The Wire – Gesamtbetrachtung

Nach 60 Folgen ist die abschließende Frage erlaubt, was für eine Serie ist „The Wire“ eigentlich? Sie scheint in kein wirkliches Raster zu passen. Man kann sich fürs Erste dieser Frage gut nähern durch die Feststellung was, „The Wire“ nicht ist. „The Wire – Gesamtbetrachtung“ weiterlesen

The Wire – 5.Staffel

Der in den USA nicht ganz unbekannte Kolumnist Joe Klein sagte auf die Feststellung das „The Wire“ nie den wichtigsten TV-Serien Preis gewonnen hatte, folgende bemerkenswerten Aussage: „The Wire hasn’t won an Emmy? The Wire should get the Nobel Prize for Literature!“ Man kann insbesondere den zweiten Satz vollkommen unterstützen, obwohl TV-Serien wohl nie – und vollkommen berechtigterweise – einen Literaturpreis gewinnen werden. Trotzdem ist der Vergleich treffend. „The Wire“ ist wie ein komplex verschachtelter Roman von 2.000 oder mehr Seiten Länge, der 5 Teile und 60 Kapitel hat und bei dem jeder Teil den vorhergehenden dekonstruiert und auf neue Wege führt (die FAZ berichtete 2010 sehr lesenswert über „The Wire“ als Serie, die wie ein Roman funktioniert, hier der Link). Trotzdem ist die Serie nicht wirklich schwer zu verstehen, man muss noch nicht mal dringend von Beginn an schauen, denn diese Komplexität bietet sich an, aber sie drängt sich niemals auf.
Im Artikel zur 1. Staffel habe ich davon berichtet das „The Wire“ von einigen Menschen zur besten je gezeigten TV-Serie gezählt wird. Blicke ich zurück auf großartige Serien wie: „Sopranos“, „Six Feet Under“ oder „Breaking Bad“ so muss ich feststellen, diesen Meinungen kann ich zustimmen. „The Wire“ ist eben noch ein bisschen besser, was vor allem daran liegt, dass diese Serie eine nie dagewesene Mischung, aus sich treu bleiben und sich neu erfinden hat, bei einem Realismus der so bisher nicht dargestellt wurde. Die Serie spricht aus dem Herzen des alltäglichen Lebens einer Stadt. „The Wire – 5.Staffel“ weiterlesen

The Wire – 4.Staffel

Wissen Sie was das Tolle an „The Wire“ ist? Es ist immer anders! Jede Staffel scheint sich von der letzten so zu unterscheiden, als wäre es eine vollkommen neue Serie. Und trotzdem hat diese Serie einen Kern, eine tieferliegende Struktur, die einen fast süchtig macht weiter zu sehen. „The Wire“ ist wie ein komplexes und vielschichtiges Buch, das einen schon dadurch überrascht, dass es keine Gnade kennt, gewohnte Charaktere einfach über Bord zu werfen. Nachdem äußerst spektakulären Ende der 3.Staffel, werfen wir nun wieder einen neuen Blick auf Baltimore und dieser geht an die Schulen und zeigen uns nicht nur „Problemschüler“ und deren tagtägliches Überleben zwischen Gangs, Drogen, Vernachlässigung, Polizei und der Frage was man zum Leben erlernen muss und welches Wissen nicht gebraucht wird. Wir sehen auch die politische Dimension von Bildung, als Wahlkampfthema, als Systemstatistik für Fördergelder und als Fass ohne Boden das nur Geld kostet und Kinder doch nicht davon abhält jugendliche Kriminelle zu werden. „The Wire – 4.Staffel“ weiterlesen

Wolfgang Herrndorf – Sand

Als Kind habe ich gern Sand in eine Hand genommen und ihn langsam aus ihr herausgleiten lassen. Wie viele kleine Körner dabei zurück flossen und wie viele in der Hand blieben, war mir immer ein unberechenbares Rätsel. Die Körner waren zu klein, um sie zu zählen, und sie waren zu schnell verschwunden um sie festzuhalten.

Wolfgang Herrendorfs Roman „Sand“ ist das letzte zu Lebzeiten des viel zu früh verstorbenen Autors herausgekommene Buch, ein Roman, der so ganz und gar nicht zu seinem großen Erfolg „Tschick“ passt, und auch nicht mit „In Plüschgewittern“ zu vergleichen ist. „Sand“ ist ein um einiges rätselhafterer Roman, aber ein Abenteuer auf das man sich unbedingt einlassen sollte. „Wolfgang Herrndorf – Sand“ weiterlesen

The Wire – 3.Staffel

Ihnen mag es vielleicht auch schon aufgefallen sein, man zieht durch das Leben, begegnet neuen Menschen, die einen an das Herz wachsen, während man andere verliert, die einen auch am Herzen lagen. Andere wiederum scheinen einen die ganze Zeit zu begleiten. Sicher ist nur, dass man nicht weiß, wer einen wie lange begleitet. Irgendwie so ist es auch bei „The Wire“, der Serie, die wohl wie keine andere eindrucksvoll die Geschichten ihrer Charaktere beschreibt. „The Wire – 3.Staffel“ weiterlesen

David Foster Wallace – Vergessenheit

Am 12.9.2014 habe ich begonnen „Vergessenheit“ zu lesen. Das ist rein zufällig genau sechs Jahre nach dem freiwilligen Tod von David Foster Wallace (das ich an jenem grauen Nachmittag, an dem der Niesel die ohnehin schon trostlose Haltestelle am Bahnhof Mitte noch grauer und unangenehm feuchter machte und den Lesenden nur Schutz unter der Brücke gewährte, die letzten drei Erzählungen begann, die ich noch nicht von Ihm kannte, war tatsächlich nicht geplant. Ein Zufall, keine geplante Entscheidung, kein feierliches Beginnen an einem Jahrestag, einfach nur Zufall). Es ist das letzte belletristische Buch das mir von DFW blieb. Gestern habe ich es beendet. Es war großartig.

Anders als im Original „Oblivion“, ist der Erzählband im Deutschen in zwei Ausgaben erschienen, zum einen in „In aller Vertrautheit“ und zum anderen in „Vergessenheit“. Dieser Band hat nur drei Geschichten, doch die haben es in sich. War die ein oder anderen Story von „In aller Vertrautheit“ noch manchmal etwas kompliziert zu lesen, sind jene durchgängig und problemlos für den Leser aufnehmbar, auch wenn das ein oder andere Fremdwort von DFW immer eingestreut wird, aber dadurch wird man allenfalls klüger. „David Foster Wallace – Vergessenheit“ weiterlesen

Martin Walser – Ein fliehendes Pferd

Der Mensch unterscheidet sich vom Tier durch einen Jahrtausende währenden Prozess den man unterschiedlich bezeichnen kann; als Entfremdung von der Natur oder auch als Zivilisationsprozess. Der Mensch erschafft sich darin Sprache, Zeichen und er ummantelt sein Verhalten mit sozialen Kodierungen und Regeln, er hemmt seine natürlichen Triebe und kontrolliert sich selbst. Mit Erving Goffman könnte man sagen: „Wir spielen alle Theater“. „Martin Walser – Ein fliehendes Pferd“ weiterlesen

Ian McEwan – Amsterdam

Molly Lane ist gestorben. Die Krankheit kam schnell, ließ sie zu einem Frack werden, nicht mehr sie selbst sein. Auf der Trauerfeier treffen sich Clive Linley und Vernon Halliday, älteste Freunde und beides ehemalige Geliebte von Molly, deren Wirkung auf Männer vor ihrer Krankheit man als ekstatisch magnetisch bezeichnen kann. Ebenso anwesend ist der recht farblose Ehemann von Molly, George Lane, der seine geliebte Frau in ihren letzten Tagen hermetisch von der Umwelt abriegelte. Auch zugegen ist Julian Garmony, Außenminister und rechtsgerichteter Polemiker mit dem Ziel, bald Premierminister werden zu wollen. Clive und Vernon hassen sowohl George, der Molly hatte heiraten dürfen, als auch Garmony, nicht nur weil auch er ein Liebhaber der Verstorbenen war, sondern gleichfalls wegen seiner Politik. Einen Grund warum eine solche Klassefrau mit diesen beiden Menschen näheren Kontakt gehabt hatte, scheint insbesondere Clive ziemlich unergründlich.
Doch irgendwann ist die Trauerfeier beendet und es geht zurück ins Leben, das jetzt ohne Molly weitergehen muss. Der Komponist Clive soll seine Millenniumssymphonie beenden, welcher der Staat bei ihm in Auftrag gegeben hat, um den Jahrhundertwechsel mit ausgesuchter Musik zu untermalen. Vernon wiederum richtet die Aufmerksamkeit auf seine Rolle als Chefredakteur des „Judge“, einer schrumpfenden Qualitätszeitung, deren intellektuelles Credo nicht nur dem korrekten Syntax, sondern insbesondere der kritischen Hinterfragung der Regierung gilt und dabei insbesondere des Außenministers. Da kommt ein Anruf von George in Vernons Büro eigentlich gerade recht,  der ihm, von Molly gemachte, kompromittierende Fotos von Garmony anbietet, welche nicht nur die Auflage des „Judge“, dessen Anteilseigner George ist, steigern, sondern auch die politische Karriere von Julien ruinieren könnte. „Ian McEwan – Amsterdam“ weiterlesen

Thomas Glavinic – Lisa

Es ist Sommer und die Nacht bricht herein. Sie suchen im Internet nach Unterhaltung und sie finden eine Radiostation. Dort spricht ein Mann, wohl so Mitte 30. Er sendet von einem Ort, den er nicht verraten will. Er ist dort mit seinem acht Jahre alten Sohn und versteckt sich, weil er Angst hat gefunden zu werden.

Das ist das Szenario von Thomas Glavinics Roman „Lisa“. Wir lesen, wie ein Mann im selbstgemachten Radio spricht (genau genommen wissen wir nicht, ob der immer wieder stockende Text dadurch bedingt ist, dass der Radiomacher teilweise auch anderen Tätigkeiten nachgeht, oder sein Mikro fehlerhaft ist, oder ob die das Radio hörende Person zwischenzeitlich eine andere Station einschaltet, aber das sind recht unwichtige Details). Dieser Mann, der von seinem Laptop aus sendet, hat große Angst. Er flieht vor einer Unbekannten.
Die Angst hat er, weil vor drei Jahren bei ihm eingebrochen wurde. Alles war harmlos, aber wie sich später rausstellt, wurden DNA-Spuren gefunden, welche zu mehreren anderen Tatorten passten. Die Spuren sind von einer Frau und die weiteren Verbrechen, bei denen diese Spuren noch gefunden wurden, sind grausig, brutal und auf der Welt verstreut. Hilgert, der damals zuständige Kriminalist, verfolgt die Spur der geheimnisvollen Kriminellen und so werden unser Radiomacher und er Freunde, mit dem Ergebnis, dass Hilgert immer mehr verwirrende Spuren ausfindig macht und schlussendlich, als unser Hauptheld nichts mehr vom ihm hört, auch diesen so sehr dadurch ängstigt, dass er fortfährt und sich versteckt, trinkt und kokst und zu seiner Ablenkung und weil er etwas zum reden benötigt, sein Internet anstellt und Radio macht. „Thomas Glavinic – Lisa“ weiterlesen

Martin Walser – Ein liebender Mann

Wir schreiben das Jahr 1823. Es ist Sommer und die „feine“ Gesellschaft trifft sich in Marienbad. So auch Goethe, mittlerweile 73 Jahre alt. Der von allen gefeierte Dichterfürst widmet sich in diesem Sommer aber weniger den Arbeiten an neuen literarischen Werken oder seiner mehr als umstrittenen Farbenlehre, sondern seine gesamte Aufmerksamkeit wird gefangen von der erst 19 jährigen Ulrike von Levetzow, die er schon seit zwei Sommerkurreisen kennt, doch erst in diesem Jahr wird die Beziehung intensiver. Goethe fasziniert die Tochter eines im Kriege gegen Napoleon gefallenen Generals und der sich in höchsten Kreisen auskennenden Mutter von Levetzow, die sich natürlich geschmeichelt fühlt, dass ihre Tochter das Interesse, des wohl bekanntesten Intelektuellen seiner Zeit gefunden hat. Jedoch hält sie von einer tiefergehenden Beziehung nichts. Aber Goethe umso mehr, der sich jeden Tag mehr, tiefer und wohl auch hoffnungsloser in Ulrike verliebt. Obwohl bald schon 74 wird er sie noch ein letztes Mal finden, die große Liebe. Dieser jedoch scheint keiner Zukunft beschienen. Zwar ist Ulrike von Goethe fasziniert, aber ihre Mutter hält eine engere Bindung zum Diamantenhändler de Rohr für realistischer für sie. Und so geht der Sommer zu Ende und Goethe ist zurück in Weimar, allein, wie in einer anderen Welt, in der es Ulrike nur noch in Gedanken gibt. „Martin Walser – Ein liebender Mann“ weiterlesen