T.C. Boyle – América

Besuche in anderen Ländern verleiten, sich den dortigen Autoren und ihren Gegenständen zu nähern und manchmal damit mehr zu entdecken als nur Landschaften oder Städte. Durch einen Aufenthalt in Kalifornien fiel mir der Name T.C. Boyle auf. T.C. steht für Tom Coraghessan (wobei er sich den zweiten Vornamen im Alter von 17 Jahren selbst gab). Nach einem kurzen Überfliegen der zahlreichen Romane und Geschichten von Boyle hatte ich mich für „América“ entschieden, um einen Eindruck von den Werken Boyles zu bekommen. Tatsächlich heißt das Buch im Original „The Tortilla Curtain“ (ich nehme an, Boyle wäre die deutsche Version in der amerikanischen Heimat etwas zu wuchtig gewesen). Mit dieser in den USA umgangssprachlich verwendeten Bezeichnung ist die Grenze zwischen Kalifornien und Mexiko gemeint bzw. deren Durchlässigkeit, die zu einer illegalen Immigration von Mexikanern in den Norden führt. Obwohl der Roman 1995 geschrieben wurde ist er auch heute noch aktuell, war es doch gerade erst US-Präsident Trump, der als Wahlversprechen eine Mauer zu Mexiko versprach. „T.C. Boyle – América“ weiterlesen

Judith Hermann – Sommerhaus, später

Im Winter in Deutschland tendiert man je eher dazu, sich in sein gemütliches Lesesofa zurück zu ziehen und zu lesen. Dabei eignet sich ganz prima ruhige, vielleicht sogar etwas melancholische Literatur, während draußen der Schnee fallen sollte, es aber eigentlich nur regnet.
Judith Hermanns Durchbruch gelang ihr mit dem 1998 erschienen Erzählband „Sommerhaus, später“ und wurde mir als sehr lesenswerte Literatur beschrieben. Die neun Geschichten im Buch halten mehrere Merkmale zusammen. Sie alle haben einen ruhigen Ton, dessen Handlung sehr klar überschaubar ist, der aber auch recht großen interpretatorischen Spielraum lässt. „Judith Hermann – Sommerhaus, später“ weiterlesen

Ted Chiang – Arrival. Die Hölle ist die Abwesenheit Gottes

Im Frühjahr dieses Jahres sah ich Denis Villeneuve’s Kinofilm „Arrival“, der auf einer Kurzgeschichte von Ted Chaing beruht. Die außergewöhnliche Science-Fiction Story erweckte mein Interesse an der Erzählung mit dem Titel „Geschichte deines Lebens“, welche hinter dem Drehbuch stand. Tatsächlich erschien diese Kurzgeschichte zusammen mit vier anderen unter dem Titel „Die Hölle ist die Abwesenheit Gottes“, war aber bereits nicht mehr erhältlich, als ich den Kaufwunsch bei meinem Buchhändler vortrug. Nach einem halben Jahr warten auf die Neuauflage, bekam ich im Herbst ein Buch des Golkonda Verlages in die Hand gedrückt, das den eigentlichen Buchtitel zugunsten des Filmtitels zurückgestellt hat und nun mit der recht eigenartig anmutenden Aufschrift: „Arrival. Die Hölle ist die Abwesenheit Gottes“ daherkommt. Das ändert aber günstiger Weise nichts am Text. „Ted Chiang – Arrival. Die Hölle ist die Abwesenheit Gottes“ weiterlesen

Edgar Hilsenrath – Der Nazi & der Friseur

Das Thema Holocaust ist hierzulande – auf Grund historischer Schuldbelastung – ein in der breiten Öffentlichkeit wahrgenommener Gegenstand. Es ist eine Basis des deutschen kulturellen Gedächtnisses für die größte anzunehmende Schuld und die Verpflichtung, daraus etwas für die Gegenwart und alle Zukunft zu lernen. Dem ist im Grunde nichts hinzuzufügen, trotzdem führt(e) es zu einigen gedanklichen Tabus, zum Beispiel der Frage ob man über Hitler lachen dürfe (man denke an Dani Levys Film „Mein Führer – Die wirklich wahrste Wahrheit über Adolf Hitler“ aus dem Jahr 2007 mit Helge Schneider und die Diskussion über Film und Gegenstand des Filmes). Etwas länger zurück liegt die Veröffentlichung von Edgar Hilsenraths Roman „Der Nazi & der Friseur“, den der Autor 1971 in den USA veröffentlichte. Obwohl der Text auf Deutsch geschrieben ist und schnell zu einem englischen Beststeller wurde, lehnten über 60 westdeutsche Verlage den Roman ab und er erschien erst 1977 in einem kleinen Verlagshaus in Köln. Grund dafür lag in der Darstellung des Buches über den Holocausts und noch viel entscheidender, der Zeit danach. „Edgar Hilsenrath – Der Nazi & der Friseur“ weiterlesen

Douglas Coupland – jPod

Ich tippe mit dem Finger ein weiteres Buch um, Autor nie gehört, tipp – weiter – nächster Autor – nie gehört – tipp – weiter – Douglas Coupland – … – Moment, habe ich schon mal gehört, Amerikaner, oder? Einer von diesen neumodischen Schriftstellern?!? Ich entnehme das Buch „jPod“ von Douglas Coupland dem Wühltisch beim Thalia Outlet. Es soll einen Euro kosten. Kann man nicht viel falsch machen, oder!?!

Mehrere Wochen später

Bei der Frage welchen Roman ich als nächstes lesen könnte, wähle ich „jPod“ aus. Aus Neugier. Wie schreibt dieser Coupland, der ja gar nicht Amerikaner ist, sondern Kanadier und der Begriffe wie „Generation X“ prägte (mit dem gleichnamigen Buch)? Auf den nächsten 500 Seiten sollte sich das rausfinden lassen. „Douglas Coupland – jPod“ weiterlesen

Siri Hustvedt – Die Verzauberung der Lily Dahl

Vor doch schon recht vielen Jahren las ich Siri Hustvedts ziemlich großartigen Roman „Was ich liebte“ und so war es schnell klar, als ich durch eine günstige Fügung an ihren Roman „Die Verzauberung der Lily Dahl“ kam, diesen auf meine Sommerleselist aufzunehmen. Tatsächlich ist das letztgenannte Werk, der etwas ältere Titel und kam bereits 1997 heraus („Was ich liebte“ folgte dann 2003), aber beide Romane gelten als Hustvedts bekannteste Literaturen. „Siri Hustvedt – Die Verzauberung der Lily Dahl“ weiterlesen

Christian Kracht – Imperium

Das 20. Jahrhundert kann man ohne viel geschichtliches Hintergrundwissen und Fantasie als das Säkulum der in der Praxis durchgeprobten Ideologien interpretieren. Teilweise waren diese Ideengebäude äußerst instabil und orientierten sich eher an den personifizierten Verkörperungen ihrer Führer als an logischer Stringenz, was nicht wirklich so dramatisch gewesen wäre (auch heute gelten ja starke Führerpersönlichkeiten immer noch als en vogue), hätten nicht viele Millionen Menschen ihr Leben lassen müssen, nur weil sie nicht in den kleinen Baukasten der Weltanschauung passten, mit welchem jeweils gerade die Welt verändert zusammengebastelt werden sollte. „Christian Kracht – Imperium“ weiterlesen

Paul Auster – Unsichtbar

Sie lesen im Folgenden einen Beitrag über Paul Austers Roman „Unsichtbar“ der 2011 veröffentlicht wurde. Ich gebe zu, ich erlag vor der Lektüre des etwas mehr als 300 Seiten langen Buches, der Vorstellung irgendetwas nicht Sehbares, vielleicht Gespenstisches (ein Geist?) würde in Austers 13. Roman eine Rolle spielen. Wenn Sie auch diese Hoffnung haben, muss ich Sie warnen, dem ist nicht der Fall. Vielmehr bezieht sich der Titel auf ein Phänomen im Umgang mit unseren Leben und deren Betrachtung, welchem sich der Text annimmt. Doch bevor das näher ergründet werden soll, als Erstes eine kurze Einführung in den Inhalt der Handlung:
Im Frühjahr 1967 trifft der Student Adam Walker auf einer Party in New York auf das französische Pärchen Rudolf Born und Margot Jouffroy. Born bietet Walker einen Job an, doch im weiteren Verlauf des Frühjahrs zeigt sich, dass nicht nur Born ein sehr geheimnisvoller und wenig vertrauenerweckender Typ, sondern sogar gefährlich ist. Nachdem Walker den Sommer in New York mit seiner Schwester Gwyn verbringt, versucht er sich im Herbst des gleichen Jahres als Austauschstudent in Paris, wo er erneut auf Born trifft, der aber nun nicht mehr mit Margot zusammen ist, sondern mit der Französin Hélène und ihrer 18-jährigen Tochter Cécile lebt.
Die Geschichte wird nur zum Teil von Walker erzählt, sondern in weiten Teilen von einem ehemaligen Studienfreund, dem heutigen Schriftsteller James Freeman, den Walker kurz vor seinem Tod 2007 kontaktiert und ihm die Manuskripte seiner Erinnerungen an das 40 Jahre zurückliegende 1967 zusendet. Es handelt sich bei Austers Roman also um ein Buch-im-Buch, das zahlreiche Perspektivenwechsel des Erzählers vollzieht. „Paul Auster – Unsichtbar“ weiterlesen

Carmen Stephan – Mal Aria

Kennen Sie Menschen denen Mücken sympathisch sind? Zugegeben es sind nicht wirklich possierliche Tierchen (wie, sagen wir mal – Igel), machen keine verzückenden Laute (wie Wale) und was wirklich nervt ist die Stecherei dieser Biester. Mensch und Mücke – so kann ich als Vertreter der erstgenannten Gattung sagen – sind nicht wirklich Freunde fürs Leben. Carmen Stephan macht jedoch eine Mücke zum Haupthelden ihres Romans „Mal Aria“. Diese sticht im brasilianischen Urwald die Deutsche Carmen, welche hier gerade mit ihrem Freund Carl Urlaub macht. Bei der Mücke handelt es sich um eine Anopheles-Mücke, welche Malaria Parasiten in sich trägt und Carmen mit der Krankheit ansteckt. Die Mücke – sich ihrer Tat bewusst – verfolgt im weiteren Verlauf Carmen und bemerkt bald, wie die Krankheit bei Carmen ausbricht und die Patientin von Krankenhaus zu Krankenhaus in Rio de Janeiro führt. „Carmen Stephan – Mal Aria“ weiterlesen

Daniel Kehlmann – Du hättest gehen sollen

Gute Bücher laden irgendwie automatisch dazu ein, sie nochmal zu lesen. Man beendet die letzte Seite und alles rattert in einem, die eigene Interpretationsmaschine springt an und je nachdem wie diese gerade arbeitet, möchte man dieses, oder jenes, oder lieber alles nochmal studieren, einzelne entscheidende Sätze oder gar nur Wörter finden. So ging es mir auch bei Daniel Kehlmanns Erzählung „Du hättest gehen sollen“, die im Jahr 2016 erschien. Das fällt hier sogar leichter als bei anderen Werken, da sie nicht einmal 100 Seiten zählt. Doch in der Kürze liegt hier trotzdem sehr viel Spannung. Man verlässt das Buch und bleibt doch darin gefangen, denn was genau ist hier eigentlich vorgefallen? „Daniel Kehlmann – Du hättest gehen sollen“ weiterlesen