David Mitchell – Der Wolkenatlas

Ich tue mich immer schwer damit, dass Buch zum Film zu lesen, wenn ich den Film schon kenne. Das gilt natürlich umso mehr, wenn das Buch nach dem Film kommt, aber auch wenn nur der Film auf einem Buch beruht, bin ich meistens nicht dazu bereit mir etwas zweifach zu rezipieren.
Im Fall von David Mitchell konnte ich da aber getrost eine Ausnahme machen, was nicht nur daran liegt, dass der Film „Cloud Atlas“ von den Wachowski Geschwistern und Tom Tykwer in meinen Erinnerungen ziemlich verschwommen ist, sondern viel mehr daran, dass ich mit Mitchell einen weiteren Autor gefunden habe, dessen Werke ich mit größtmöglicher Begeisterung lese. „Der Wolkenatlas“, welcher 2004 als sein 3.Roman veröffentlicht wurde, gilt dabei für viele Leser als sein Hauptwerk. „David Mitchell – Der Wolkenatlas“ weiterlesen

Andreas Reckwitz – Die Gesellschaft der Singularitäten

Aus der Reihe „our pathetic age“
Der erste Eintrag unserer neuen Reihe „our patehtic age“ ist einem Beitrag gewidmet, der aus einem Fach stammt, für welches ich einst große Begeisterung besaß und nach dessen Re-Entry in meinem Leben mir wieder klar wurde, dass ich dieses Fach immer noch sehr schätze.

Es ist leider schon viele Jahre her, dass ich letztmals einen soziologischen Text las. Nach all der Beschäftigung mit anderen spannenden Feldern des Wissens ist es aber die Soziologie, welche quasi meinen Weg ebnete, wie ich auf die Welt schaue (wenngleich natürlich viele weitere Faktoren dafür gleichfalls von großem Einfluss waren, aber die Struktur des Sehens, hat mir die Soziologie angelegt). Was mich an der Soziologie schon seit dem Besuch meines ersten Seminars begeisterte, war die Themenstellung dieses Faches, zu zeigen, in was für Zeiten wir leben und wie das Zusammenleben der Menschen aktuell stattfindet. Die Soziologie ist dabei eines der allgemeinsten Herangehensweisen an diesen Fragenkomplex (sieht man von der Philosophie einmal ab) und das macht dieses Fach so spannend, so umfangreich, so kompliziert, manchmal so blumig, so abstrakt, so fantasievoll, so klar, so….

In was für Zeiten leben wir also? Was bestimmt unser Handeln und Tun? Welche Gesellschaft haben wir Menschen uns geschaffen? Antworten darauf zu finden, ist eine der Hauptaufgaben der Soziologie, weshalb sicherlich auch fachlich in der Soziologie nicht besonders bewanderten Geistern (wie mittlerweile auch mir) schnell Begriffe wie „Risikogesellschaft“ (Ulrich Beck) oder „Erlebnisgesellschaft“ (Gerhard Schulze) einfallen, oder Niklas Luhmanns gewaltige Geschichte der Gesellschaft oder genauer, dessen was wir Gesellschaft nennen, als „Gesellschaft der Gesellschaft“. „Andreas Reckwitz – Die Gesellschaft der Singularitäten“ weiterlesen

Sasa Stanisic – Wie der Soldat das Grammofon repariert

Lange habe ich keinen Roman mehr zum Neupreis gekauft. Romane haben – im Gegensatz zu Fachbüchern – einen ziemlichen Wertverfall, sind aber – ebenfalls im Gegensatz zu Fachbüchern, jedenfalls bei mir – nach einmaligen Durchlesen immer noch fast wie neu (Fachbücher müssen bei mir durchgearbeitet aussehen, angestrichen und mit Bemerkungen am Seitenrand, ich würde ein solches Fachbuch auch nie wieder aus meiner Bibliothek entlassen). Sasa Stanisics erster Roman „Wie der Soldat das Grammofon repariert“ gehört aber zu den Werken der Belletristik, die gebraucht nur unwesentlich unter den Neupreis geraten, weswegen ich mich für eine nigelnagelneue Ausgabe entscheid.

Alexandar wächst in der jugoslawischen Kleinstadt Visegrad auf, gelegen an der Drina, nur wenige Kilometer bevor der Fluss eine gemeinsame Grenze zwischen Bosnien und Serbien bildet. Als sein Opa Slavko stirbt, verliert Alexandar einen geliebten Menschen, der ihm die Welt erklärte. Nur wenig später scheint sich diese Welt zu verändern, als sich der jugoslawische Staat Anfang der 1990er Jahre im Krieg auflöste und die Front seine Heimatstadt erreichte. Fortan muss sich Alexandar eine heile Welt erträumen. „Sasa Stanisic – Wie der Soldat das Grammofon repariert“ weiterlesen

Jan-Otmar Hesse und Sebastian Teupe – Wirtschaftsgeschichte

Wie schon beim letzten in diesem Blog beschriebenen Sachbuch, dem sehr lesenswerten „Crahsed“ von Adam Tooze, spielt das Thema Wirtschaft in unserer heutigen Gesellschaft eine sehr wichtige Rolle für das Zusammenleben der Menschen. Da kann ein Blick in die Wirtschaftsgeschichte sicherlich Aufschluss geben, wie sich die „ganze Geschichte“ historisch so entwickelt hat. Dafür liefern Jan-Otmar Hesse und Sebastian Teupe eine praktische, auf rund 200 Seiten komprimierte Einführung. „Jan-Otmar Hesse und Sebastian Teupe – Wirtschaftsgeschichte“ weiterlesen

Adam Tooze – Crashed

Die Finanzkrise 2008 war ein sehr einschneidendes Ereignis in der neueren Wirtschaftsgeschichte unseres immer weiter zusammenwachsenden Planten. Sie war der größte wirtschaftliche Zusammenbruch seit dem 2.Weltkrieg und folgt man der Argumentation des britischen Wirtschaftshistorikers Adam Tooze, war sie eine hochkomplexe Implosion von privaten Finanzmärkten, die Staaten zum massiven finanziellen Eingreifen nötigten, was wiederum starke politische Folgewirkungen hatte. „Adam Tooze – Crashed“ weiterlesen

Don DeLillo – Die Stille

Don DeLillos Novelle „Die Stille“ erfreute sich kurz vor der Weihnachtszeit allgemein wohlwollender und vor allem reichhaltigen Besprechungen, wofür ich zwei Gründe als naheliegend sehe. Erstens, dass DeLillo zu einer der größten zeitgenössischen Autoren der USA gehört und als Leser freut man sich, wenn der Meister mittlerweile im höheren Alter, weiterhin veröffentlicht und zweitens, dass das Thema seiner neusten Novelle eine potentiell menschheitsgefährende Katastrophe ist. In Zeiten einer globalen Pandemie nimmt man solch ein Sujet natürlich begeistert auf.

Jim und Tessa sitzen im Flugzeug und kehren aus Paris nach New York zurück, wo sie am Abend bei Max und Diane eingeladen sind, um den Super Bowl zu schauen. Plötzlich verändert sich etwas, das Flugzeug gerät ins Taumeln und die Technik der Welt scheint nicht mehr zu funktionieren. „Don DeLillo – Die Stille“ weiterlesen

T.C. Boyle – Hart auf hart

So ganz langsam lese ich mich durch das Universum T.C. Boyles. Sein 2015 im Original als „The Harder They Come“ erschienener Roman „Hart auf Hart“ beleuchtet, so wie man es aus Boyles Romanen kennt, an drei Figuren, einen Aspekt US-amerikanischer Gesellschaft.
Wir sind in der Gegenwart mit den Stensons auf einer luxuriösen Kreuzfahrt, die sich einen Landgang genehmigen. Es soll in den Dschungel Costa Ricas gehen, als die kleine Reisegruppe, allesamt Pensionäre, in einen Hinterhalt gelangen und dort ausgeraubt werden. Sten, ehemaliger Schuldirektor und Vietnam-Veteran, fackelt nicht lange und wehrt sich gegen einen Räuber, wobei dieser zu Tode kommt. Zurück in Nordkalifornien wird Sten als Held gefeiert, was ihm ziemlich unangenehm ist. Doch bald holt ihn sein Alltagsleben ein und damit auch die Probleme mit seinem 25-jährigen Sohn Adam, der, um es milde zu formulieren, immer wunderlicher wird, bevorzugt durch den Wald streift, um seinem großen Vorbild, dem Trapper John Colter, nachzueifern. Adam trifft auf Sara, einer Anhängerin des Sovereign Citizen Movement, die davon überzeugt ist, dass der amerikanische Staat ihr schonmal gar nichts könne und sie als freier Bürger über die Straßen Kaliforniens brausen und zu ihren Jobs fahren könne und ob sie dabei angeschnallt ist, oder nicht, wäre einzig und allein ihr Problem und geht mit Sicherheit die Polizei nichts an. „T.C. Boyle – Hart auf hart“ weiterlesen

Angus Deaton – Der große Ausbruch. Von Armut und Wohlstand der Nationen

Angus Deaton ist schottischer Wirtschaftshistoriker und Armutsforscher und erklärt in seinem 2013 erschienen Buch „Der große Ausbruch“, wie es erst einzelne und dann mehrere Staaten geschafft haben, aus dem menschheitsgeschichtlichen Kreislauf von Armut, Elend und Tod auszubrechen und den Reichtum des Landes und seiner Bevölkerung zu steigern und deren Gesundheit zu verbessern. Dabei betrachtet er insbesondere die Entwicklung des Nationaleinkommens und der Lebenserwartung und schildert sehr detailliert, was einige dieser Daten aussagen können und was nicht und was wir damit über den Zustand der Menschen sagen können. Er legt dann seinen Fokus auf die Frage, wie ärmeren Staaten der 3.Welt geholfen werden kann und kommt zu der Einsicht, das Entwicklungshilfe in der Form der letzten 50 Jahre nicht nur nicht zielführend, sonders sogar schädlich für die armen Länder ist, weil sie den Ausbruch aus Armut und Elend verzögert. „Angus Deaton – Der große Ausbruch. Von Armut und Wohlstand der Nationen“ weiterlesen

Philip Roth – Empörung

Loslassen ist bekanntlich nicht nur eine physische Tätigkeit, in dem Sie beispielsweise ihr Handy loslassen, sondern es ist auch das Kappen von emotionalen menschlichen Verbindungen. Ein solches Loslassen fordert der junge Student Marcus von seinem Vater ein. Marcus, dem man sich als vorbildlichen Sohn vorstellen kann, der ein klares Verständnis vom Leben hat, von Recht und Pflicht und der dazu neigt sehr zurückhaltend zu sein, wenn es um den Genuss der Abenteuer des Lebens geht. Aber sein Vater engt ihn zunehmend ein, will ihn beschützen, wie eine Glucke ein Küken. Zugegeben fällt mir Loslassen wohl ebenso schwer, wie Marcus Vater, aber symphatisch macht es ihn deshalb trotzdem nicht.
Vom ihm aus Newark entfliehend, setzt Marcus seine universitäre Ausbildung in Ohio fort, viele Busstunden von der väterlichen Metzgerei und seinem Einfluss entfernt. Wir schreiben das Jahr 1950 und während in Korea ein schlimmer Krieg tobt, der ersten gewaltsamen Auseinandersetzung des Kalten Kriegs, versucht Marcus sich auf dem neuen College zurecht zu finden, einer sehr religiösen Einrichtung, die durch strenge konservative Regeln geprägt ist. „Philip Roth – Empörung“ weiterlesen

Cihan Acar – Hawaii

Kemal Arslan ist zurück in seinem Heimatviertel Hawaii, einem Stadtteil von Heilbronn, der von vielen Migranten geprägt ist. Er ist erst 21 Jahre alt, hat aber schon so einiges erlebt. Er war Fußballprofi in der Türkei, aber durch einen Unfall ist seine Karriere ruiniert und so steht die Frage im Raum, was er mit dem Rest seines Leben noch anfangen soll. Wir begleiten ihn vier Tage durch die Sommerhitze Heilbronns, wo die Trinkwasserprobleme als Symbol für eine größere Krise erscheinen, in einer Stadt, wo sich die Stimmung nicht nur wegen der Temperaturen immer weiter aufheizt. „Cihan Acar – Hawaii“ weiterlesen