Juli Zeh – Die Stille ist ein Geräusch

Seit langem hörte ich immer mal wieder von Juli Zeh, besonders von meiner Schwester, die mehrere Bücher von ihr besitzt. Da traf sich ein Familientreffen prächtig, als ich mir eines ihrer Werke mitbringen ließ. Es war ein Reise(tage)buch einer Unternehmung nach Bosnien, im Sommer 2001; allein mit Hund. „Ich will sehen, ob Bosnien-Herzegowina ein Ort ist, an den man fahren kann, oder ob es zusammen mit der Kriegsberichterstattung vom Erdboden verschwunden ist.“ (S.11). Tatsächlich existiert natürlich das Land, zum Reisezeitpunkt 5,5 Jahre nach dem Friedensabkommen von Dayton (es wurde übrigens nur in Dayton (Ohio) paraphiert und deshalb so genannt, aber in Paris unterzeichnet), der den dreieinhalbjährigen Krieg in Bosnien beendete. Natürlich ist dieser Krieg noch immer präsent (wenngleich der Kosovo-Krieg zu jener Zeit vielleicht noch mehr in den Köpfen mitspuckte) als Zeh mit etwas Mühe nach Bosnien-Herzegowina einreist. In ein Land, das keiner in Europa so richtig wahrnimmt und das Ort wie Srebrenica in die Weltöffentlichkeit brachte, deren Schrecken die jüngere Vergangenheit Europas prägte. Das – grob formuliert – in zwei Teile gespaltene Bosnien-Herzegowina, ist dann jedoch ein Ort an denen sich nicht nur die Wunden des Krieges noch nachfühlen lassen, sondern vor allem der Aufbruch im Frieden. Zeh möchte herausfinden, warum dieser Krieg stattfand, aber wirklich klar wird ihr dies nicht (und vielleicht wäre dies auch eine zu große Aufgabe für eine einzige Reise nach Bosnien). Überhaupt ist dieses Buch keine wirkliche Auseinandersetzung mit dem Lande. Es enthält fast keine geschichtlichen Einordnungen und auch geografische Eigenheiten werden nur im Einzelfall beleuchtet. Viel mehr ist es ein Portrait, wie es sich anfühlt, im Sommer 2001 durch Bosnien-Herzegowina zu reisen, als junge deutsche Frau mit Hund. Das gelingt Juli Zeh ganz wundervoll, denn die Stärke des Buches ist ihr feiner, aber auch sehr humorvoller Schreibstil. So ist „Die Stille ist ein Geräusch“ ein lesenswertes Zeitdokument über einen der vielen Staaten Südosteuropas, die in Mitteleuropa gern vergessen werden. Wer ein Buch sucht, dass in die Region einführt, der liegt hier falsch, wer aber eine eindrucksvolle Sommerreise begleiten möchte, dem sei dieses Buch empfohlen.

Greg Woolf – Rom. Die Biographie eines Weltreichs

Wenn man in Europa unterwegs ist, dann steuert man irgendwann immer mal über ein Monument aus der Antike. In der Vielzahl der Fälle ist dies im römischen Zeitalter entstanden. Anders formuliert könnte man sagen, man muss keinen Schritt nach Italien gehen, um die Überreste des riesigen und langanhaltenden Römischen Reiches zu bewundern. Spaziert man durch Tarragona oder Cartagena, oder bewundert das Aquädukt in Segovia oder die Porta Nigra in Trier so ist die technische und kulturelle Entwicklung dieser Epoche der Menschheitsgeschichte noch heute greifbar und das ist sehr faszinierend. Ärgerlich ist es jedoch festzustellen, dass mein Kenntnisstand dieses Weltreiches ziemlich ruinös ist. Deshalb erwarb ich mir letztes Weihnachten dank eine Gutscheins für einen Buchanbieter das Überblickswerk über die Römische Geschichte von Greg Woolf, das als Untertitel den Titel „Biographie eines Weltreiches“ trägt. „Greg Woolf – Rom. Die Biographie eines Weltreichs“ weiterlesen

Yuval Noah Harari – Homo Deus. Eine Geschichte von morgen

Yuval Noah Harari schreibt eine Geschichte von Morgen, was im Grunde heißt der israelische Geschichtswissenschaftler erörtert in seinen über 500 Seiten starken Buch aus dem Jahr 2015 wie sich eine zukünftige Welt ausgestalten könnte, wenn man geschichtliche Trends der Menschheitsgeschichte betrachtet und diese quasi extrapoliert. Kurz zusammengefasst könnte man sagen, dass die Geschichte der Menschheit immer von Gedankengebäuden geleitet wird (Harari nennt sie Religionen: „Religion behauptet, wir Menschen seien einem System moralischer Gesetze unterworfen, die wir nicht erfunden haben und das wir nicht verändern können“ S. 249). Waren bis zum Mittelalter (in Europa) die christlichen Religionen die Perspektivlenker des Lebens, so startete danach der Humanismus seinen Siegeszug. „Die humanistische Religion betet die Menschheit an und erwartet, dass diese die Rolle spielt, die Gott im Christentum und im Islam und die Naturgesetze im Buddhismus und Taoismus spielten.“ (S.302) Harari diagnostiziert jedoch, dass der Humanismus vor seiner Ablösung steht und Biotechnologie und künstliche Intelligenz ihn als Leitgedanken verdrängen können. Harari spricht von einer großen Entkopplung, die dazu führen wird, dass Menschen ihren wirtschaftlichen und militärischen Nutzen verlieren (weil Roboter und Drohnen die Drecksarbeit alter Zeiten machen werden), „weshalb das ökonomische und das politische System ihnen nicht mehr viel Wert beimessen werden“ (S.413). Das System würde also dem einzelnen Individuum keinen großem Wert mehr beimessen, lediglich den Menschen als Kollektiv (zum Sammeln von breitgefächerten Daten). Einzelne Individuen werden nur noch als Teil einer optimierten Elite wertgeschätzt werden, die sich von der Masse der Bevölkerung abheben.
Das sind alles keine wirklich reizenden Annahmen über die Zukunft, aber Harari kann sie stringent erzählen. So kann man dieses Buch nicht nur als Zukunftsvision, sondern auch als eine Warnung lesen. Dabei bietet das Buch eine reiche Quelle von sprudelnden Ideen, die allerdings auch das ein oder andere Mal recht kurz und oberflächlich ausgeführt werden. Trotzdem lohnt sich die Lektüre von „Homo Deus“ sehr, schärft dieses Buch doch den Blick von heute ablaufenden Ideen, deren Konsequenzen noch nicht wirklich klar sind.

Peter Richter – Dresden revisited

Dresden im Jahr 2016. Deutschlandweit bekannt für seinen schlechten Ruf. Der gebürtige Dresdner Peter Richter wird zu den Dresdener Reden eingeladen und hält einen Vortrag, wie er die Stadt von seiner neuen Wahlheimat New York aus sieht.

Schon mit 19 verließ Richter die Stadt um Kunstgeschichte zu studieren, jedoch kehr er regelmäßig zurück nach heeme. Die Einladung zu den renommierten Dresdner Reden lässt ihn nun über die Heimatstadt nachdenken, die seit jüngster Zeit mit Bewegungen wie Pegida zu den Hochburgen des rechtskonservativen Anti-Establishments gehört. Dabei spricht er als Dresdner, der Dresden für die weite Welt verlassen hat und eben von dieser Welt viel gesehen hat, was man nicht zu Unrecht den „protestierenden Dresdnern“ vorhält nicht getan zu haben. In den 30, recht kleinen, Abschnitten sind es zwei Themenbereiche die Richter umtreiben. „Peter Richter – Dresden revisited“ weiterlesen

Ernest Shackelton – Mit der Endurance ins ewige Eis

Es war ein langer Weg und unser dritter Bus des Tages hat mittlerweile rund 5 Stunden Verspätung angesammelt. Es stürmte immer noch und das obwohl die Sonne schien, die jedoch langsam über den Horizont Patagoniens unterging, es war schließlich fast 21 Uhr. Die Uferpromenade tauchte auf, hinter ihr die Magellanstraße und ich war überrascht wie schön der erste Anblick von Punta Arenas, der südlichsten Großstadt der Welt, war. Das könnte (noch) schöner hier werden, als ich erwartet hatte. Der Name unseres Hostels war „Pardo&Shackelton“. Ich hatte von beiden Namen nie etwas gehört und durchstöberte die herumliegenden Bücher, im wunderschönen Aufenthaltsraum mit Blick auf die Stadt.

Sir Ernest Shackelton war Polarforscher und Abenteurer. Er leitete die „Endurance“ Expedition, welche sich 1914 zur Aufgabe machen wollte, Antarktika über den Landweg zu durchqueren, vom Weddellmeer zum Rossmeer. Die Expedition hatte erhebliche Probleme. Das Schiff, die Endurance, fror im Eis ein und wurde bald darauf zerdrückt. Ohne Schiff irrte die Mannschaft unter Shackelton auf den Eisplatten des Weddelmeers umher, bis sie sich schließlich mit drei kleinen Ersatzbooten auf die frostige Elephant Island retten konnten. Doch dieses Eiland, mitten in der Antarktis war keine wirkliche Hilfe. Niemand würde die Crew hier je suchen kommen und die Zivilisation war fern. Also beschloss Shackelton mit einem der Rettungsboote und fünf weiteren Männern über den stürmischen und kalten Ozean in das über 1.000km entfernte South Georgia zu segeln. Dies gilt bis heute, als eine der heldenhaftesten und schwierigsten Segelfahrten der Seefahrtsgeschichte. Nach langen Mühen gelang es Shackelton schließlich, die gesamte Crew der Endurance zu retten. Am 3.September 1916 fuhr sie unter dem Jubel der Einwohner nach Punta Arenas ein. „Ernest Shackelton – Mit der Endurance ins ewige Eis“ weiterlesen

Paul Ingendaay – Gebrauchsanweisung für Spanien

Außer meinem Heimatland ist mir kein Land so nah, wie Spanien. Was läge da näher, bei einem Besuch im geschätzten „Zweitbuch“ in Wiesbaden das Sonderangebot „Gebrauchsanweisung für Spanien“ von Paul Ingendaay zu erwerben und das aus drei Gründen. Der Wichtigste: ich mag Paul Ingendaay‘s Blog über Spanien in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und habe diesen immer mit großem Interesse gelesen, auch wenn ich ihn in letzter Zeit nicht mehr finde. Zweitens, ich war an jenem Tag im Buchladen eigentlich auf dem Weg nach Spanien und drittens (und am wenigsten wichtig), im „Zweitbuch“ sind (fast) alle Bücher immer billiger, was mich automatisch animiert etwas zu kaufen und dann kaufe ich natürlich das Beste was ich sehe. „Paul Ingendaay – Gebrauchsanweisung für Spanien“ weiterlesen

Jürgen Kocka – Geschichte des Kapitalismus

Der Kapitalismus ist ein vielbesprochenes Ding. Seine Errungenschaften wurden gepriesen, aber genauso werden ihm nicht gerade wenige unschöne, wenn nicht gar zerstörerische Sachen vorgeworfen und auch sein Ende ist ein gern diskutiertes Thema (von Peter Licht auch sehr schön besungen, wie hier: https://youtu.be/fYEcMuRhYas)

Der renommierte Sozialhistoriker Jürgen Kocka legte 2014 ein kleines rund 140 Seiten starkes Bändchen vor, was sich mit der Frage der Geschichte des Kapitalismus befasst. Nach der Einführung, die durchaus klar macht, dass der Begriff „Kapitalismus“ heute eher skeptisch betrachtet wird und die drei grundlegende Denker der Kapitalismuskritik Marx, Weber und Schumpeter sehr kurz vorstellt, folgt eine erste Arbeitsdefinition, was man unter Kapitalismus überhaupt verstehen könnte (ein tatsächlich heute umso wichtigerer Arbeitsschritt, hat man doch das Empfinden, begriffe werden gerade in der öffentlichen Diskussion immer mehr von einem Gefühl bestimmt, als das sie wirklich durchdachte Erklärungen bieten). Kapitalismus beruht bei Kocka auf individuellen Eigentumsrechten und dezentralen Entscheidungen, die wiederum zu Gewinnen oder aber auch Verlusten führen können. Im Kapitalismus findet die Koordinierung der Akteure über Märkte, Preise und Wettbewerb statt, was sowohl Arbeitsteilung, als auch die Geldwirtschaft voraussetzt. Kapital ist grundlegend für dieses Wirtschaften, denn es impliziert die Investition in der Gegenwart mit der Hoffnung auf Vorteilen in der Zukunft. Darin spiegeln sich sowohl die Form der Kreditvergabe, als auch die Maßgabe das Profit als Erfolgsfaktor anerkannt wird. „Jürgen Kocka – Geschichte des Kapitalismus“ weiterlesen

George Packer – Die Abwicklung. Eine innere Geschichte des neuen Amerikas

2016 ist Wahljahr. Obwohl zahlreiche interessante und wichtige Landtagswahlen in Deutschland stattfinden, scheint sich doch das mediale Interesse auf die Präsidentschaftswahlen in den USA zu konzentrieren, wo momentan nach jeder Vorwahl schon Analysen angestellt werden, was dies für die Welt bedeuten könnte. Trotzdem ist die USA ein faszinierendes Land und die Präsidentschaftswahlen sind zweifellos nicht wirklich weltpolitisch unentscheidend, zu aller erst für das Land und dann auch irgendwie für den Rest des Planeten. Fragt man sich warum dort momentan Kandidaten wie Bernie Saunders oder Donald Trump, die scheinbar einen Gegenentwurf zum Establishment darstellen, so großen Erfolge haben, so lohnt ein Blick auf die Stimmung im Lande. „George Packer – Die Abwicklung. Eine innere Geschichte des neuen Amerikas“ weiterlesen

Ann-Helen Meyer von Bremen / Gunnar Rundgren – Foodmonopoly. Das riskante Spiel mit billigen Essen

Ähnlich wie atmen oder schlafen, gehört Essen zu den Dingen, die wir täglich tun. Das Essen ist dabei eine Tätigkeit, die zwischen Genuss und Aufnahme notwendiger Energie schwankt. Dabei hat sich der Inhalt, der auf unserem Teller zu finden ist, in den letzten Jahrzehnten ziemlich gewandelt. Es ist heute nichts Besonderes mehr, Sushi zu verzehren, oder ein argentinisches Rindersteak. Das Angebot, als auch die Qualität der Lebensmittel, die wir verspeisen können sind riesig. Ebenso vergrößert sich die Anzahl von Menschen, die bewusst über ihre Ernährung nachdenken und die sich dann je nach Art bzw. Verzicht auf bewusste Speisen wiederum in Gruppen zusammen finden, seien es nun Vegetarier, Veganer, Frutarier oder andere regelgeleitete Esser. Ich für meinen Teil gehörte über Jahre der Gruppe der „appetitgetriebenen Allesfresser“ an. Sprich, meine Gedanken, was ich hier im Supermarkt gerade kaufe und später verzehre waren alles in allem sporadisch bis nicht vorhanden. Auch heute, wo ich einige, wenngleich geringe, Einschnitte für eine etwas bewusstere Ernährung mache, sind meine Kenntnisse über die Lebensmittelindustrie bzw. die Landwirtschaft die mir die Produkte liefert, recht gering. Deshalb hoffte ich im Buch „Foodmonopoly“ (auch dieses Buch ist bei der Bundeszentrale für politische Bildung zu bekommen) weitere Aufschlüsse zu erhalten. „Ann-Helen Meyer von Bremen / Gunnar Rundgren – Foodmonopoly. Das riskante Spiel mit billigen Essen“ weiterlesen

Jonathan Crary – 24/7

Schlafen Sie schon? Nein, denken sie mal darüber nach warum nicht? Sie sind zu abgelenkt von ihren Verpflichtungen? Dann sagt ihnen Jonathan Crary in: „24/7. Gesellschaft ohne Schlaf“, mal seine Meinung. Nach ihm leben wir in einer Epoche der zunehmenden Durchdringung unserer Zeit. Wir stellen unser Leben auf 24/7 um. Was bedeutet, dass  alles„als Arbeits- Konsum- oder Vermarktungszeit ausgefüllt und vereinnahmt“ (S.19) wird. Das kann man sich in etwa so vorstellen; wenn wir nicht gerade unser Täglich-Brot im Büro verdienen, dann surfen wir an der Haltestelle – weil nur rumsitzen und warten ja nichts bringt – in unserem Smartphone und bestellen uns etwas Schönes im Internet.  Für Crary ist die Natürlichkeit unseres Lebens in Zeiten des Neoliberalismus ein kostbares Gut, denn der Zeitgeist versucht uns aufzuzeigen, dass man immer etwas tun kann. Nur im Schlaf gibt es rein gar nichts zu tun gibt und was bitteschön, wollen Sie aus ihrem Leben machen, wenn sie nichts tun? (rhetorische Frage!) Immer dran denken, man lebt nur einmal. „Jonathan Crary – 24/7“ weiterlesen