genres von Jules Verne bis zu Star Trek waren immer dabei technikbegeistert und man musste einige Abstriche bei den physikalischen Grundlagen der Darstellung machen (z.B. in Star Trek bei der Frage der Überlichtgeschwindigkeit, des Worp-Speeds, die einfach mal unmöglich ist, auch wenn die Menschheit daran noch eine Millionen Jahre bastelt[1]). Heute hat sich die Science-Fiction gewandelt und versucht ein Mindestmaß an Anschlussfähigkeit herzustellen, das heißt, der Science-Fiction Plot muss irgendwie eine nachvollziehbare Zukunft und Technik zeigen. Claire Denis zeigt in „High Life“, jedoch, dass letztgenannten Aussage nicht immer stimmt, denn ihr Film „High Life“ ist Science-Fiction mit einer möglichst unlogischen und sozial absolut nicht nachvollziehbaren Dimension. „High Life“ weiterlesen

Knight of Cups

Regie & Drehbuch: Terrence Malick | Jahr: 2015 | Spielfilm | Länge: 118min

Der Alltag ist die Abfolge routinisierter Tätigkeiten, Aufgaben, die wir erledigen müssen, weil irgendetwas ansteht: Arbeit, Familie, Einkäufe, Arzttermine, Behördengänge, auf dem Handy nachschauen, ob die Welt, wie wir sie kennen, noch existiert, und andere Dinge, die zum Rahmenhandlungsplan der Ersten Welt gehören. Aus diesem Bewusstseinsstrom auszubrechen – etwa auf einer Wiese liegend, die Wolken beobachtend und über die eigene Existenz, den eigenen Seinszustand, die Welt oder das Nichts nachzudenken und einfach nur biologisch zu existieren – ist eine wertvolle, aber wahrscheinlich viel zu selten ausgeübte Tätigkeit des Daseins.
Wim Wenders hat versucht, dies filmisch darzustellen, und zwar im „Himmel über Berlin“. Wer diesen Klassiker gesehen hat, wird vermutlich auch an den Filmen von Terrence Malick interessiert sein. Malick schuf mit Der schmale Grat vielleicht den besten, weil existentiellsten Kriegsfilm, den ich kenne, oder mit The Tree of Life ein bildgewaltiges Werk über das Leben. 2015 legte er „Knight of Cups“ vor, einen Film, der Malicks Technik, bewegte Bilder zu zeigen und dabei eine Stimme aus dem Off reflektierende Dinge sagen zu lassen, fast schon ins Extreme treibt. „Knight of Cups“ weiterlesen

Anora

Regie & Drehbuch: Sean Baker | Jahr: 2024 | Dramedy | Länge: 139min | Location: New York City

Als ich noch Soziologie studierte (also irgendwann um und nach der Jahrtausendwende), gab es verschiedene Thesen darüber, in welchem Zustand sich unsere Gesellschaft gerade befand. Eine Diagnose war, dass unsere Gesellschaft, die aus verschiedenen Teilen mit unterschiedlichen Logiken besteht (Recht, Wirtschaft, Politik, Familie, Liebe …), zunehmend von einer wirtschaftlichen Logik durchdrungen wird. Anders gesagt: Die Logik der Wirtschaft schien mehr und mehr alle Bereiche der Gesellschaft zu erobern, und diese wurden vom ökonomischen Denken immer stärker unterjocht.
Sean Baker erzählt in seinem Film „Anora“ eine Geschichte, die dieser Diagnose irgendwie nahekommt – was ich im Folgenden für Sie, geneigter Leser, zu beschreiben versuche. „Anora“ weiterlesen

Swimming Pool

Regie & Drehbuch: François Ozon (Drehbuch mit Emmanuèle Bernheim) | Jahr: 2003 | Thriller | Location: eine Villa mit Pool in Südfrankreich

Eine nicht wirklich gut gepflegte Reihe auf dieser Seite nennt sich „Filmklassiker der Jahrtausendwende“, und es ergab sich – in den vollkommen unerklärlichen Zuständen meiner persönlichen Filmauswahl –, dass ich „Swimming Pool“ von François Ozon in meiner Filmdatenbank auswählte. Es ist ein Film, der schon wegen seines Titels zum Sommer passte, aber nicht im Freibad, sondern auf der heimischen Fernsehcouch geschaut wurde. Ich hatte den Film schon vor etwa 15 Jahren gesehen, und das Einzige, woran ich mich erinnerte, war ein Shift in der Perspektive des Films im Laufe der Handlung. „Swimming Pool“ weiterlesen

Queer

Regie: Luca Guadagnino | Drehbuch: Justin Kuritzkes | Jahr: 2024 | Drama | Location: die 1950er Jahre in Lateinamerika

Es gibt Titel, die laden mich eigentlich nicht wirklich ein, tieferes Interesse zu entwickeln. Da mögen Sie mich jetzt für einen ignoranten, alten, weißen, heterosexuellen Mann halten, geneigter Leser, aber beim Titel „Queer“ habe ich in meinem Indie-Film-Kino im Internet eher weitergewischt. Jedoch ereilte mich das Glück, dass mir aus glaubhafter Quelle versichert wurde, der Film und insbesondere Daniel Craig seien ausgezeichnet, und ich kann bestätigen, dass dies der Fall ist, und wie!

Der US-Amerikaner William Lee (Daniel Craig) ist zu Beginn der 1950er Jahre in Mexiko-Stadt gelandet, da er seine Drogensucht und Homosexualität in der amerikanischen Heimat nicht mehr ausleben konnte. Die Hitze und die als suboptimal zu bezeichnenden Lebensumstände machen das Aufspüren promiskuitiver Partner nicht gerade einfach. Als Lee einen Mann entdeckt, der sein Interesse fesselt, geht ihm der Ex-Soldat Eugene Allerton (Drew Starkey) nicht mehr aus dem Kopf, und er verliebt sich in ihn. Doch Eugenes Gefühle, ja sogar seine sexuelle Orientierung, sind für Lee nicht klar. „Queer“ weiterlesen

Ewige Jugend

Originaltitel: „Youth“ | Drehbuch & Regie: Paolo Sorrentino | Jahr: 2015 | Tragikomödie | 118min | Location: in den Bergen der Schweiz

Es fällt mir zunehmend schwerer, ohne Lesebrille auf mein Handy zu schauen oder Bücher zu lesen. Im Moment, in dem ich diese Zeilen tippe, arbeite ich (noch) ohne Brille, auch dank eines schönen großen Bildschirms vor mir, aber wie lange noch? Ich sage es mit den geringstmöglichen Umschweifen: Das Alter (in Form des Verfalls, nicht so sehr der Weisheit) meldet sich langsam auch beim Autor dieser Zeilen. „Ewige Jugend“ weiterlesen

Der phönizische Meisterstreich

Originaltitel: The Phoenician Scheme |  Jahr: 2025 | Regie & Drehbuch: Wes Anderson | Tragikomödie | 105min

Nachdem Wes Anderson vor zwei Jahren mit „Asteroid City“ vielleicht seinen besten Film veröffentlicht hat, war die Freude groß, durch diverse Marketingmaßnahmen (Kinotrailer, der Algorithmus sozialer Netzwerke und Filmplakate) von seinem neuesten Kinofilm zu erfahren, bei dem wieder ein Großaufgebot von Stars zu sehen ist. Die Hauptrolle spielt diesmal Benicio del Toro, der – wie mir langläufig bekannt ist – bei einigen Menschen zu größeren ästhetischen Verzückungen führt (und den ich selbst ein-, zweimal mit Brad Pitt verwechselt hatte, was allerdings lange her ist[1]) sowie die mir unbekannte Mia Threapleton, die übrigens die Tochter der großartigen Kate Winslet ist.

Zsa Zsa Korda (Benicio del Toro) ist – um es großzügig zu umschreiben – Kapitalist und tätigt seine Geschäfte mit und gegen alle anderen, seien es Staaten, die Unterwelt, andere Unternehmer, Verwandte. Unglücklicherweise zieht dies einige Feindschaften auf sich, und so muss sich Korda diversen Attentatsversuchen, die gelegentlich in Flugzeugabstürzen münden, erwehren. Nach einer weiteren unsanften Landung erwartet er seine einzige Tochter Liesl (Mia Threapleton), die nach dem Tod ihrer Mutter in ein Kloster geschickt wurde. Nun soll sie jedoch das gewaltige Erbe von Korda antreten, was Liesl nur mit Widerwillen tut, denn erstens sind die Geschäfte des Vaters nicht ungefährlich und Leichen pflastern ihren Weg, und zweitens sind sie moralisch eindeutig fragwürdig und mit Liesls Religion nicht zu vereinbaren. Doch Korda bleibt insistierend und erläutert Liesl einen letzten großen Geschäftsplan, den phönizischen Meisterstreich, der 150 Jahre Reichtum verspricht. Allerdings muss vorher eine nicht unerhebliche Finanzierungslücke geschlossen werden. Und so reisen Liesl und ihr Vater sowie der norwegische Entomologe Björn (Michael Cera), welcher in Personalunion Hauslehrer und Adjutant von Zsa Zsa wird, durch Phönizien, fädeln Deals ein, verschenken Handgranaten (eine scheinbar landestypische Spezialität) und kommen sich als Vater und Tochter näher. „Der phönizische Meisterstreich“ weiterlesen

Sommer 85

Originaltitel: „Été 85“ | Jahr: 2020 | Regie & Drehbuch: François Ozon | Drama | 101min | Location: Normandie in den 1980ern

Dem ein oder anderen mag es aufgefallen sein, der Sommer kommt gerade zur Tür hinein und es gibt keine Jahreszeit – so finde ich – die solche Emphase und ein solches Versprechen mitbringt, wie die warmen und freien Monate in der Jahresmitte.

Der 16-jährige Gymnasiast Alexis (Félix Lefebvre) wohnt seit zwei Jahren an einem Küstenort in der Normandie. Als er bei einem Bootsausflug auf einer kleinen Jolle allein in ein Unwetter gerät und kentert, hilft ihm der 18-jährige David (Benjamin Voisin). Er bringt Alexis zu sich nach Hause, wo er hilfsbereit und freundlich von Davids Mutter (Valeria Bruni Tedeschi) aufgenommen wird. David und Alexis werden Freunde und schließlich ein Paar, ohne dies jedoch jemandem groß zu offenbaren (wir befinden uns in den 1980er Jahren). Aber für Alexis wird David seine erste große Liebe. Doch auch der beste Sommer geht einmal zu Ende, und der Herbst (hier in Form des Dramas) steht vor der Tür. „Sommer 85“ weiterlesen